Mit Kanonendonner ins Mittelalter

Hunderte Besucher lassen sich an der Werburg in vergangene Jahrhunderte entführen

Harald Maußner von der Mittelalter-Gruppe "Nürnberger Aufgebot von 1474" säubert das Kanonenrohr der großkalibrigen Kammerbüchse. Sie ist ein Nachbau einer Kanone aus dem 15. Jahrhundert. | © FOTO: MAREIKE PATOCK

29.06.2009 | 29.06.2009, 00:00

Spenge. Der junge Mann mit dem Kettenhemd kniet nieder zum Gebet. Er murmelt ein paar lateinische Worte, dann gibt er den Befehl zum Schießen. Eine Magd in mittelalterlicher Robe zündet mit der Lunte die Kanone. Ein ohrenbetäubender Lärm durchbricht die gespannte Stille an der Werburg.

Hunderte von Besuchern schauen beim Mittelalterfest zu, wie die Gruppe "Nürnberger Aufgebot von 1474" den Nachbau einer großkalibrigen Kammerbüchse zündet. Im 15. Jahrhundert war die Kanone mit jeder Menge Schwarzpulver und Kugeln aus Stein geladen. Beim Mittelalterfest will man jedoch auf Nummer sicher gehen: "Da ist nur Pulver und Gras drin", sagt Tobias Putzo von der Gruppe aus Süddeutschland.

Völlig ungefährlich also. "Und außerdem haben wir ja vorher gebetet, da kann uns sowieso nichts passieren", scherzt der Mann im Kettenhemd, der den Schießbefehl erteilt hat.

Was den Zuschauern ein wenig seltsam vorkommt, war im Mittelalter Brauch: Bevor die Soldaten die Kanonen zündeten, versanken sie im Gebet. "Die Menschen waren damals sehr religiös", sagt Harald Maußner vom "Nürnberger Aufgebot".

Etwas abseits von der Gefechtstellung bereiten Sonja Hänisch und Nadine Schulz ein mittelalterliches Mittagessen zu. Unbeirrt von dem Getöse hinter ihnen, schnippeln sie Radi, Zwiebeln und Rote Beete: ein Essen für das einfache Volk. "Früher hat man vor allem mit dem gekocht, was es in der Saison gab", sagt Hänisch. Den Hunger stillte aber besonders eines: Brot. "Am Tag haben die Menschen im Mittelalter bis zu 500 Gramm davon gegessen", sagt Hänisch und erklärt: "Brot war billig und füllte den Magen."

Dass es auch in der Vergangenheit schon schmackhaft war, beweist Ayla Quiel von der Mittelaltergruppe "Experimentum". Aus 20 Kilogramm Teig formt sie kleine Bällchen: mittelalterliche Roggen-Weizen-Brötchen auf Sauerteigbasis. Zahlreiche Besucher drängen sich um ihren Stand. Sie alle wollen die Brötchen von damals kosten.

Die müssen jedoch erstmal in den Ofen – in kein neuzeitliches Elektronikmodell versteht sich, sondern in einen mittelalterlichen Lehmkuppelofen. Die nachgebaute Variante steht etwas abseits von Quiels Stand auf einem kleinen Holzkarren. Vier Stunden vor Beginn des Festes hat Quiel den Ofen angefeuert. "600 Grad kann der heiß werden", sagt sie. Zum Brötchenbacken definitiv zu viel.

Um die Temperatur zu drücken, wischt Quiel den Ofen mit einem nassen Lappen aus. Anschließend streut sie Mehl ins Innere. "Wenn das nicht mehr verbrennt, haben wir die ideale Temperatur zum Brötchen backen", sagt Ayla Quiel und zupft ihre mittelalterliche Tracht zurecht.

Ob Magd oder edler Recke – seltsam gewandete Menschen laufen den Besuchern zuhauf über den Weg. Besucher Kolja Doehmen ist angetan: "Das ist eine richtig schöne Atmosphäre. Kultur und Geschichte des Mittelalters würden anschaulich dargestellt.

Mittelalterlich in Schale geworfen hat sich auch Harald Maußner. Neben Hose und Wams trägt er ein sogenanntes Gambeson – ein gestepptes Gewand, das unter der Ritterrüstung getragen wurde. "Aus bis zu 20 Lagen Leinen wurden die Gambesons gefertigt", sagt Maußner: "Da kam man selbst mit einem Messer nicht durch."

Piet ist dagegen eher angetan von den eisernen Teilen der Ritterrüstung, die neben Maußner liegen. Kurzerhand greift sich der Achtjährige einen metallbeschlagenen Fingerhandschuh und streift ihn über. "Die Finger kann man darin zwar bewegen", sagt der Junge. "Aber schwerer als ein Winterhandschuh ist er schon."