Straßenbaubeiträge: „Das kann Familien ruinieren“

Bünde. Einigen Anwohnern steht regelrecht Panik ins Gesicht geschrieben. Sie fürchten kaum etwas mehr als den Ausbau der Straße, an der sie wohnen. Fünfstellige Summen, die sie an die Stadt zahlen sollen, sind die Regel. In Dünne sogar bei einem Landwirt 210.000 Euro. Sie gingen am Donnerstagabend auf die Straße, um zu protestieren. &bdquo;Stadt Bünde – Schluss mit dem realen Irrsinn" steht auf den Schildern der Initiative von Anwohnern der mittleren Klusstraße in Dünne und des Schluchtwegs in Holsen. Die etwa 250 Teilnehmer kamen aber nahezu aus allen Stadtteilen. &bdquo;Wir zahlen nicht!" Das war die lautstarke Aussage vieler Demonstranten. Oder auch &bdquo;Straßen saniert, Bürger ruiniert!" Sie zogen am frühen Donnerstagabend vom Tönnies-Wellensiek-Platz zum Rathaus, wo am Abend der Verkehrsausschuss tagte. "Ich muss mein Elternhaus verkaufen, in dem ich 80 Jahre gelebt habe." &bdquo;Wir haben unser Haus über viele Jahre abbezahlt, weil wir von unserer Rente keine Miete mehr zahlen wollten. Jetzt sind wir Rentner und sollen mehr als 20.000 Euro zahlen. In unserem Alter brauchen wir bei keiner Bank mehr nach einem Kredit zu fragen", echauffierten sich Anwohner der Klusstraße in Dünne. Die 80-jährige Gertrud Kammermann, ebenfalls Anwohnerin der (mittleren) Klusstraße, sagte: &bdquo;Ich wohne seit 80 Jahren in meinem Elternhaus. Das muss ich jetzt verkaufen." Sie soll 32.000 Euro zahlen. Es sind aber eben nicht nur die älteren Hauseigentümer betroffen, sondern auch jüngere Familien mit Kindern, die &bdquo;froh seien, dass sie ihr Haus abbezahlen können. Diese Straßenbaubeiträge können Familien ruinieren", so ein Anwohner des Schluchtwegs. "Wir müssen für die Versäumnisse der Stadt aufkommen." Mit 15.000 Euro noch vergleichsweise gering belastet sind Tina und Michael Rose aus Holsen. Sie sind mit ihrem siebenjährigen Sohn Linus Anwohner des Inselwegs in Holsen und haben ihr Haus dort erst am Mittwoch gekauft. &bdquo;Wir wussten zwar schon, was auf uns zukommt, aber es belastet die Finanzierung natürlich trotzdem zusätzlich", sagte Tina Rose am Abend auf dem Tönnies-Wellensiek-Platz, bevor die etwa 250 Protestierenden die Eschstraße hinunter zum Rathaus zogen. Michael Rose hatte ein Foto des maroden Inselwegs in der Tasche und sagte: &bdquo;Das hätte man zu einer anderen Zeit günstiger sanieren können. Da hat man einfach zu lange gewartet." Seine Frau Tina ergänzt: &bdquo;Vom Technischen Beigeordneten habe ich bei unserer Anliegerversammlung keine Antwort auf die Frage bekommen, zu welchem Zeitpunkt eine Sanierung mit geringen Mitteln möglich gewesen wäre." Bürgermeister Wolfgang Koch verlas vor der Sitzung des Verkehrsausschusses eine Stellungnahme vor den Bürgern. Er sagte, &bdquo;dass die Stadt durch Bundes- und Landesrecht dazu verpflichtet ist, Abgaben zu erheben. Dazu zählen eben auch jene Beiträge, die derzeit für Furore sorgen". Solange das Land NRW an der geltenden Rechtslage nichts ändere, werde die Stadtverwaltung weiterhin, entsprechend dem vom Rat der Stadt beschlossenen Straßeninvestitionsprogramm, in das Straßennetz investieren. Allerdings hat sich die Verwaltung der Stadt zwei Lösungen zur Entlastung der Bürger überlegt, die sich rechtskonform durchführen lassen. &bdquo;Mir ist natürlich bewusst, dass mit diesen Beitragspflichten zum Teil erhebliche Lasten auf die Anlieger zukommen", sagte Koch. Das Entgegenkommen der Stadt stellt sich wie folgt dar: Die Bürger können ihren Beitrag über fünf Jahre staffeln und in Raten zahlen. Bei pünktlicher Ratenzahlung wird auf die Erhebung von Zinsen verzichtet. Sollte das Land NRW beschließen, dass diese Beiträge künftig nicht mehr erhoben werden, will die Stadt den Anliegern gezahlte Raten rückvergüten. Um diese Punkte umzusetzen, müsste der Stadtrat einer Änderung der entsprechenden Satzung zustimmen. Bünde zäumt das Pferd von hinten auf Damit zäumt Bünde das Pferd im Gegensatz zu Herford von hinten auf. Dort wurden die Straßenbaubeiträge (diese haben nichts mit der Erschließung nach BauGB zu tun – siehe Infokasten) bis zu einer Entscheidung der NRW-Landesregierung ausgesetzt. Bünde würde sie zwar zunächst einfordern, aber gegebenenfalls an die Anlieger zurückzahlen. Etwa 150 Demonstranten wohnten dem öffentlichen Teil der Sitzung auf der Besucherempore bei. Während der Technische Beigeordnete Andreas Siepenkothen mit Buh-Rufen empfangen wurde, quittierten sie die Vorschläge des Bürgermeisters sogar mit Applaus. Einige nahmen sein Angebot an, nach seiner Erklärung mit ihm im Rathausfoyer persönlich zu sprechen. Minuten später fiel die Entscheidung mit elf Ja- und zwei Nein-Stimmen bei einer Enthaltung, dass der Schluchtweg gemäß der vorgestellten Planung ausgebaut werden soll.

Meistgelesen