Verl

"Sie sind vor der eigenen Haustür"

Courage gegen Rechts: Jörg Welzer referiert über Neonazi-Szene

Jörg Welzer (r.), ausgewiesener Kenner der Neonazi-Szene, referierte am 69. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs auf Einladung der Initiative "Courage gegen Rechts" im Deutschen Haus. | © FOTO: ROBERT BECKER

11.05.2014 | 11.05.2014, 07:25

Verl. "Wir wollen Dinge in Erinnerung rufen, denn wir trauern um die Toten aller Völker", sagte Referent Jörg Welzer am Donnerstag im Deutschen Haus zu Beginn einer von der Verler Initiative "Courage gegen Rechts" organisierten Veranstaltung. Vor genau 69 Jahren ging am 8. Mai 1945 der zweite Weltkrieg zu Ende. Das Leid wirkt bis heute nach. Viele Menschen holen im hohen Alter die Gedanken an die Bombennächte wieder ein.

Vor sechs Monaten gründete sich "Courage gegen Rechts", um rechten Tendenzen entgegenzutreten. Aus diesem Grund hatte die Initiative um die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Katrin Fuchs nun die Veranstaltung genau zu diesem Datum angesetzt.

Erstaunlich viele junge Besucher wie beispielsweise Fabian Gürteler und Sina Wendt folgten dem Vortrag Welzers, der seit rund 30 Jahren gegen Neonazis mobil macht. Während dieser Zeit wurde der 48-Jährige selbst Opfer von Rechtsradikalen, wurde mit Messern bedroht und schwer misshandelt. Der folgende Prozess zog sich über fünf Jahre hin. Heute lässt sich Welzer nicht mehr fotografieren. Seine Adresse und sein Foto kursierten vor 20 Jahren in rechten Kreisen, die ihm gezielt auflauerten.

"Man denkt, dass Politik woanders stattfindet, aber die Auswüchse finden auch statt vor der eigenen Tür", wollte Welzer wachrütteln und sieht die Gesellschaft immer noch durchsetzt von rechten Tendenzen. Er macht das unter anderem fest an Dingen des täglichen Lebens, an Witzen, an Schimpfwörtern ("Opfer"; Zigeuner", "Asi"), die er unter anderem als Sozialarbeiter an einer Schule im Kreis Gütersloh aufschnappt, oder an rechtem Liedgut. Selbst bei Veranstaltungen gegen Rechts mischten sich die Radikalen getarnt unter die Besucher, hat Welzer festgestellt.

Die Unterscheidung, ob das rechte Gedankengut gewalttätig und organisiert verbreitet wird oder nicht, sei natürlich wesentlich, so der Szenekenner. Nazis von damals und Rechte von heute eine indes, dass sie im Auftreten seien wie "Fische im Wasser" – schwer festzumachen. "Es gibt auch Nazis mit Schlips und Kragen", sagt Welzer.

Nicht selten deuteten dezente Hinweise auf rechtes Gedankengut hin. Dazu zählten beispielsweise Zahlenkombinationen wie "88", die für "Heil Hitler" stehe, oder Buchstabenkombinationen am Autokennzeichen wie "MF" für "Mein Führer", oder das Tragen von in der Szene bevorzugten Marken wie "Londsdale" oder "Master Race Europe", um nur einige wenige zu nennen.

"Das sind Codierungen, wie sie früher verfolgte Religionen verwendet haben", sagte Welzer. Er zeigte Schriftstücke, die komplett verschlüsselt waren, um den tatsächlichen Inhalt nur Eingeweihten zugänglich zu machen. Bei der Mode gebe es immer neue Marken, die die Szene verbänden. Einer Marke habe jetzt der Sänger Bushido das Image gerettet, erzählte Welzer. Seitdem der Berliner die Fliegerjacken von Asia trage, habe die rechte Szene dieselben an den Nagel gehängt.

Es gebe zudem Widersprüche, beispielsweise, dass rechte Skinheads verabredungsgemäß Levi’s-Jeans tragen würden. Welzer: "Dabei war Levi Strauß ein Jude". Das Keltenkreuz, "White Power", der "Werwolf" von Hermann Löns – Welzer konnte noch weitere Symbole nennen für rechtes Gedankengut.