ENGER

Ein ganz besonderes Gebäck

In Enger werden noch heute traditionelle Pfeffernüsse gebacken

Christel Strack schnappt sich ein Holzbrett voller Teigrohlinge, um sie in kleine "Nüsschen" zu schneiden. | © FOTO: MARTINA CHUDZICKI

12.11.2011 | 12.11.2011, 00:00

Enger. Wenn sie dunkelbraun und duftend aus der Backstube in den Verkauf kommen, weiß jeder: Weihnachten ist nicht mehr weit. Dabei sind sie ganz und gar kein Weihnachtsgebäck, denn spätestens Ende November sind sie schon wieder aus dem Angebot verschwunden. Wer echte ostwestfälische Pfeffernüsse probieren möchte, muss sich sputen. Die Saison dauert nur knapp acht Wochen. Und weil sie von vielen Feinschmeckern Jahr für Jahr heiß erwartet wird, sind die Pfeffernüsse eigentlich immer knapp. Obwohl allein in der Bäckerei Strack im Herzen der Stadt Enger derzeit fast eine Tonne davon produziert wird.

Wer an Pfeffernüsse denkt, denkt dabei in der Regel an die halbkugeligen und mit einer weißen Glasur überzogenen Lebkuchenplätzchen, die in der Adventszeit gern genascht werden. Doch damit hat die ostwestfälische Pfeffernuss nichts gemeinsam. Die ist nämlich etwas ganz Besonderes, hat Bäckermeisterin Christel Strack schon in ihrer Lehrlingszeit erfahren. Damals sollten alle Lehrlinge eine Spezialität aus ihrer Heimat backen. Als die Engeranerin ihre Pfeffernüsse vorschlug, erntete sie erst einmal Spott, denn auch ihr Meister dachte erst einmal an die weißen Pfeffernüsse, die landauf, landab bekannt sind. Er wurde eines besseren belehrt, als er die Nüsse aus Enger probierte.

Der Meister war damals allerdings auch an eine Fachfrau geraten. Denn in der Bäckerei Strack werden schon in fünfter Generation Jahr für rund um den Martinstag Pfeffernüsse gebacken. Das Familienrezept hat sich in all den Jahren nicht verändert. In die Engeraner Pfeffernüsse gehören neben Roggen- und Weizenmehl Printensirup, Rübenkraut, Anis und Hefe. Die Herstellung, so die Bäckerin, ist sehr arbeitsintensiv. Zunächst muss der schwere, dunkle Teig geknetet werden, die einzige Arbeit, die heute von einer Maschine geleistet wird. Alles andere ist reine Handarbeit und erfordert jede Menge Teamwork in der kleinen Backstube.

Drei bis vier Mitarbeiter sind an den Pfeffernuss-Backtagen im Einsatz. Herbert Kuhlmann formt aus dem Teig zunächst lange dünne Rollen. Für den 62-jährigen Bäcker ist das Routine. Er ist schon seit 47 Jahren im Betrieb und backt seitdem Jahr für Jahr er im Herbst die Pfeffernüsse. Praktikant Kevin ist erst seit ein paar Wochen dabei. Doch auch er rollt den Teig schon flink in Form, ehe er sie auf großen Holzbrettern zwischenlagert. Er arbeitet Christel Strack zu. Sie schnappt sich die Bretter und schneidet die dünnen Rollen mit geübtem Blick und scharfem Messer in kleine Stücke. Auf diese wartet schon Anja Mirche. Die Bäckerin schichtet die kleinen Teigstücke dicht an dicht auf ein großes Backblech. Blech für Blech füllt sich so. An einem Backtag werden rund 50 Kilo Mehl und andere Zutaten verarbeitet. Weil der Arbeitsaufwand so groß ist, wird ein Teil der gefüllten Bleche sofort abgebacken. Ein weiterer Teil wird schockgefrostet und bei Bedarf schonend aufgetaut und weiterverarbeitet.

So werden zwar nur alle zwei bis drei Tage Pfeffernüsse in der Backstube produziert. Im Laden aber liegen sie täglich frisch im Tresen. Denn eins weiß Christel Strack: "Die heimischen Pfeffernüsse schmecken einfach nur ganz frisch - möglichst noch warm!"

Das wissen auch die Kunden, die oft von weit her nach Enger kommen, um sich mit der Spezialität zu versorgen. Viele Bäcker, die ostwestfälische Pfeffernüsse backen, hat es noch nie gegeben. Und es werden immer weniger. Christel Strack weiß, dass das spezielle Gebäck außer in Enger seit jeher nur in einigen Nachbargemeinden wie Spenge, Herford und vielleicht noch Jöllenbeck gebacken wurde. Darüber hinaus war und ist das Gebäck unbekannt. Und viele dieser Bäcker würden das Lebkuchenbrot heute nicht mehr backen, weil es zu viel Arbeit macht.

Warum sich diese spezielle Pfeffernussart nur in Enger und allernächster Umgebung entwickelt hat und warum es nur rund um den Martinstag gebacken wurde, weiß Christel Strack nicht. Möglicherweise aber geht die Geschichte auf einen alten Brauch zurück. Der 10. November war früher traditionell der Tag, an dem Landarbeiter und Dienstpersonal über den Winter entlassen wurden. Um den Winter zu überstehen, schickten sie ihre Kinder von Haus zu Haus, damit sie um Lebensmittel baten. Später entwickelte sich daraus das Martinisingen.

Christel Strack erinnert sich, dass sie als Kind beim Martinssingen oft auch ein Stück Pfeffernuss bekommen hat - damals nicht immer zu ihrer Freude. Heute freut sie sich zwar, wenn die stressige Pfeffernuss-Zeit in der Backstube bald zuende geht. Übergegessen hat sie sich das ganz besondere Gebäck aber noch lange nicht.