BÜNDE

Als Mensch zu Gast in Bünde

50 Jahre Einwanderung aus der Türkei haben ihre Spuren hinterlassen

Jürgen Hensiek (links) war einer der ersten Bünder, die sich um die Integration türkischer Arbeitskräfte bemühte. In ihrer neuen Heimat haben Hüseyin Sanal, Yasar Tekerek, Ramazan Kara und Mehmet Ali Keles (v.l.) dabei unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. | © FOTO: FELIX EISELE

30.07.2011 | 30.07.2011, 00:00

Bünde. Sie kamen als Gastarbeiter und blieben als Menschen. Als am 31. Oktober 1961 das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei unterzeichnet wurde, ahnte man hier noch nicht, wie ein einziges Dokument die deutsche Gesellschaft für immer verändern würde. Denn aus den dringend benötigten Arbeitskräften von einst sind längst Bünder mit türkischen Wurzeln geworden.

50 Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Ganze Generationen türkischer Mitbürger landeten im Zuge des Anwerbeabkommens an den Werkbänken im Bünder Land. Ein Leben zwischen Heimweh und freundschaftlichem Miteinander begann und bescherte der einheimischen Bevölkerung eine bis heute andauernde Herausforderung im täglichen Nebeneinander. Integration ist zum gesellschaftlichen Schlüsselwort des 21. Jahrhundert geworden. Denn dass sich hinter den Arbeitern Menschen verbergen, wurde vielerorts übersehen.

Jürgen Hensiek suchte schon früh den Kontakt zu seinen neuen Mitbürgern aus der Türkei, bemühte sich um Annäherung. "Das sind wir ihnen schuldig", sagt der Pensionär. Ohne Gastarbeiter, so seine Überzeugung, hätte Deutschland ein handfestes Problem bekommen. "Wenn man Menschen aus ihrer Heimat in ein neues Umfeld holt, muss man auch für ein gutes Verhältnis zueinander sorgen". Einer, der es am eigenen Leib erfahren hat, ist Yasar Tekerek (68). Als Tischler brach er 1970 ohne Sprachkenntnisse nach Bünde auf. Höchstens zwei Jahre wollte er bleiben, das Konto aufbessern und mit profundem Wissen zurück kehren.

Es sollte anders kommen. Tekerek fand ein Land mit freundlichen Menschen vor. "Die Deutschen", sagt er, "haben immer alles für uns getan". Behörden, Kollegen, Nachbarn - die Eingliederung Tekereks war von Beginn an erfolgreich. Ein Jahr später folgte ihm seine Frau. Erst später, zu Zeiten von Rezession und Ölkrise zeigten sich die Kehrseiten der Migration. In Sorge um eigene Arbeitsplätze mehrten sich fremdenfeindliche Äußerungen, Klischees wurden aufgebaut. Und plötzlich wurden auch die Sprachbarrieren türkischer Migranten zum Problem für beide Seiten.

Ramazan Kara sprach kein Wort deutsch, als er 1973 als 14-Jähriger seinen Eltern nach Deutschland folgte. Ein Schulbesuch blieb ihm verwehrt, auch die Aufnahme bei den Fußballern vom VfL Holsen ließ lange auf sich warten. "Ich konnte ihnen ja nicht sagen, dass ich gern mitspielen möchte", sagt Kara.

Der fehlende Anschluss geriet zur Belastung, die sich 1980 verschärfen sollte, als sein Vater in die Türkei zurück kehrte. "Ich war Anfang 20, verheiratet und hatte plötzlich eine enorme eigene Verantwortung". Und das in einem Land, in dem die Zeit nach Karas Worten schneller tickt als in der Heimat. "Auf Dauer", sagt er, "ist das nicht aushaltbar". Hüseyin Sanal sieht das ähnlich. Vor 35 Jahren verschlug es ihn nach Deutschland, wo er sich nach Hauptschule und Lehre mit einem Fliesen-Fachgeschäft selbstständig machte. Vieles habe ich sich seither geändert, Integrationsmaßnahmen und Verständnis im Miteinander seien besser als je zuvor. Der Wohlfühlfaktor bleibe aber gering. "Deutschland ist eine Leistungsgesellschaft", sagt Sanal, "der zunehmende Stress macht viel kaputt". Hinzu komme der Mangel an guten Jobs, die mittlerweile von der Leiharbeit ins Abseits gedrängt würden. Unter dieser Last leide auch das Befinden der Deutschen. "In Zukunft werden sie mehr Integrationsprobleme haben als die Ausländer".

Probleme, die der gebürtige Bünder Mehmet Ali Keles nie kennen gelernt hat. "Ich habe viele Freunde aus vielen Nationen", sagt der Schüler, der sich ehrenamtlich beim Kinderschutzbund engagiert. Trotz seiner Verbundenheit zur türkischen Kultur sei Deutschland seine Heimat. "Hier sind auch die Zukunftschancen besser". So wie Keles soll es auch den Kindern von Ramazan Kara und Hüseyin Sanal gehen. "Ihre Eigenständigkeit ist mein einziges Ziel", sagt Kara. Sanal geht noch einen Schritt weiter: "Sobald es so weit ist, kehre ich zurück in die Türkei. In meine Heimat".