
Bünde. Vielleicht war es das Küchenkalenderblatt für Februar, das Friedhelm Diebrok daran erinnert hat, etwas über den Stieglitz zu erzählen. Darauf entfalten zwei im Flug kämpfende Männchen ihre ganze Farbenpracht. "Das sieht man leider immer seltener", sagt der Vorsitzende der Herforder Kreisgruppe vom Naturschutzbund Deutschland (NABU).
In Zeiten steriler Gärten und pestizidschwangerer Äcker und Wiesen findet der Stieglitz immer weniger Nahrung. Kleine Sämereien von "Unkräutern" und Wildblumen - insgesamt 152 verschiedene Arten - stehen auf seinem Speisezettel ganz oben, sein Zweitname "Distelfink" kommt nicht von ungefähr. Aber Disteln sind verpönt, haben in der Vorstellungswelt der meisten Gartenbesitzer im gepflegten Grün nix verloren.
Am Ackerrand sieht?s nicht viel besser aus, auch wenn Landwirte heute bis zu fünf Prozent ihrer Flächen nicht beackern dürfen. Maßnahmen wie das "Blühstreifenprogramm" sind nach Aussage eines Landwirtes, der lieber anonym bleiben möchte, oft "bürokratische Monster" und "betriebswirtschaftlich wenig sinnvoll". Die Folge: Mehr Pestizide, weniger blühende Wildnis - genau das bräuchte der Distelfink aber. In Diebroks Garten wachsen deshalb außer Disteln auch wilde Karden und jede Menge anderer "Unkräuter". Der Lohn: Während viele andere den Stieglitz nur von Fotos kennen, turnt er bei Diebrok direkt vorm Küchenfenster herum. "Es macht wirklich Spaß, das zu sehen", sagt der Bünder.
Apropos sehen: Schon Ende Februar ist der Stieglitz bei der Familienplanung zu beobachten. Die Männchen trainieren dann zunächst ihren Gesang, um potenzielle Partnerinnen für sich zu begeistern. Der Nestbau beginnt meist Mitte April und dauert vier bis sechs Tage. Der zierliche Napf hoch im Baum wird sorgfältig aus feinen Stängeln, Halmen, kleinen Wurzeln, grünem Moos, Flechten und Pflanzenfasern gebaut, die Nestmulde mit feinen Wurzeln, Halmen, Fasern, Federn und Wolle gepolstert. Ein Gelege besteht aus vier bis sechs Eiern. Die Jungen werden - da sind sie wieder - vor allem mit Distelsamen und anderen Kleinsämereien gefüttert. Kurios: Manche Jungvögel sind schon ab dem achten Tag dazu in der Lage, bei Gefahr das Nest zu verlassen. Nach dem endgültigen Ausfliegen sitzen sie noch lange im Geäst und lassen regelmäßig von sich hören, damit die Eltern sie mit Futter versorgen.
Schon fast ein halbes Jahrhundert „Vogel des Jahres"
- Den „Vogel des Jahres" gibt es seit 1971.
- Initiatoren der Kampagne sind der NABU und der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV).
- Die Auswahl erfolgt nach Gefährdung der Art oder ihres Lebensraumes.
- Weißstorch (1984 und 1994) und Eisvogel (1973 und 2009) waren schon zweimal dabei.
- Mittlerweile werden in 13 Ländern Europas Vögel des Jahres gewählt, außerdem in Südafrika und Neuseeland.
Wer die Chance haben möchte, all das zu sehen, müsste zunächst mal ein paar Acker-, Gänse- oder Kratzdisteln, Karden, Hirtentäschelkraut, Ampfer, Wegerich, Vogelmiere, Sonnenblumen, Beifuß, Kornblumen oder Knöterich in seinem Garten ansiedeln. "Oder wenigstens am Wegesrand stehen lassen", sagt Diebrok.
Er selbst geht noch weiter: Ab März sollen in Kooperation mit der Sparkassenstiftung 5.000 Samenpäckchen unter die Leute gebracht werden. Damit wird die NABU-Aktion "Bunte Meter für Deutschland" unterstützt - die hat bislang schon für etwa 111.000 Quadratmeter Wildblumenfläche gesorgt. Wer weiß - vielleicht zieren Stieglitz und andere gefiederte Samenfresser ja auch 2026 noch das ein oder andere Kalenderblatt.