„Ortsbild hat sich deutlich verändert“: Jahrzehntelange Ära im Kreis Gütersloh endet

Herr Erichlandwehr, von 0 auf 65,9 Prozent. Wie überrascht waren Sie nach Ihrer ersten Wahl 1999? Mit einem so großen Zuspruch hatte ich nicht gerechnet. Mit einem Sieg aber schon, weil damals eine Stimmung pro CDU herrschte. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte einen Fehlstart hingelegt, das wirkte sich auch auf die Kommunen aus. Und ich war durch meine Tätigkeit im Blasorchester offensichtlich bekannter als vermutet. Die NW hat damals im Vorfeld der Wahl eine Umfrage zur Bekanntheit der Kandidaten gemacht. Da landete ich mit mehr als 60 Prozent vorne. Das hat mich erstaunt. Spielte der damalige Streit innerhalb der CDU eine Rolle? Eigentlich nicht mehr. Es gab vorher Diskussionen in der Partei zwischen Befürwortern von Hermann Humann (ehrenamtlicher Bürgermeister von 1979 bis 1999, Anm. d. Red.) und denjenigen, die ein neues Gesicht wollten. Wie lange hat es gedauert, bis Sie auch die Humann-Fraktion auf Ihrer Seite hatten? Das ging relativ schnell. Hermann Humann und ich haben uns immer gut verstanden, es gab keinen persönlichen Zwist. Wenn Sie SHS 1999 und heute vergleichen – ist die Stadt noch wiederzuerkennen? Es sind sehr, sehr viele Veränderungen passiert. Die weiterführenden Schulen haben sich nahezu völlig verändert, das Gymnasium gab es damals noch gar nicht. Zwei neue Feuerwehrgerätehäuser sind entstanden, neue Wohngebiete, neue Naturräume und der Sportpark am Ölbach. Auch in den einzelnen Ortsteilen ist viel Neues entstanden. Die Ems-Erlebniswelt in Stukenbrock-Senne zum Beispiel, die Wapelaue in Liemke und der Dorfplatz in Sende. Das Ortsbild ist zwar noch wiederzuerkennen, weil wir auch noch viele alte Bestandsgebäude haben, aber es hat sich deutlich verändert. Ich finde, es ist moderner geworden. Vor welchen großen Herausforderungen standen Sie in den vergangenen Jahren? Die Finanzen fordern eine Kommune eigentlich immer heraus. Uns geht es im Vergleich zu vielen anderen, Gott sei Dank, noch recht gut. Wir haben immer versucht, mit dem vorhandenen Geld klarzukommen, anstatt großzügig Dinge anzuschaffen oder zu bauen, ohne zu wissen, wie man sie bezahlen soll. Wir haben die Ausgaben immer kritisch hinterfragt. Andererseits haben wir auch eine starke Wirtschaft vor Ort. Vor allem inhabergeführte Unternehmen übernehmen Verantwortung im Ort und sind hier eingebunden. Das ist schon ein großes Pfund. Lesen Sie auch: Bürgermeister im Kreis Gütersloh feiert besonderen Geburtstag – hier gibt’s seltene Fotos 1999 hat die Politik eine lange Liste mit Wünschen vorgelegt. Ein Warmbad im Hallenbad, eine Bibliothek und ein Feuerwehrgerätehaus zum Beispiel. Weil das nicht alles umsetzbar war, habe ich von der Politik eine Priorisierung gefordert. Dann ist als Erstes das Feuerwehrgerätehaus in Stukenbrock entstanden. Das Warmbad gibt es bis heute nicht, das hat sich auch irgendwann überholt. Man leistet sich nicht alles, nur weil man es richtig und gut findet, sondern man schaut, was man sich überhaupt leisten kann. Wie haben sich die Finanzen der Stadt entwickelt? Die Gewerbesteuererträge sind deutlich gestiegen, das muss man einfach so sagen. Das hat nicht unbedingt mit mir zu tun, es hat sich so entwickelt. Ende 1999 lagen wir bei etwa 18 Millionen D-Mark. Jetzt bei ungefähr 27 Millionen Euro. Es lohnt sich, wirtschaftsfreundlich zu sein und den Unternehmen Entwicklungsmöglichkeiten zu geben. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich im Ort wohlfühlen, das zeigt Wirkung. Aber die Aufgaben, die den Kommunen übertragen wurden, haben sich vervielfacht. Die Ausgaben wachsen stärker als die Einnahmen. Und der Verkehr? Verkehr war immer ein Thema in Schloß Holte-Stukenbrock. Zum Beispiel die Diskussion um die dritte Autobahnauffahrt. Oder die Elektrifizierung der Sennebahn. Die langen Schließzeiten der Schranken kriegt man wahrscheinlich nur mit einer neuen Technik auf der Schiene in den Griff. Vielleicht mit einem Tram-System wie rund um Kassel. Der Stadt gehört am Mozartweg ein Grundstück, da könnte man einen kleinen Bahnhaltepunkt anlegen. Oder im Grauthoff-Gebiet. Wie weit blicken Sie jetzt in die Zukunft? Das ist leider nicht so schnell umsetzbar, weil sich die Bahn auch begegnen muss. Das ist heute ja nur an einigen Stellen der Strecke der Fall. Vielleicht