Dieser Mann trug über 40 Jahre lang die Post aus und ruht noch immer nicht

Schloß Holte-Stukenbrock. Mehr als 40 Jahre lang hat Georg Szczepanski den Menschen in Schloß Holte-Stukenbrock die Post gebracht. Im September ist er von seinen Kollegen mit einem Autokorso durch die Stadt in den Ruhestand eskortiert worden. Doch lange hat er es dort nicht ausgehalten. Nach ein paar Monaten war das Haus vom Dachboden bis zum Keller auf Vordermann gebracht, der Garten für den Winter vorbereitet und alle Gerichte, die der Hobbykoch kennt, mindestens einmal gekocht. Der ehemalige Postbote wollte wieder raus auf die Straße und Bote sein – und deshalb heuerte er als Kurierfahrer bei der Neuen Westfälischen an. Georg Szczepanski nutzt als Kurier seinen Heimvorteil. Er kennt jede Straße im Ort und jeden Briefkasten, deswegen braucht er für seine Touren wesentlich weniger Zeit als manch anderer Bote, sagt er. Das kommt ihm gelegen, so kann er wie früher auch den ein oder anderen Plausch halten. Denn das macht er ebenfalls gern: reden. Über Gott und die Welt und was es sonst gerade zu bereden gibt. Das liegt wohl in den Genen, vermutet er. &bdquo;Mein Vater redete auch immer gern.“"Ich kann die Leute verstehen" Die Zeit für einen Plausch habe er sich als Postbote stets genommen. Auch eine Tasse Kaffee oder an kalten Wintertagen ein Gläschen Rum – das darf er heute als Pensionär verraten – habe er nicht abgelehnt. Obwohl ihm die Kälte nie etwas ausgemacht habe, an dem Rum hat er aus Höflichkeit genippt. &bdquo;Danach habe ich einfach ein bisschen schneller gearbeitet.“Diese Einstellung behält er auch als NW-Kurier bei. Bei den Menschen kommt seine offene und herzliche Art offenbar gut an. Viele duzen ihn und nennen ihn &bdquo;Schorsch“. Und viele haben ihn jetzt freundlich wieder an der Haustür begrüßt. Sie finden es schön, dass ihr alter Postbote, der immer &bdquo;Guten Tag“ sagt und stets gut gelaunt ist, wieder unterwegs ist. Mit seiner Art schafft er es auch, NW-Leser zu besänftigen, die ihre Zeitung nicht pünktlich oder gar nicht bekommen haben. Denn das ist ein Teil seiner neuen Arbeit. Zeitungen nachzuliefern. &bdquo;Ich kann die Leute verstehen. Ein Morgen ohne NW ist wie ein Frühstück ohne Kaffee“, findet er. Und deshalb nimmt er sich die Zeit, den Lesern zu erklären, was möglicherweise gerade schief gelaufen ist. &bdquo;Bisher haben dann alle Verständnis gehabt.“ Eigentlich könnte er ein ganzes Buch mit dem füllen, was er an den Haustüren in den mehr als 40 Jahren gehört und erlebt hat, sagt er. Gern erinnert er sich an einen 100. Geburtstag. Als die betagte Dame ihm die Tür geöffnet hatte, gratulierte er brav. Etwas empört entgegnete die Dame, dass sie gar nicht Geburtstag habe, sondern ihre Mutter. Die rief dann von hinten aus der Küche, der Postbote solle ruhig mal reinkommen. Wie sich schnell am Akzent beider herausstellte, stammten Szczepanski und die Frau aus Ostpreußen, beide sogar aus dem gleichen Kreis. Allenstein. Das begoss die Jubilarin mit dem &bdquo;Jungchen“ sogleich mit ein paar Gläschen Bärenfang, dem typisch ostpreußischen Honiglikör. Einmal einer Hundertjährigen die Hand geschüttelt zu haben, ist für Georg Szczepanski ein bleibendes Erlebnis. Er fühlt und spricht wie ein Ostpreuße Er ist geboren, nachdem Ostpreußen schon untergegangen war. Doch er fühlt und spricht wie ein Ostpreuße und hat auch den verschmitzten Humor behalten. Zum Beispiel wenn er sagt, dass bei der Post noch nie ein Brief verloren gegangen sei, höchstens mal verlegt und dann 40 oder 50 Jahre später wieder aufgetaucht.Die Familie Szczepanski ist im Krieg in den Westen geflohen. Nur die Alten, die dachten, so schlimm wird es mit den Russen schon nicht werden, blieben zurück auf ihren Höfen. Georg Szczepanskis Großeltern zum Beispiel. Nicht alle Deutschen wurden ermordet oder vertrieben. Und weil jemand den Hof bewirtschaften musste, beorderten die Großeltern den ältesten Sohn nach dem Krieg zurück. Georgs Vater. Deshalb ist Georg 1955 im Kreis Olsztyn geboren, wie Allenstein seit Kriegsende heißt. Wenige Monate bevor die letzten Einheiten der Sowjetarmee die Stadt verließen. Ausreise nach Deutschland genehmigt Georg Szczepanski begann eine Autoschlosserlehre, 1974 lernte er am Allensteiner Bahnhof die zwei Jahre jüngere Anna Wölki kennen, die Köchin werden wollte. 1976 haben sie geheiratet, als verspätetes Hochzeitsgeschenk sozusagen wurde ihnen kurz darauf endlich die Ausreise nach Deutschland genehmigt, die Willy Brandt mit seiner auf Versöhnung zielenden Ostpolitik möglich gemacht hatte.Das Paar zog zunächst nach Bielefeld und kaufte 1983 ein Haus in Sende. Statt in der Autowerkstatt und der Küche landeten Anna und Georg Szczepanski bei der Post. Seit Jahresanfang ist auch sie im Ruhestand, trotzdem hat sie genug zu tun. Sie unterstützt eine ältere Nachbarin im Haushalt, während ihr Mann als Minijobber den Kurierdienst erledigt. Die drei Kinder wohnen in der Umgebung, so können die Szczepanskis viel Zeit mit den mittlerweile acht Enkeln verbringen. Eines können sich die Ruheständler noch immer nicht so richtig abgewöhnen: das frühe Aufstehen. Um fünf Uhr schellte jahrzehntelang der Wecker. &bdquo;Wir haben es aber schon geschafft, jetzt eine Stunde länger liegen zu bleiben“, sagt Georg Szczepanski und lacht.

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