Wirte quält neuer Lockdown: "Die Gastronomie trägt das meiste Leid"

Versmold. Wer Sascha Hinnendahl sieht, der glaubt erst einmal nicht, dass dieser Mann ein existenzieller Zweifler ist. Drahtig und energiegeladen wie immer springt und wuselt der 49-Jährige durch seine Kneipe mit der langen Bar. Die Hocker stehen zwar allesamt auf dem Tresen, doch es ist ja auch vormittags. Trotzdem könnte dieses Szenerie exemplarisch stehen für den nächsten Stillstand ab Montag. Und auch wenn der Wirt immer etwas zu tun findet, spricht aus seinen Worten der pure Frust. &bdquo;Es war klar, dass es passiert", sagt Sascha Hinnendahl mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen über den neuerlichen Lockdown. &bdquo;Aber die Gastronomie und Spaßveranstalter tragen mal wieder das meiste Leid." Der Mann, der am liebsten Jeans, Käppi und ein schlichtes T-Shirt trägt und die beste Laune hat, wenn in seinem Laden die Luft brennt, ist niemand, der groß dozieren mag. Darum fällt seine Analyse knapp und ehrlich aus: &bdquo;Ich bin kein Spezialist, aber ich denke, diese Maßnahmen stehen in keinem Verhältnis. Wenn das so weitergeht, fressen wir uns alle irgendwann gegenseitig auf." &bdquo;Seit dem ersten Lockdown bringe ich Geld mit" Seit 1998 betreibt Hinnendahl das &bdquo;Check In", die meiste Arbeit schultert er allein, an Spitzentagen steht er bis zu 20 Stunden in seiner Kneipe. Und jetzt musste er auch noch seinen beiden Aushilfen kündigen, weil er im November nichts verdienen wird. &bdquo;Seit dem ersten Lockdown bringe ich Geld mit. Erst hatte ich gar keinen Umsatz, zuletzt wieder 50 Prozent des normalen Niveaus." Das reiche jedoch nicht einmal für die laufenden Kosten – &bdquo;geschweige denn für Gewinn", sagt der drahtige Wirt. 9.000 Euro Soforthilfe habe er erhalten, später noch einmal 1.700 Euro Überbrückungshilfe für Juni, Juli und August. &bdquo;Das reicht aber bei weitem nicht, um meine Verluste auszugleichen." Mit Rücklagen, die eigentlich für Investitionen in seine Bar gedacht waren, hält sich der 49-Jährige weiter über Wasser. Dass die neuen Finanzhilfen unbürokratisch und schnell fließen, glaubt er erstmal nicht: &bdquo;Das muss ich über den Steuerberater beantragen – mal sehen, was kommt." Mit Leidenschaft und Herzblut hat Sascha Hinnendahl seine Kneipe nach vorn gebracht. Doch seine Enttäuschung wächst: &bdquo;Die Frage ist nicht, wie lange ich noch durchhalten kann, sondern wie lange ich noch durchhalten will." Die reine Schankwirtschaft habe es schon vor Corona schwer gehabt. &bdquo;Experten aus dem Brauereibereich prognostizieren mir, dass es Kneipen wie meine in einigen Jahren nicht mehr geben wird", sagt der Wirt. Kneipe wird nach Corona nie wieder so sein wie früher Was ihn weiter antreibt, ist das Engagement für seine Stammkunden: &bdquo;Viele kommen doch hierher, weil sie nicht allein sein wollen, weil sie den Kontakt, das Gespräch brauchen", sagt Hinnendahl und grinst: &bdquo;Ich kennen jeden Geburtstag, jeden Job, jede Krankengeschichte von meinen Stammgästen." Und doch seien einige weggeblieben – ganz plötzlich, als Corona kam. Doch die verbliebenen halten den Wirt aufrecht. Und auch wenn er sagt, &bdquo;dass meine Kneipe nach Corona nie wieder sein wird wie vorher", findet er seinen Kampfesmut doch wieder: &bdquo;Den November halte ich schon durch. Dann mache ich eben, was liegengeblieben ist." Sprichts, und wuselt wieder an seinem Tresen entlang. So weit ist Sandra Jäger, Inhaberin des Café Picco am Marktplatz, noch nicht wieder. Ihr stehen die Tränen in den Augen, als sie von der Aussicht auf die nächsten vier Wochen ohne Arbeit berichtet. &bdquo;Im ersten Lockdown habe ich am Ende die Schlüssellöcher mit Wattestäbchen geputzt – das muss und will ich diesmal nicht mehr machen." Schon jetzt trudelten wieder Stornierungen für geplante Gesellschaften und bestellte Torten bei ihr ein. &bdquo;Mir bricht hier der ganze Alltag weg – dieses Café ist doch auch ein wichtiges Stück meines Lebens." Ohne Umsatz in den kommenden Wochen ist Sandra Jäger auch unsicher, wie sie ihr Team bezahlen soll. Und die Stammgäste tun ihr ebenso leid: &bdquo;Ich hatte hier vor kurzem einen Kunden, der geweint hat." Sollte der Lockdown bis in den Dezember dauern, wäre Jäger noch härter getroffen: &bdquo;Denn Dezember, Januar und Februar sind meine stärksten Monate." Aber dann schiebt die Café-Betreiberin ihre Sorgen weg und gibt sich kämpferisch: &bdquo;Ich werde wieder einen Außer-Haus-Verkauf für Torten organisieren." Gastronomen wie Sandra Jäger und Sascha Hinnendahl kann auch ein dritter Lockdown im Kreis nicht den Mut nehmen.

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