
Verl/Delbrück. Wenn sie im späten Winter in typischer keilförmiger Formation laut trompetend am Himmel erscheinen, gelten sie den Menschen gern als Frühlingsboten. Immer öfter aber verzichten die europäischen Grauen Kraniche auf den anstrengenden Zug in ihre angestammten Überwinterungsgebiete in Spanien oder Frankreich und versuchen, die kalte Jahreszeit in Deutschland zu überstehen.
In den vergangenen Jahren wurde dies vornehmlich in der Diepholzer Moorniederung zwischen Osnabrück und Bremen sowie in Brandenburg registriert. Erstmals scheint ein größerer Trupp auch in heimischen Gefilden zu überwintern. 30 der beeindruckenden Vögel sind den gesamten Winter über beinahe täglich auf den Feldern zwischen Delbrück und Kaunitz zu beobachten.
Wo genau die Tiere tagsüber nach Nahrung suchen, soll mit Rücksicht auf zu vermeidende Störungen an dieser Stelle nicht verraten werden. Darum bittet auch Christian Venne von der Biologischen Station Kreis Paderborn-Senne. Denn Kraniche reagieren empfindlich, wenn sich ihnen Menschen nähern.
Neu, dass eine so große Gruppe in Ostwestfalen überwintert
Ihre Fluchtdistanz liegt bei ungefähr 300 Metern. Zum Vergleich: Der deutlich kleinere Weißstorch, an dessen Anblick man sich in den vergangenen Jahren in Verl und Umgebung wieder gewöhnen durfte, lässt die Menschen auf bis zu 50 Meter heran, ehe er das Weite sucht.
Wenn die Kraniche aufsteigen, um sich einen neuen Standplatz zu suchen, bedeutet das für sie jedes Mal einen erheblichen Kraft- und Energieverlust.
Kranichmeldungen aus dem Bereich des Steinhorster Beckens im Dreieck der Städte Delbrück, Rietberg und Verl habe es in der Vergangenheit zwar vereinzelt gegeben, sagt Christian Venne. Aber die Meldung einer solch großen Gruppe „Vögel des Glücks“, die in Ostwestfalen überwintert, sei tatsächlich neu.
Vögel gewinnen wichtigen Vorsprung gegenüber Artgenossen
Der Biologe vermutet, dass sich die Kraniche den geänderten Umweltbedingungen anpassen. Bei Kurzstrecken- oder Teilziehern – wie Stare, Bachstelzen und Feldlerchen – sei es nicht ungewöhnlich, dass die Vögel in den milder werdenden Wintern auf ihre weite Reise gen Süden verzichten.
Denn das kann Vorteile haben: Diese Tiere gewinnen gegenüber zurückkehrenden Artgenossen einen Zeitvorsprung, wenn es darum geht, im Frühling die besten Nistplätze zu besetzen.
Doch bei solch großen Vögeln wie dem Grauen Kranich, der es auf eine Körperlänge von etwa 1,20 Metern und eine Flügelspannweite von bis zu 2,20 Metern bringt, sei die Frage, wie sie im Winter die notwendige Menge Futter finden.
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Warum wird hier nicht mehr für Kraniche gemacht?
Kraniche sind zwar im Prinzip Allesfresser, im Winter ernähren sie sich aber vornehmlich von Mais und Getreide, das bei der Ernte aufs abgeerntete Feld gefallen ist, von Erbsen, Eicheln, Sonnenblumenkernen und ähnlichem. Während der Zugzeit benötigen sie davon täglich bis zu 300 Gramm pro Tier.
Ihr Hierbleiben verwundert um so mehr, „da wir hier nichts für die Kraniche gemacht haben“, sagt Venne. Sprich: Futter wird nicht extra ausgelegt. „Wir nehmen sie bisher einfach nur zur Kenntnis.“
Problematischer ist für die Kraniche, die es auch nicht stört, wenn an eisigen Tagen die Erde gefriert und ein wenig Schnee über dem Futter liegt, die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz.
Die langbeinigen Vögel stehen nachts in Flachwasserzonen, weil sie sich dort vor ihren Feinden, wie zum Beispiel Füchsen, sicher fühlen. Frieren diese Flachwasserzonen zu, wird es schwierig. Wo der Trupp der Überwinterer aus dem Bereich zwischen Kaunitz und Delbrück abends hinzieht, ist noch nicht bekannt – offenbar aber nicht zum Steinhorster Becken.