Mutter kritisiert Gesundheitssystem Vierjährige im Herforder Klinikum gestorben: "Emilys Schicksal ist kein Einzelfall"

Bünde/Herford. Das Haus und der Garten sind geschmückt, als in Hunnebrock ein Kindergeburtstag gefeiert wird. Es gibt eine bunte Torte, die Gäste singen Geburtstagslieder. Doch ein besonderer Gast fehlt: Die kleine Emily, die an diesem 15. Februar ihren fünften Geburtstag feiern sollte. An Neujahr ist das Mädchen im Klinikum Herford verstorben. &bdquo;Emily hat sich schon so auf ihren Geburtstag gefreut. Hätten wir ihn nicht gefeiert, hätte ich ein schlechtes Gewissen gehabt“, sagt ihre Mutter, Lara Janke. Das Schicksal der jungen Bünderin hat viele Menschen bewegt – nicht nur in ihrer Heimatstadt, sondern deutschlandweit. Doch warum ist Emily, die sich an Weihnachten noch über ihre neuen Inline-Skates gefreut hat, nur wenige Tage später in der Kinderklinik verstorben? Eine Antwort auf diese Frage gibt es mehr als zwei Monate nach ihrem Tod noch nicht. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat ein Tötungsermittlungsverfahren eröffnet, die Familie hat einen erfahrenen Anwalt für Medizinrecht eingeschaltet. Die Todesursache: bisher noch ungeklärt. Die Familie geht nun an die Öffentlichkeit und sagt: &bdquo;Emilys Schicksal ist kein Einzelfall.“ Mutter weint am Telefon In der Nacht zum 27. Dezember bekommt Emily hohes Fieber und muss sich mehrfach übergeben. Am Morgen kommt noch Nasenbluten dazu. Lara Janke ruft einen Krankenwagen. &bdquo;Ich habe am Telefon geweint, ich war fix und fertig“, sagt sie. Laut der Mutter wird ihre Bitte zuerst abgewiesen. Dann wird doch ein Krankenwagen nach Hunnebrock geschickt. Der Zustand des kleinen Mädchens verschlechtert sich. &bdquo;Emily hat kaum mitbekommen, dass Fremde vor ihr standen“, sagt ihre Mutter. Die Besatzung des Krankenwagens soll gesagt haben, dass es für Emily besser sei, wenn die Eltern ihre Tochter ins Krankenhaus bringen. Lara Janke fährt mit ihrer Tochter in die Herforder Kinderklinik. &bdquo;Dort musste ich mehr als drei Stunden mit meiner Tochter im Arm warten“, sagt sie. Die Klinik sei voll gewesen, mit Kindern und Eltern. Nach langer Wartezeit kümmert sich dann eine Ärztin um Emily. &bdquo;Wir haben 90 Minuten im Behandlungszimmer verbracht, die Ärztin war vielleicht nur 20 Minuten bei uns – aber nicht am Stück“, sagt die Mutter. Immer wieder habe das Telefon geklingelt, immer wieder habe die Ärztin das Zimmer verlassen, berichtet Lara Janke. Dann soll die Medizinerin von der Diagnose &bdquo;Influenza“ gesprochen haben, also eine Grippe. &bdquo;Sie hat noch gesagt, dass die Blutwerte grenzwertig sind. Man hätte aber nur Kapazitäten für Kinder, die nicht bis zum nächsten Tag aushalten“, erzählt Janke. Medikamente sind nicht zu bekommen Die Mutter bekommt den Rat, mit Emily wieder ins Krankenhaus zu kommen, wenn das Erbrechen nicht nachlasse. Zudem soll sie ihrer Tochter Zäpfchen geben: &bdquo;Ibuprofen und Paracetamol“, sagt Lara Janke. Doch die sind im Dezember 2022 kaum zu kriegen. Acht Apotheken fährt die Mutter mit ihrer geschwächten Tochter ab. &bdquo;Es gab aber keine