
Bünde. Dass der Islam Frauen als Menschen minderer Qualität betrachtet und dass islamische Frauen sich deshalb nicht durchsetzen können, sind weit verbreitete Vorurteile. Richtiger werden sie deshalb nicht. Und ein Gegenbeispiel ist Hülya Gülec, die seit 1970 im Bünder Land lebt - als Vorbild für manche vermeintlich emanzipierte deutsche Frauen.
Gülec kam nach Deutschland, nachdem ihre resolute Mutter Emine sich nach dem frühen Tod des Vaters entschlossen hatte, ihr Glück in der Ferne zu suchen. Zurück blieben vier Kinder, Hülya als Älteste musste mit nur 16 Jahren die Mutter vertreten und ihre Ausbildung als Näherin abbrechen. "Ich fand das nicht gut", erinnert sich Hülya. Aber wenig später holte die Mutter, die sich in Lübbecke niedergelassen hatte, die Kinder nach. Für Hülya fand sich ein Job in einer Hähnchen-Schlachterei. Aber der gefiel ihr überhaupt nicht und sie heuerte als Näherin in der Textilfabrik Vogelsang in Stockhausen an.
1973 zog die Familie auf das Gut Steinlake in Kirchlengern, Hülya machte ihren Führerschein. Allerdings im zweiten Anlauf, denn in der Theorie fiel die 18-Jährige zunächst durch, weil sie trotz schon sehr ordentlicher Deutsch-Kenntnisse nicht den Unterschied zwischen "geraden" und "ungeraden" Wochentagen kannte.
Im "wahren Leben" hingegen war Hülya Gülec auf Anhieb erfolgreich. Nachdem sie im Türkei-Urlaub 1973 ihren Mann kennen gelernt und ihn Anfang 1974 geheiratet hatte, war durch die Geburt von Tochter Özden die Familie Ende 1974 komplett. Die Näherei geriet aber nicht in Vergessenheit und 1981 entschloss sich Hülya zur Einrichtung ihrer ersten Änderungsschneiderei in Kirchlengern. "Ich musste den Hausbesitzer vorher nur überzeugen, dass er mit meiner Näherei besser fahren würde als mit seiner Spielhalle", schildert Hülya Gülec die Vorgeschichte. "Aber dann hat er Ja gesagt. Und die Lage war sehr praktisch, weil Özden die Grundschule Kirchlengern besuchte und sie es vor und nach dem Unterricht nicht weit nach Hause hatte."
Ihrer Tochter Özden tat die Mutter später noch einen weiteren Gefallen. "Sie war traurig, dass sie ein Einzelkind war", erinnert sich die mittlerweile dreifache Oma. Und so erblickte 1983 Schwester Zerren das Licht der Welt. Die schwere Geburt des 7-Monats-Kindes brachte aber Komplikationen. Hülya Gülec erkrankte und musste das Geschäft in Kirchenlengern aufgeben. Bald ergaben sich auch Probleme mit dem Gemahl, der in Deutschland nicht so gut klar kam, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Es folgte die Scheidung, der Mann kehrte zurück in die Türkei. Mittlerweile, so Hülya, sei das Verhältnis aber wieder gut und der Ex-Gemahl komme regelmäßig zu Besuch.
Die Gesundheit machte der von da an allein erziehenden Mutter aber weiter zu schaffen. Auch nach dem Neubeginn an der Brunnenallee in Bünde erkrankte Hülya schwer, erneut musste sie ihre Änderungsschneiderei schließen. Im Marktkauf folgte ein dritter Versuch, dann der Umzug an die Straße "Aufm Tie" in der City. Und dort hat die Frau mit dem offenbar unerschütterlichen Lebensmut offenbar ihr Glück gefunden. Mal abgesehen davon, dass auch für die Betreiberin einer Änderungsschneiderin Umsatz nicht gleich Gewinn ist und dass ihr eine Erfindung namens "Umsatzsteuer" zu schaffen macht.
Ihren Töchtern eine gute Mutter gewesen zu sein, erfüllt Hülya Gülec aber mit Zufriedenheit. Und dass die drei mitsamt Enkelkindern und Oma Emine nun gemeinsam in einem Haus leben, das die Frauen selbst renoviert haben. ist für Hülya Gülec eine Art "Happy End" eines alles andere als leichten Lebens.