Bünde / Kirchlengern

Suche nach dem Weg aus der Notlösung

Seltene Erbkrankheit: Junges Paar kämpft um Nachmittagsbetreuung für seinen siebenjährigen Sohn

Viele Symptome, die es beim Smith-Magenis-Syndrom schwierig machen, eine passende Betreuung nach der Schule zu finden. Ursache der Krankheit ist ein mutiertes Chromosom. | © COLLAGE: GERALD DUNKEL

12.05.2013 | 12.05.2013, 11:23

Bünde/Kirchlengern. Leben mit einem kranken Kind: für betroffene Eltern nicht nur wegen der Krankheit selbst täglich eine Herausforderung. Umso mehr noch, wenn es sich dabei um einen seltenen Gendefekt handelt, der auch die unterstützenden Behörden vor Fragen stellt. Seit Monaten kämpft ein Paar um eine Nachmittagsbetreuung für seinen siebenjährigen Sohn.

Als Tim Luca sechs Jahre alt war, diagnostizierten Ärzte bei ihm das Smith-Magenis-Syndrom (SMS), eine seltene Erkrankung, die ihre Ursache in der Mutation eines Chromosoms hat. Entwicklungsverzögerungen in der Sprache, Hyperaktivität, Aggressivität und Schlaflosigkeit sind nur einige der Symptome. Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) war zuvor von einem Kinderpsychiater schnell diagnostiziert, was sich als Fehler herausstellte.

Die Eltern, Yvonne Klitzke und Simon Caboni aus Kirchlengern, haben Jahre ohne richtigen Schlaf hinter sich, denn ihr Sohn wurde alle zwei bis drei Stunden wach und tobte durch die Wohnung (wir berichteten).

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Häufigkeit von 1:25.000 Geburten


Das Smith-Magenis-Syndrom entsteht nach heutigem Wissensstand spontan und ist weder auf ein Fehlverhalten während der Schwangerschaft noch auf Umwelteinflüsse unmittelbar zurückzuführen. Es tritt mit einer Häufigkeit von 1:25.000 Geburten auf. Neben Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten kommt es häufig zu chronischen Ohrenentzündungen und Hörschwächen. Je nach Ausprägung können weitere körperliche Einschränkungen auftreten wie Herzfehler oder Muskelschwäche.

Die Wittekindschule mit dem Schwerpunkt Sprachförderung bei regulärem Grundschullehrplan, die Tim Luca seit August besucht, bietet keine Nachmittagsbetreuung an, was für die berufstätigen Eltern ein Pro-blem darstellt. Die heilpädagogische Betreuung am Nachmittag im Waldschlösschen in Bünde wird vom Jugendamt des Kreises Herford nicht mehr getragen, seit im Winter bekannt wurde, dass der Junge nicht an einer seelischen Erkrankung leidet, sondern als behindert gilt.

Seit dem kämpfen die Eltern von Tim Luca um eine adäquate Nachmittagsbetreuung. Gespräche mit dem Sozialamt fanden statt, das letzte protokollierte war im Februar. "Seit dem mussten wir uns immer wieder mit Notlösungen innerhalb der Familie über Wasser halten", erklärt Yvonne Klitzke. Doch der Kreis Herford steht in Fällen wie diesem auch erst einmal vor vielen Fragen.

"Wir können nicht einfach eine Schublade öffnen und die Lösung hervorholen", erläuterte Abteilungsleiter Udo Rolfsmeier vom Kreis Herford gestern gegenüber der NW. "Wir müssen speziell hier viele verschiedene Systeme und Einrichtungen unter einen Hut bringen." So habe sein Amt sich mit mehreren Grundschulen in Hiddenhausen und auch Kirchlengern in Verbindung gesetzt, die eine Nachmittagsbetreuung anbieten. Doch letztendlich hat die Bezirksregierung in Detmold den Bemühungen des Sozialamtes in dieser Woche einen Strich durch die Rechnung gemacht.

"Es ist dort generell nicht gewollt, dass externe Schüler die Nachmittagsbetreuung einer Grundschule nutzen. Diese Antwort hat uns jetzt selbst überrascht", so Udo Rolfsmeier. Zudem sei es mit der alleinigen Betreuung für Tim Luca nicht getan, denn der Siebenjährige hat während seines Unterrichts in der Wittekindschule einen so genannten Integrationshelfer an der Seite, da der Junge wegen seines teilweise aggressiven Verhaltens sich selbst und anderen gegenüber einer 1:1-Betreuung bedarf. Diese Hilfen nachmittags zu stellen, sei für das Sozialamt möglich, so Rolfsmeier. "Doch in erster Linie müssen wir uns darum kümmern, dass Tim Luca überhaupt eine Nachmittagsbetreuung bekommt, die seinen Bedürfnissen gerecht wird."

Eine Betreuung in einer Wohngruppe des Wittekindshofs an den Nachmittagen lehnten die Eltern ab. Ihre Sorge gelte dabei allerdings eher den anderen Bewohnern, weil sie nicht wissen, wie ihr Sohn auf Menschen mit Behinderung reagiere. "Der Kontakt zu gleichaltrigen Kindern ohne Behinderung hat positiv auf Tim Luca gewirkt", so Yvonne Klitzke. "Diese Entscheidung der Eltern müssen wir akzeptieren", sagt Udo Rolfsmeier, dessen Abteilung nun nach weiteren Lösungen sucht. Eine könnte eine Betreuung im Kinderschutzbund Bünde sein. Dort haben Yvonne Klitzke und Simon Caboni ihren Sohn seit einigen Wochen schon selbst in der Hausaufgabenbetreuung untergebracht, was zurzeit funktioniere – allerdings ohne heilpädagogischen Ansatz.

"In den Sommerferien stehen wir aber wieder vor dem Problem", so Simon Caboni. Denn bei Ferienspielangeboten, die viele Eltern außerhalb ihres Urlaubs für ihre Kinder nutzen, können sie Tim Luca nicht anmelden.