Reportage: Eine Nacht in der Flüchtlingsunterkunft Ahle

Bünde. Im Bett links weint ein Kind, rechts hört ein Mann Radio, ein zweiter hustet, ein dritter schnarcht. Die Neonröhre flimmert, die Tür geht auf, vom Flur dringt Gelächter ans Ohr. 1.15 Uhr zeigt das Handy an, an Schlaf ist nicht zu denken. Am besten macht man's wie die anderen: Ein paar Decken ums Bett hängen. Und dann vielleicht noch die Kapuze vom Schlafsack übers Gesicht ziehen. Gut sieben Stunden zuvor: Knapp hundert Männer, Frauen und Kinder bilden eine lange Schlange im Gemeinschaftssaal, Mitarbeiter vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) verteilen das Abendbrot. Der Hauptgang besteht an diesem Abend aus Reis und Fisch. Auffallend leise ist es, nur die Kinder lachen und rufen und rennen fröhlich aufgeregt durch die Gegend. Gegen 20 Uhr soll der Deutschunterricht beginnen. "Darauf sind viele ganz heiß", sagt Haci-Ahmed Yasar vom Bünder Sicherheitsdienst HNR. In Kürze treten vier seiner Kollegen und Kolleginnen ihren nächtlichen 12-Stunden-Dienst an. "Vor allem, um die Flüchtlinge nach außen hin zu schützen", sagt Yasar. Als nächtliche Ansprechpartner sind auch immer zwei Mitarbeiter des DRK vor Ort. "Geflohen vor dem IS" Der Deutschlehrer musste kurzfristig absagen. Zeit für ein kurzes Gespräch mit dem zurzeit ältesten Bewohner des Flüchtlingsheims: Kurdischer Jeside aus dem Irak, 69 Jahre alt. Cengiz Özkan, ebenfalls vom Sicherheitsdienst, übersetzt von Deutsch auf Türkisch, ein mehrsprachiger Syrer von Türkisch auf Kurdisch - und das Ganze wieder zurück. "Geflohen vor dem IS", sagt der Alte mit den dicken Brillengläsern und zeigt die Streifschuss-Narbe an der Wange. Dass er je wieder zurück in seine Heimat kann, bezweifelt er. Und natürlich mache ihn das sehr traurig, sagt er mit Tränen in den Augen. Der Großteil seiner Familie lebe schließlich noch dort. Im Gemeinschaftssaal geht's etwas fröhlicher zu. Kleine Jungen und Mädchen lassen unter den Augen ihrer Eltern den Hula-Hoop-Ring kreisen. Eine Syrerin mit Kopftuch schnappt sich Sven Kampeter vom DRK. Gemeinsam legen die zwei unter dem Beifall der anderen Männer - darunter der Ehemann der Tänzerin - eine flotte Sohle aufs Parkett. "Seit Karneval geht das so mit uns", sagt "Kampi" und lacht. Er ist hier eine von vielen guten Seelen. Noch spät abends sieht man ihn mit müden Augen beim Kartenspiel mit erstaunlich wachen Kindern. Vor der Dusche steht Sabrina Hermsmeyer, ebenfalls vom Sicherheitsdienst. "Immer, wenn eine Frau duschen geht, steht einer von uns vor der Tür - sicher ist sicher", erklärt die 36-Jährige. Durch die Tür lugt ein kleines Mädchen. Während Mama duscht, scherzt sie mit Hermsmeyer herum. "Unser Verhältnis zu den Bewohnern ist sehr gut", sagt sie. "Schade, dass die Verständigung so schwer ist." Flüchtlinge in sechs Klassenräumen Im Gemeinschaftssaal und in einigen Ecken des Schulkomplexes sitzen noch ein paar Männer und Frauen im Halbdunkel beisammen und unterhalten sich bei einem Gläschen Tee. Die ersten sagen "Gute Nacht". Die Turnhalle ist zurzeit verwaist. Dicht an dicht stehen leere Etagenbetten. "Kann morgen schon wieder belegt sein, das weiß man nie so genau", sagt Kampeter und zuckt mit den Schultern. Die Flüchtlinge verteilen sich in diesen Tagen auf sechs Klassenräume. Hört sich besser an als "Turnhalle" - ist aber genauso eng. Um die 20 Menschen sind pro Raum untergebracht, die Luft ist entsprechend. Getrennt sind sie nur durch die blauen Decken, die jeder Flüchtling bei seiner Ankunft bekommt. In Raum 1 schlafen die Männer aus Bangladesch, der Rest ist - soweit es die Möglichkeiten zulassen - in Räume für Alleinstehende und Familien aufgeteilt. Nationalitäten sind wild durcheinander gewürfelt: Iran, Irak, Syrien, Afghanistan, Albanien, Georgien, Aserbaidschan und Tadschikistan. In den meisten Zimmern brennt das grelle Licht die ganze Nacht hindurch. "Viele Frauen und Kinder haben Angst im Dunkeln", erklärt ein Syrer. Dass es keinen festen Tagesablauf gibt, kommt erschwerend hinzu. Manche dösen tagsüber und werden erst abends aktiv - darum ist es auch am frühen Morgen noch ein einziges Kommen und Gehen im "Schlafzimmer". Gegen 3 Uhr ein Gang zur Toilette. "Portier" Cengiz Özkan gönnt sich draußen in der kalten Luft eine Zigarette mit einem persischen Nachtschwärmer. "Noch fünf Stunden", sagt der Türke und meint seinen Feierabend. "Noch fünf Stunden, um ein bisschen Schlaf zu bekommen", denkt sich ein anderer. Um die zu großen Teilen politisch verfolgten Flüchtlinge zu schützen, hat sich die NW-Redaktion entschieden, ihre Namen nicht zu nennen.

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