Schloß Holte-Stukenbrock. 800.000 Menschen getötet, Hyperinflation, Hungersnot, Wehrmacht wichtige Rohstoffe konfisziert, komplette Infrastruktur zerstört, eine Million Menschen obdachlos, deutsche Unternehmen haben profitiert. Wie aus der Pistole geschossen werden die Fakten im Chor heruntergerattert. Auf diese fast nüchterne Aufzählung folgt der zu Tränen rührende Bericht von Oma Irina (Anita Prill) über den Tag, als "ein schwarzes Tuch über Kalavrita gelegt wurde".
Am 13. Dezember 1943 haben deutsche Soldaten den meisten ihrer Familienmitglieder das Leben genommen. Ähnliches hat sich auch in anderen Dörfern zugetragen. In dem Stück "Du sollst nicht töten" geht es um Jugendliche, die sich mit der Griechisch-Deutschen Geschichte auseinandersetzen und zeitgleich versuchen, die eigenen Schwierigkeiten des Lebens zu bewältigen.
Drogenkonsum und Alkoholexzesse, der Gegensatz von Armut und Reichtum, die Gewalt in Fußballstadien sowie Überforderung und Amoklauf. Mit diesen Problemen müssen die Charaktere des von Martin Bretschneider verfassten und inszenierten Schauspiels fertig werden. Andererseits werden die Protagonisten durch die Teilnahme an einer Theater AG mit gesellschaftspolitischen Themen konfrontiert – insbesondere den negativen Folgen von Kapitalismus und Nationalsozialismus in Bezug auf Griechenland. So kommt es, dass sich aufklärerischer Weltverbesserungsdrang und die Tücken des Alltags gegenseitig hochschaukeln und durch Liebeskummer, Neid und Verzweiflung noch weiter angeheizt werden. Eskalation ist programmiert.
Den Zuschauern wird am vergangenen Samstagabend im SJC-Sportheim ein aufwühlender Theaterabend geboten. "Das Stück hat mich so sehr getroffen", berichtet Markus Kerkemeyer, "dass ich am Schluss noch damit beschäftigt war, den Inhalt zu verarbeiten und fast das Klatschen vergessen hätte." Ähnlich geht es auch Reiner und Franziska Hammeran. Sie sind von der schauspielerischen Leistung der Heranwachsenden beeindruckt. "Diese ineinander geschachtelten Problemlagen so sauber zu spielen, zeugt von großem Talent", sagen die beiden Zuschauer.
Diese Mischung aus Alltagsschwierigkeiten und nachwirkender Zeitgeschichte haben sich die Jugendlichen der Theatergruppe von Schauspieler Martin Bretschneider selbst gewünscht. Nach der Griechenlandfahrt im vergangenen Sommer – die in diesem Jahr die Naziverbrechen an der griechischen Bevölkerung thematisierte – will Bretschneider nämlich von den Jungen und Mädchen erfahren, womit sie sich bis Ostern beschäftigen sollen. Einerseits möchten die jungen SJCer jugendrelevante Probleme aufgreifen. Andererseits hat sie die Begegnung mit Irina Lechouriti nicht losgelassen.
Im August 2012 lernen sie die alte Griechin aus Kalavrita kennen, die das Massaker der deutschen Wehrmacht von 1943 als kleines Mädchen miterlebt hat. Mehr als 650 Männer und Jungen sind an einem Vormittag erschossen worden. "Diese und andere Fakten haben wir zwar gewusst", berichtet Luis Hansjürgen, "aber auf die emotionale Erzählung waren wir nicht vorbereitet." "Wir haben alle geweint", sagt Mitdarstellerin Anita Prill. Dass die Nazi-Diktatur die Bevölkerung malträtiert hat, haben die Heranwachsenden sich denken können. Die strukturellen Folgen des Einmarschs waren ihnen im Vorfeld der Begegnung aber nicht bekannt. "Die Wehrmacht hat die gesamte Daseinsgrundlage des Landes zerstört", erklärt Bretschneider. Darunter würden die Hellenen noch heute leiden.
Wo das Unrecht einen Namen hat
Kalavryta (auch Kalavrita) ist eine Kleinstadt mit rund 2.000 Einwohnern im Norden der griechischen Halbinsel Peloponnes.
Sie ist als legendärer Ort des Beginns der Griechischen Revolution (25. März 1821) bekannt.
Das Städtchen wurde auch aufgrund des Massakers der deutschen Wehrmacht vom 13. Dezember 1943 bekannt.
Bei diesem Massaker wurden Frauen und Kinder von Wehrmachtssoldaten in der Schule eingeschlossen. Die 650 Männer wurden oberhalb des Dorfes erschossen. Es überlebten nur 13 Männer.