Medikamente. Zum Glück hat mir eine Freundin noch Zäpfchen gebracht“, sagt Janke. In der Nacht geht es Emily weiter schlecht, doch am Tag des 28. Dezember klingen die Symptome etwas ab. Beim Einkaufen bringt Schwester Kiara (6) ihr einen Mini-Berliner mit. &bdquo;Dann hat Emily sogar ein paar Erdbeeren gegessen“, erzählt Lara Janke. Mit ihrer Tochter bastelt sie sogar etwas. &bdquo;Das hat mir Hoffnung gemacht“, sagt die Mutter. Doch in der Nacht kommt das Fieber zurück – und steigt auf 41 Grad an. &bdquo;Da dachte ich erst, dass das Fieberthermometer kaputt sein muss.“ Emily wird immer schwächer Die Eltern versuchen alles, um das Fieber zu senken. Am 30. Dezember ruft Lara Janke in einer Kindernotfallpraxis an. &bdquo;Ich habe mir so große Sorgen gemacht“, sagt die Mutter. Emily ist zu dem Zeitpunkt so schwach, dass sie sich selbst nicht mehr anziehen kann. &bdquo;Ich musste sie in die Praxis tragen, sagt Lara Janke. Dort wird das Mädchen von einem Arzt untersucht. &bdquo;Er hat mich gefragt, was im Krankenhaus gesagt worden ist. Ich habe dann gebeten, dass ein Abstrich bei meiner Tochter gemacht wird“, sagt Lara Janke. Der Arzt soll aber nur erwidert haben, dass das nicht nötig sei, weil es nicht interessant sei, welche Grippe Emily habe. Die Mutter bittet um eine Blutuntersuchung. &bdquo;Das hat er auch abgelehnt“, sagt sie. Anschließend soll der Mediziner Mutter und Tochter beruhigt haben. &bdquo;Er hat die Hand auf Emilys Schulter gelegt und gesagt: Du trinkst jetzt viel, dann wirst du wieder gesund“, sagt Lara Janke. Wartezeiten bis zu acht Stunden Dann bittet die Mutter um ein Rezept für Fieberzäpfchen und berichtet dem Arzt, dass diese schwer zu bekommen seien. &bdquo;Er hat geantwortet, dass er das zum ersten Mal höre“, sagt Lara Janke. Im Ort stoppt sie an drei Apotheken, doch auch hier ist die Medizin nicht zu bekommen. &bdquo;Ich habe dann per Whatsapp nachgefragt und ganz viele Mütter aus dem Kindergarten haben mir geholfen. Es ist doch verrückt, dass man nur auf diesem Weg Medikamente bekommt“, sagt Janke. Über Silvester ändert sich Emilys Zustand nicht. Lara Janke versucht, ihre Tochter zu beruhigen und zum Einschlafen zu bringen. &bdquo;Ich habe ihr noch eine Geschichte vorgelesen“, sagt sie. Doch Emily ist selbst zum Einschlafen zu schwach. An Neujahr gegen 4.30 Uhr greift Lara Janke zum Telefon und ruft in der Kinderklinik an. Dort soll man ihr gesagt haben, dass sie kommen könne – aber mit Wartezeiten von sieben bis acht Stunden rechnen müsse. Hoher Entzündungswert im Blut In ihrer Verzweiflung fährt die Mutter mit ihrer kranken Tochter zu einer Kindernotfallpraxis. &bdquo;Das war die erste Ärztin, die den Ernst der Lage erkannt hat“, sagt Janke. Die Medizinerin sagt der Mutter, dass sie sofort ins Krankenhaus fahren solle. In der Zeit würde sie in der Klinik anrufen. Emily müsse sofort behandelt werden. &bdquo;In Herford wurde Emily dann sofort untersucht“, sagt Janke. Als ihre Tochter gewogen werden soll, ist sie zu schwach. &bdquo;Sie hat gesagt, dass sie dann umkippt.