Herford

Historischer Rückblick: Herforder huldigen Fürst Bismarck

Sonderzug nach Friedrichsruh: Ein Kult, den Bismarck-Fans auch in Herford vor 120 Jahren pflegten

02.04.2015 | 02.04.2015, 11:19
In Friedrichsruh: Nur die wenigsten Huldigungsreisen sind bildlich dokumentiert. Auch von den Reisenden des Sonderzuges aus Herford sind keine Aufnahmen bekannt. Dafür gab es gedruckte Ansichtskarten auf denen Bismarck seinen Anhängern zuwinkt. - © Abbildungen: Sammlung Dieter Begemann
In Friedrichsruh: Nur die wenigsten Huldigungsreisen sind bildlich dokumentiert. Auch von den Reisenden des Sonderzuges aus Herford sind keine Aufnahmen bekannt. Dafür gab es gedruckte Ansichtskarten auf denen Bismarck seinen Anhängern zuwinkt. | © Abbildungen: Sammlung Dieter Begemann

Herford. Es war eine außergewöhnliche Reisegesellschaft, die am 7. Juli 1893 um 13.27 Uhr den Herforder Bahnhof im Sonderzug verließ. Die Lokalpresse formulierte, rund 300 "Herren" hätten an diesem Freitag in neun Waggons gesessen, die mit Eichenlaub und Fähnchen geschmückt waren. Sie fuhren, so schrieb die Herforder Zeitung für Stadt und Land, "nach Friedrichsruh zu einer Audienz beim Fürsten Bismarck".

Heute vor 200 Jahren, am 1. April 1815, wurde Bismarck geboren. Der Sonderzug von 1893, in dem auch 30 Herforder saßen, war einer der Höhepunkte eines heute kurios anmutenden Kultes, den die Bismarck-Anhänger auch in Herford pflegten.

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Vaterlandsliebe und geistige Getränke

Die Fahrt nach Friedrichsruh war im Jahr 1893 bereits das zweite besondere Ereignis für die Herforder Bismarck-Anhänger.
Schon zu seinem 78. Geburtstag hatten sie in „Aeckers Turnhalle“, einem der größeren Veranstaltungssäle in der Stadt eine „größere Festlichkeit“ veranstaltet. „Früher ist derselbe in Herford nur in kleineren Kreisen gefeiert worden“, hieß es in der Tagespresse. Ein Jahr später, am 31. März 1894, lud der Nationalliberale Verein bereits Damen und Herren zu einer Geburtstagsfeier im Herforder Theater.
Ob es sich um eine Vor-Feier handelte, oder man in den Geburtstag hineinfeiern wollte, ist nicht bekannt. Sicher ist: „Der große Saal konnte die Erschienenen kaum fassen, auch die Logen und der Balkon waren dicht besetzt.“ Carl Bürcke, Lehrer an der Landwirtschafts-Schule, hatte für die Veranstaltung eigens ein Eröffnungslied gedichtet. Landrat von Borries brachte ein dreifaches Hoch auf den Kaiser aus und ließ „Heil Dir im Siegerkranz“ singen, bevor Amtsgerichtsrat Berndt „ein Bild von der schöpferischen Thätigkeit des Eisernen Kanzlers“ entwarf und „dessen unsterbliche Verdienste“ pries. Weitere Einzelvorträge und sogenannte lebende Bilder folgten. Bei genauem Hinsehen erkennt man hinter dem schwülstigen Pathos, dass ein wesentlicher Inhalt der Bismarck-Feiern nur „durch die Blume“ mitgeteilt wurde. Sie gaben vor allem den anwesenden Männern einen willkommenen Anlass, ihre Vaterlandsliebe durch Standfestigkeit beim Verzehr geistiger Getränke zu beweisen. Zu immer neuen Trinksprüchen erhoben sich die Anwesenden, um die Verdienste des Jubilars zu beschwören, bis das lautstarke „Prost“ auf den alten Herrn im Sachsenwald zur eigentlichen Botschaft des Abends wurde. Die Herforder Zeitung fasste dies, vermutlich mit unfreiwilliger Komik, in die Worte: „Hübsche Einzelvorträge und Lieder, von der ganzen Festgesellschaft gesungen, waren zwischen die einzelnen Trinksprüche gelegt.“

An Sonderzüge, die von Herford aus mit jeweils Hunderten von Männern abreisten, war man in der Stadt seit Jahren gewöhnt.

In jedem Frühjahr fuhren von hier lippische Wanderarbeiter in die aufstrebenden Industrieregionen im Rhein- und Ruhrgebiet und rund um Hamburg, um als Ziegler das Geld für ihre notleidenden Familien zu verdienen. Vor dem Wintereinbruch kehrten sie nach Herford zurück und wanderten von dort in ihre Heimatorte.

Keine Armuts-Reisenden an Board

Mit solchen Armuts-Reisenden hatte der Sonderzug von Herford nach Friedrichsruh nichts zu tun. Hier reiste die bessere Gesellschaft. Der Fahrpreis von 13,10 Mark für einen Sitzplatz in der 3. Wagenklasse war günstig. Allerdings hätte sich davon eine Herforder Familie 26 Wochen lang einen bescheidenen einpfündigen Sonntagsbraten leisten können. Ein Luxus, den es längst nicht in allen Familien gab. Ohnehin hätten die wenigsten Herforder eine Chance auf einen Besuch beim "Eisernen Kanzler" gehabt. Für Beschäftigte in Industrie, Handwerk und Landwirtschaft galt die Sechs-Tage-Woche, in der von Montag bis Samstag mindestens 60 Stunden gearbeitet wurde. Einen Anspruch auf Urlaub gab es nicht.

Bismarckturm: In Herford steht er auf dem Stuckenberg.
Bismarckturm: In Herford steht er auf dem Stuckenberg.

Politisch denkende Arbeiter sahen in Bismarck sowieso einen Gegner. Er war ein erklärter Antidemokrat und machte nie einen Hehl daraus, dass er Demokraten, erst recht Sozialdemokraten, verachtete.

Für seine deutsch-nationalen Anhänger hingegen war er eine Lichtgestalt, ein Vorbild für alles, was ihnen als deutsche Tugenden und Werte galt: Kraft, Treue, Härte, Macht, Familie, Gemüt und mehr. Bismarck spaltete die Gesellschaft.

Noch als Reichskanzler war er 1874 nach Friedrichsruh gezogen. Drei Jahre zuvor hatte ihm der preußische König den Sachsenwald geschenkt. Seitdem besaß der Fürst quasi ein Schloss mit Gleisanschluss an der Bahnlinie Hamburg-Berlin - ein Glücksfall für seine Anhänger, die den alternden Ex-Kanzler in einer Weise verehrten, die an heutige Popstars erinnert. Doch waren seine Fans keine kreischenden Teenager: Für ihn schwärmten vor allem Männer, die sich zur Elite der Gesellschaft zählten.