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Dresselhaus schließt ab

Was Schloß Holte mit der Traditionsgaststätte an der Bahnhofstraße verliert

24.12.2013 | 24.12.2013, 00:00
Werner Dresselhaus (Mitte) und seine Frau Gisela, Enkel Aurel und Sohn Hans-Joachim und seine Frau Angelika. Im Hintergrund speisen die Sänger des Männerchores (siehe auch 2. Lokalseite). - © FOTO: KARIN PRIGNITZ
Werner Dresselhaus (Mitte) und seine Frau Gisela, Enkel Aurel und Sohn Hans-Joachim und seine Frau Angelika. Im Hintergrund speisen die Sänger des Männerchores (siehe auch 2. Lokalseite). | © FOTO: KARIN PRIGNITZ

 Schloß Holte-Stukenbrock. Wie viele Paare wohl im Gasthaus Dresselhaus-Brockmann ihre Hochzeit gefeiert haben? "Ach", sagt Werner Dresselhaus mit donnernder Stimme und winkt ab. "Mehrere hundert!" Klingt erst einmal reichlich übertrieben. Aber wenn man überlegt: Das Gasthaus ist mehr als 110 Jahre alt, und es war jahrzehntelang selbstverständlich, bei Dresselhaus-Brockmann im großen Saal zu feiern. Von der Taufe bis zum Beerdigungskaffee – alles fand dort statt. Und jetzt ist Schluss. Der Gasthof wird in wenigen Wochen abgerissen.

Hans-Joachim Dresselhaus, der das Haus zuletzt in vierter Generation führte, schließt heute die Gaststätte für immer. Dann beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt. Er wird mit seiner Frau Angelika aber weder nach Mallorca noch nach Sylt ziehen, wie auf Facebook getratscht wurde, sondern nach Bielefeld-Senne.

Werner Dresselhaus (81), der das Haus vor zwölf Jahren seinem Sohn übergeben hatte, kann noch nicht gut damit umgehen, dass es nun abgerissen wird. Aber er sagt selbst, die Entscheidung sei alternativlos gewesen. Uralte Bausubstanz, zu viele Auflagen, zum Beispiel für den Brandschutz, und dann wäre noch eine energetische Sanierung fällig gewesen. "Ein Fass ohne Boden", sagt Werner Dresselhaus, der im Schankraum an einem der alten Tische sitzt und in sich gekehrt auf die gebürstete Holzoberfläche blickt.

Mehr als 110 Jahre Geschichte (siehe Zeitstrahl), an 70 kann er sich erinnern, 42 davon hat er zusammen mit seiner Frau Gisela das Geschäft geführt, von dem Sohn Hans-Joachim heute noch sagt: "Ein knallharter Job."

Um die Jahrhundertwende hatte Werner Dresselhaus’ Großvater das Geschäft für Kolonialwaren mit Schankerlaubnis begonnen. Gegenüber wurde gerade die Bahnstrecke zwischen Bielefeld und Paderborn gebaut. Hinter dem Haus große Ackerflächen, links Nachbar Josef Otto, der Kunstdünger und Kohle vertrieb und deshalb Kohlenotto genannt wurde. Schloß Holte erlebte durch die Holter Eisenhütte und die Bahn einen wirtschaftlichen Aufschwung. Der Gasthof Dresselhaus-Brockmann entwickelte sich zum gesellschaftlichen Dreh- und Angelpunkt. Viele Vereine wurden unter diesem Dach gegründet, es gibt sie fast alle noch.

1912 wurde der Pollhans-Markt, damals noch reiner Viehmarkt, auf den Acker der Familie Dresselhaus genannt Brockmann verlegt, weil die Bahnlinie mitten über das Marktgelände am Pollhans-Hof verlief. Jahrzehntelang wurde im großen Saal immer am Abend vor Pollhans im großen Saal, der 1912 angebaut worden war, das Fest gefeiert, das nach Pollhans-Besuchern benannt war. Mag die Bezeichnung heute politisch auch nicht mehr korrekt sein, das Fest hieß "Zigeunerball". Werner Dresselhaus kann sich noch gut erinnern, wie die Devise war, wenn das Fahrende Volk eingetroffen war: "Türen abschließen, Hühner einsperren, Wäsche von der Leine holen."

1932, kurz nach der Geburt von Werner Dresselhaus wurde sein Vater, Johann, im eigenen Haus von einem Gelegenheitsarbeiter ermordet. Der Vetter Heinrich übernahm die Gaststätte, später pachtete Familie Theobald das Geschäft. Werner Dresselhaus, kaum 18, übernahm den Familienbetrieb wieder 1950. Seine erste Geschäftsentscheidung: Wegen der großen Nachfrage baute er eine Kegelbahn, darüber einen kleinen Saal, der dann in erster Linie als Probensaal für den Männer-, Kirchen- und Frauenchor und vorübergehend von der Gemeinde als Ratssaal genutzt wurde.

Jetzt müssen sich die vielen Kegelvereine, die sich dort regelmäßig getroffen haben, eine neue Heimat suchen, auch all die Chöre (siehe Info-Kasten), zum Beispiel der Männerchor, der 108 Jahre in dem Haus geprobt hat. "Traurig", sagt Werner Dresselhaus, "aber wahr."

Schloß Holte verliert ein Stück Geschichte. Fast jeder Schloß Holter verbindet irgendeine gute Erinnerung mit dem Gasthaus Dresselhaus-Brockmann. Gleich nach den Feiertagen wird ausgeräumt und Inventar verkauft. Bald stehen dort neue Gebäude.

Die letzten Monate hat Werner Dresselhaus genutzt, um den Dachboden aufzuräumen, sein Enkel Aurel hat geholfen, auch Gerd Hano. Heimatforscher Günter Potthoff hat das ein oder andere Fundstück mitgenommen. Werner Dresselhaus hat radikal aufgeräumt. Schluss ist Schluss.