“ Zudem hat sie Probleme beim Sprechen, vertauscht immer Wörter. Es werden Tests gemacht, dem Mädchen wird Blut abgenommen. Laut Lara Janke habe der Entzündungswert im Blut bei 300 gelegen. &bdquo;Normal ist 5, bei 100 ist es lebensbedrohlich“, sagt sie. Dann habe man ihrer Tochter zwei verschiedene Antibiotika gegeben. "Ich wusste, etwas Schlimmes ist passiert" Die Ärzte wollen laut Lara Janke auch den Urin ihrer Tochter untersuchen, doch Emily kann kein Wasser mehr lassen. Ein Katheter soll gelegt werden. Doch vorher muss das Mädchen sediert werden. Die Zeit vergeht und Emily wird immer schwächer. Dann sagt das Mädchen: &bdquo;Mama, ich sterbe gleich. Ich habe so Durst. Wenn ich jetzt nichts trinke, dann sterbe ich.“ Lara Janke versucht, ihre Tochter zu beruhigen. Irgendwann wird im Klinikum entschieden, das kleine Mädchen nach Bethel zu verlegen. Dafür müsse Emily aber an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Gemeinsam mit einer Freundin wartet Lara Janke vor dem Klinikum darauf, dass sie dem Krankenwagen in Richtung Bethel folgen können. Doch das Fahrzeug kommt nicht. Nach etwa 20 Minuten sei dann eine Frau mit ernstem Blick zu ihr gekommen. &bdquo;Da wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert ist“, sagt Lara Janke. Sind Streptokokken die Todesursache? Die Mutter berichtet, dass man ihr einige Tage nach dem Tod ihrer Tochter mitgeteilt habe, dass Emily eine Streptokokken-Infektion gehabt habe. Das habe zu einer Blutvergiftung geführt. &bdquo;Mit einem Abstrich hätte man das feststellen können. Dann hätte man schnell ein Ergebnis gehabt. Hätte man mein Kind schon am 27. Dezember im Krankenhaus aufgenommen, dann würde Emily heute noch leben“, sagt Lara Janke. Neben dem Schmerz der Trauer spürt die Mutter auch Verärgerung und Wut: über die Mängel im Gesundheitssystem. &bdquo;Ich vertraue den Ärzten nicht mehr und ich habe Angst, hier in Deutschland krank zu werden“, sagt sie. Der Grund: Ihrer Meinung nach seien viele Ärzte aufgrund des Personalmangels in den Krankenhäusern mittlerweile überfordert, zudem gebe es Medikamentenmangel. Der Tod ihrer Tochter ist eine Folge dieser Probleme. &bdquo;Emily brauchte Hilfe. Das hat keiner gehört, keiner wahrgenommen“, sagt Lara Janke. Mutter gründet Facebook-Seite Auf ihrer Facebook-Seite, die sie &bdquo;Emilys Erinnerungsseite“ genannt hat, möchte sie aufklären und sich mit Familien vernetzen, die Ähnliches erlebt haben. &bdquo;Im Gesundheitssystem muss sich etwas ändern“, sagt Lara Janke, die sich mittlerweile mit vielen Eltern ausgetauscht hat. &bdquo;Jeder zweite Gesprächspartner berichtet von Behandlungsfehlern.“ Dann denkt sie auch immer wieder an ihre Tochter. Ein süßes, wunderschönes Kind sei sie gewesen. Aufgeweckt, neugierig und höflich. &bdquo;Emily war im Kindergarten sehr beliebt“, sagt Lara Janke. Schwer ist die Zeit der Trauer nicht nur für die Eltern, sondern auch für Emilys Schwester Kiara. Mit Emily hat sie fast alles gemeinsam gemacht: einfach gespielt oder heimlich Toast mit Nutella gegessen. Kiara feiert bald ihren siebten Geburtstag. &bdquo;Sie hat nur einen Wunsch: Dass Emily wieder kommt“, sagt Lara Janke. 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