Herford

Ein sexy Blues-Torpedo

China Moses und ihre Band rissen das Publikum im Musik Kontor von den Sitzen

12.02.2014 | 12.02.2014, 08:05
China Moses begeisterte im Musik Kontor die Zuschauer – ungeschliffen, erfrischend und wohltuend rau. - © FOTO: JENNICHES
China Moses begeisterte im Musik Kontor die Zuschauer – ungeschliffen, erfrischend und wohltuend rau. | © FOTO: JENNICHES

Herford. Kratzbürste oder Schnurrkätzchen? Wohl ein wenig von Beidem. Gleich beim ersten Stück, Dinah Washingtons Resolution Blues, zeigt die Diva den Fotografen ihre Grenzen auf. "Legt die Kameras weg, dieser Song verträgt kein Fotografieren", herrscht sie die Männer an. Die tun – wenn auch ebenso irritiert wie zögerlich – wie ihnen befohlen. Später stellt sich dann heraus – alles nur Show, aber eine, die authentisch wirkt.

Ein Prösterchen mit Hochprozentigem in Richtung Pianist Raphael Lemonnier und nichts wie rein in die Zeitmaschine. Der Wählschalter steht auf New Yorker Clubatmosphäre á la Fifties. Mit einem fetten Blueslick startet der Parforceritt durch die Welt der Dinah Washington, Nina Simone, Etta James oder Mamie Smith. Diese Sängerinnen sind längst abgetreten von der Bühne, doch China Moses lässt ihre Ära wieder lebendig werden.

Von der Bühne des Musik Kontors im Schiller verströmt sie in Hahnentritt und schwarzem Glitzerpailletenkleidchen und atemberaubenden Stilettos authentischen, sexy Charme. Sie zeigt die Krallen, ist aber doch lieber ein vitaler Schmusetiger. Die Stilettos mit Leopardenfell-Muster und knallig-roten Absätzen hämmern trotzig auf den Bühnenboden, China hat die Hosen an, obwohl sie einen superkurzen Rock trägt. Und sie weiß ihre Attribute perfekt einzusetzen.

Zum ersten Mal fühlt sich die Atmosphäre im Musik Kontor wie ein Jazzclub der alten Schule an. China und ihre Musiker präsentieren zwar "Crazy Blues", aber der ist gar nicht so verrückt. Eher ungeschliffen, erfrischend und wohltuend rau. Die Band und China bewahren zwar stets wohltuende Distanz zu den Originalen, schöpfen aber vom eigentlichen Geist.

Pianist Lemonnier ist der musikalische Mentor, er treibt die Band an, zieht die Zügel an oder lässt locker. Gleich mehrfach beweist er seine Extraklasse in solistischen Ausflügen.

Das lassen Saxophonist/Flötist Frederic Couderc, Schlagzeuger Jean-Pierre Derouard und Bassist Fabien Marcoz nicht auf sich sitzen. Nachdem Lemonnier Akkorde wie Berge aufgeschichtet und sie zu Tal gelassen hat, folgt Couderc mit einem Sax-Solo, lässt später gleich zwei Saxophone unisono in Erinnerung an Roland Kirk tönen. Immer stilsicher, immer authentisch. Drummer Derouard ist ganz alte Schule – Gene Krupa lässt grüßen – und Bassist Marcoz wringt seine Saiten aus, lässt pastöse Soli raus.

Doch über allem thront Chinas Präsenz. Bei Peggy Lees "You do right" swingt und grooved es wie im rauchgeschwängerten und von Whiskyschwaden durchwaberten Kellerclub. Die Band spielt mit Dynamik, China mit ihrem Publikum. Sie erzählt kleine Geschichten, mal schlüpfrig, mal sentimental. Sie gibt Einblicke, wie ihre Liebe zum Blues entstand. Damals als Kind bei der Tante in der Ecke gestöbert, die sexy Songs Esther Philipps entdeckt und auswendig gelernt. Willie Dixons "I just wanna make love to you" ist so voller Verlangen und fettem Gefühl, da fühlt man sich wie auf einem Blues-Torpedo.

Ein bemerkenswertes Konzert. Verrückt, verrucht – entzückend. Dass es fast doppelt so lang wie geplant wurde, das lag auch am Publikum.

Es war ganz bei China und ihrem Crazy Blues. Dass dabei auch Donna Summers Disco-Fetzer "Hot Stuff" eine bluesige Note verpasst bekam, war das I-Tüpfelchen. Und nach Janis Joplins "Move over" gab es kein Halten mehr. Mit Tina Turners "I can’t stand the rain" trat China in gesanglichen Dialog mit dem verzückten Publikum. Mit einem Gläschen Schampus ging dieses denkwürdige Konzert – schnurrend – zu Ende.