wären Monocabs eine Lösung, die nur auf einer Schiene fahren. Aber es ist gut, dass die Sennebahn-Strecke nicht tot ist, daran sollte man vielleicht auch mal denken, wenn man vor einer geschlossenen Schranke wartet. Und das Thema Wohnen? Wir haben eine ganze Menge Wohnraum geschaffen. In den Diskussionen geht es meistens um bezahlbare Mietwohnungen. Wir versuchen, in Wohngebieten Platz für öffentlich geförderten Wohnungsbau zu reservieren. Der Wunsch nach eigenem Wohnraum ist größer als das, was man schaffen kann – und die Töpfe sind schnell leer. Aber wir bleiben dran. Es gibt keinen Stillstand, aber es könnte durchaus etwas schneller gehen. Wäre eine eigene Wohnungsbaugesellschaft eine Lösung? Wir haben im Prinzip eine. Mit der Kommunalen Haus und Wohnen GmbH Kreis Gütersloh sind wir sehr gut aufgestellt. Sie hat in den vergangenen 10, 15 Jahren viel neuen Wohnraum geschaffen. Das hätten wir mit einer eigenen Gesellschaft überhaupt nicht umsetzen können. Was die Kommunale Haus und Wohnen baut, gehört aber nicht der Stadt. Wir sind sowohl in der Gesellschafterversammlung als auch im Aufsichtsrat mit Sitz und Stimme vertreten. Was sind Meilensteine der Stadtentwicklung? Sicherlich die Gründung des Gymnasiums, aber auch die Stadtwerke und die eigene Trinkwasserförderung. Wofür klopfen Sie sich auf die Schulter? Das ist schwierig. Es ist oft ein Zusammenspiel vieler. Aber man muss Gelegenheiten erkennen und die richtigen Schlüsse ziehen. Da würde ich den ÖPNV-Verknüpfungspunkt und den Erhalt des Bahnhofsgebäudes nennen. Es sollte eigentlich abgerissen werden, aber ein Kollege im Rathaus hat mich von dem historischen Wert überzeugt. Den Erhalt habe ich gegen vehemente Gegenwehr politisch durchgesetzt. Manchmal muss man auch die Gelegenheit am Schopfe packen und dranbleiben, wie zum Beispiel beim Medicum oder der Kinderärztin. Oder bei einigen Grundstücksverhandlungen als Bürgermeister Verhandlungsgeschick zeigen. Zum Beispiel bei der Sportplatzerweiterung in Liemke, der Wapelaue oder dem Gewerbegebiet Augustdorfer Straße. Was hätten Sie gern noch umgesetzt? Das Gewerbegebiet am Kreuzkrug hätte ich gern noch auf den Weg gebracht. Mir persönlich hätte es auch gefallen, wenn aus dem Senne-Brass-Festival eine regelmäßige Veranstaltung geworden wäre. Einen Badesee haben wir immer noch nicht und mit der Digitalisierung wäre ich gern schon weiter. Eine Klimakonferenz hat es auch nicht gegeben, allerdings macht die Stadt schon eine ganze Menge für Klima- und Umweltschutz. Welche beruflichen Kontakte haben Sie geprägt? Zum einen Klaus Hörsting, der lange Gemeindedirektor in Verl war und 1999 zum Bürgermeister gewählt wurde. Mit ihm habe ich viele Gespräche geführt und er hat mich mit seiner Art begeistert. Er war fachlich kompetent, bürgernah, nett, freundlich und beliebt. Von ihm habe ich mir einiges abgeschaut. Zum anderen hat mich Bundespräsident Joachim Gauck beeindruckt. Es war schon etwas Besonderes, neben ihm am Mittagstisch zu sitzen und mit ihm ungezwungen zu sprechen. Er ist schon ein toller Typ und trotzdem so staatsmännisch. Lesen Sie auch: Bürgermeister kündigt Rückzug: Jahrzehntelange Ära im Kreis Gütersloh endet Wem würden Sie gern die Meinung geigen? Haben Sie noch eine Rechnung offen? Der Beruf bringt es mit sich, dass man mit allen Menschen sprechen muss, auch mit denen, mit denen man sich eigentlich gar nicht unterhalten will. Diese Kontakte werde ich in Zukunft einfach vermeiden. Haben Sie an Ihrem Wikipedia-Eintrag mitgeschrieben? Nein, habe ich nicht. Ich weiß auch gar nicht, wie das geht. Ist der Inhalt denn richtig? Das schon, da hat jemand aus meinem Lebenslauf abgeschrieben, der ist ja auf der Internetseite der Stadt zu finden. Und meine Wahlergebnisse dazu, das war es auch schon. Er ist eher nüchtern gehalten. Welche Schulnote geben Sie sich für Ihre Amtszeit? Es gibt ja mehrere Fächer. Wenn ich einen Durchschnitt nehmen müsste, würde ich mir eine Zwei geben. Welche Schulnote würden Ihnen wohl die Bürger geben? Es wäre schön, wenn sie das ähnlich sehen würden. Ihr Ratschlag für Ihren Nachfolger Olaf Junker? Wichtig ist, sich selbst treu zu bleiben und nicht zu versuchen, sich völlig zu verändern, nur weil man jetzt eine andere Position hat. Wie geht es für Sie weiter? Bis zum Jahresende nehme ich mir Zeit, um zu schauen, was auf mich zukommt.

Meistgelesen