Tötungen waren Programm

Herford. Die mindestens 5.000, wahrscheinlich eher 10.000, Kinder und Jugendlichen, die während des Nationalsozialismus der so genannten Kinder-"Euthanasie" zum Opfer fielen, standen im Mittelpunkt der Mahn- und Gedenkveranstaltung für die Opfer von Patientenmord und Zwangssterilisation in der NS-Zeit am Mahnmal für die Opfer des Faschismus. "Angesichts der großen Zahl von Kindern, die heute unter Krieg, Flucht und Hunger leiden und an den Folgen sterben, war es an der Zeit, einmal an die jungen Opfer des NS-Diktatur zu erinnern", sagte Wolf Müller vom "Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken" zur Begrüßung. Das Kuratorium richtete die Veranstaltung in Kooperation mit dem Verein "Hilfe für verletzte Seelen", einer Selbsthilfegruppe für Psychiatrie-Erfahrene im Kreis Herford, aus. Neben der Kranzniederlegung durch den stellvertretenden Landrat Hartmut Golücke für den Kreis und Sozialdezernentin Birgit Froese-Kindermann für die Stadt Herford, stand ein Vortrag des Bünder Kinderarztes Jan C. Hambruch mit dem Thema "Kindermorde im Rahmen der Euthanasie der NS-Zeit" im Mittelpunkt. Hambruch ist Mitglied in der IPPNW (Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs - Ärzte in sozialer Verantwortung) und hatte sich schon in seiner Promotion mit dem Thema "Medizin und Faschismus" beschäftigt. Kinder-"Euthanasie" ist die Bezeichnung für die organisierte Tötung von geistig oder körperlich behinderten oder verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen bis zu 16 Jahren. Der Kinder-"Euthanasie" fielen in über 30 so genannten "Kinderfachabteilungen" zwischen 1939 und 1945 mindestens 5.000 Menschen zum Opfer. Die Euthanasie war Ausdruck der sozialdarwinistisch geprägten Rassenideologie des Nationalsozialismus, die auf die Förderung der "Erbgesunden" und die Beseitigung der "Kranken" zielte. Schon in Reden der 20er Jahre formulierte Hitler Ideen einer "Menschenzucht", die von Alfred Ploetz, dem Begründer der deutschen Rassenhygiene schon 1895 formuliert worden waren. Mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933 wurde der Rahmen geschaffen, der schließlich zur Kinder- und Erwachseneneuthanasie führte. Der Vernichtung vorgeschaltet war ein Apparat zur Erfassung Betroffener, in dem Ärzte, Hebammen, Entbindungsanstalten, geburtshilfliche Abteilungen und Kinderkrankenhäuser per Formblatt Meldung an das zuständige Gesundheitsamt zu machen hatten. Kinder, die als Euthanasiefall eingestuft wurden, wurden in die Kinderfachabteilungen überstellt, und zu 95 Prozent einer Behandlung mit Barbituraten unterzogen, die neben Mangelernährung und Krankheiten zu einem oft als "natürlich" festgestellten Tod führten, eine Erklärung für schwankende Zahl der Opfer. Viele der in das Euthanasie-Programm eingebundenen Mediziner konnten ihrer Karrieren in Kliniken und an Universitäten nach 1945 fortsetzen und die nächste Medizinergeneration ausbilden, so dass eine kritische Aufarbeitung erst mit der Enkelgeneration begonnen habe. "Eine der Fragen, die sich die Medizin zu stellen hat, ist die, warum ausgerechnet in dem Berufsstand, der eigentlich Leben retten soll, eine so enorme Begeisterung für den NS bestanden hat", sagte Müller - denn der prozentuale Anteil der Parteimitglieder sei unter Medizinern noch höher gewesen als unter Juristen. Eine wichtige Frage in neoliberalen Zeiten, in denen jeder gesellschaftliche Bereich einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung unterzogen wird.

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