Herford. 20 Menschen waren es, das jüngste Mädchen fünf Jahre alt, die Älteste war über 72: Im Elsbachhaus verlas Stadtarchivar Christoph Laue am Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz die Namen der dort ermordeten Herforder. Für sie kam die Befreiung der Todesfabrik - gestern vor 70 Jahren - zu spät.
"Man muss sich vor Augen führen, dass Auschwitz nicht nur das Vernichtungslager umfasste, sondern Teil eines industriellen Komplexes war, in dem die Menschen als Arbeitssklaven ermordet wurden", erklärte Wolfgang Spanier, Vorsitzender des Kuratoriums Erinnern Forschen Gedenken vor den rund 100 Gästen im Elsbachhaus, die am "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" auch gekommen waren, um die Lesung der Autorin Monika Held zu hören.
Lesung
Monika Held, Autorin und Journalistin, las aus ihrem Roman „Der Schrecken verliert sich vor Ort“. Lena, die Hauptperson, trifft währen des Auschwitz-Prozesses vor 50 Jahren auf den Zeugen Heiner aus Wien. Die beiden verlieben sich. Sie träumt von Ferien in der Südsee. Ihr Mann verbringt die Nächte mit den Schrecken von Auschwitz.´ Der Schrecken verliert sich vor Ort. Roman, Eichborn 2013, ISBN 978-3-8479-0529-5.
Auch zwei Mitglieder der Herforder Familie Elsbach waren im Lager Ausschwitz-Birkenau getötet worden, das am 27. Januar 1945 von russischen Truppen befreit worden war.
Das, was in Auschwitz passiert sei, gebe Einblicke in das, was noch hätte passieren können, wenn der sogenannte Generalplan Ost umgesetzt worden wäre, so Spanier: "Er sah vor, dass nach einem deutschen Sieg 30 Millionen Slaven deportier und als Arbeitssklaven im Osten eingesetzt worden wären." Vielfach unbekannt: Das Sterben ging auch nach der Befreiung der größten deutschen Todesfabrik weiter: "Mehr als 50.000 Menschen waren vorher aus Auschwitz auf einen Todesmarsch geschickt worden", so der ehemalige sozialdemokratische Herforder Bundestagsabgeordnete. Dazu kamen weitere Todesmärsche aus anderen Konzentrationslagern.
Der Auschwitz-Prozess vor 50 Jahren habe nur die individuelle juristische Schuld einzelner Täter feststellen, nicht jedoch die rassistische Mordmaschinerie erfassen können.
Mittlerweile sind nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung 58 Prozent der Bundesbürger der Meinung, es solle ein Schlussstrich bezüglich des Holocausts gezogen werden. "70 Jahre nach der Befreiung gibt es bald keine Opfer mehr, die darüber berichten können und auch keine Täter", kontert Wolfgang Spanier die Ansichten. Auch gebe es mittlerweile wieder aktuelle Tendenzen zur Menschenfeindlichkeit.
Wolfgang Spanier mahnt zu Wachsamkeit und zitiert den Schriftsteller Primor Levi, der Auschwitz überlebt hat. "Er sagte, dass immer möglich sein wird, was einmal möglich war", so Spanier.
Seit einigen Jahren werde verstärkt diskutiert, wie man mit der "Historisierung der NS-Geschichte" umgehen soll, griff Bürgermeister Tim Kähler in seinem Grußwort die Entwicklung auf. "Die Auseinandersetzung mit diesen Themen und Herausforderungen braucht Menschen, die sie führen und am Leben erhalten. In Herford sind wir in der glücklichen Lage, mit dem Kuratorium einen sehr beständigen Träger der Diskussion zu haben, dazu kann ich heute trotz des ernsthaften Anlasses unserer Versammlung gratulieren", lobte Kähler die Arbeit des Kuratoriums Erinnern Forschen Gedenken, das seit 1997 aktiv ist.