Nicht alle Vögel sind noch da

Schloß Holte-Stukenbrock. Vor dem Wohnzimmerfenster von Hermann und Barbara Vorwerk stehen zwei hölzerne Vogelfutterhäuser auf der Terrasse. Hermann Vorwerk öffnet das Dach der Häuschen, schüttet aus einem Beutel Kerne, Nüsse und Samen hinein und verschließt sie wieder. Dann heißt es warten, Ruhe bewahren, beharrlich sein. Denn zunächst passiert: nichts. &bdquo;Hermann, es kommt keine einzige, nicht mal eine Meise“, ruft seine Frau Barbara aus dem Wohnzimmer. Der Rückgang der Vogelbestände ist auch im Garten von Familie Vorwerk sichtbar. Seit Jahrzehnten beobachtet das Ehepaar Vögel, füttert sie und freut sich über die gefiederten Gäste in ihrem Garten. &bdquo;Das ist für uns wie Kino“, sagt Barbara Vorwerk. Deshalb nehmen die beiden jedes Jahr an den vom Naturschutzbund (NABU) initiierten Vogelzählungen teil, im Mai zur &bdquo;Stunde der Gartenvögel“ und jetzt im Januar zur &bdquo;Stunde der Wintervögel“. Im vergangenen Jahr beteiligten sich Hermann und Barbara Vorwerk genau wie rund 136.000 weitere Menschen an der Winterzählung. Die beiden warten derweil auf die ersten Vögel in ihrem Garten. &bdquo;Wir merken, wie das Vogelgezwitscher in den vergangenen Jahren weniger geworden ist“, erklärt Barbara Vorwerk und wirft einen Blick auf die Vogelfutterhäuser vor dem Wohnzimmerfenster. Nach etwa zehn Minuten treffen dann aber doch die ersten Gäste ein: &bdquo;Oben im Geäst sitzen zwei Meisen im Apfelbaum, und da hinten sehe ich den ersten Spatz“, sagt Hermann Vorwerk, der sich mittlerweile zu seiner Frau ins Wohnzimmer gesetzt hat und von dort aus das Geschehen im Garten beobachtet. Eine Kohlmeise rast auf das Vogelfutterhaus zu, pickt sich schnell etwas von den Kernen und fliegt zurück zum blätterlosen Apfelbaum. App zur Vogelbestimmung Jeden Vogel, den sie zählen, notiert Barbara Vorwerk auf einer Strichliste. Später geben sie die gesammelten Daten auf ihrem Tablet-PC ein und übermitteln sie dem NABU, der die Zahlen für ganz Deutschland auswertet. Mittlerweile hat die Organisation eigens für die Vogelbestimmung eine App (NABU Vogelwelt) herausgegeben. Der Ornithologe Dirk Grote von der Biologischen Station Kreis Paderborn-Senne begrüßt die Aktion des NABU. &bdquo;Dadurch bekommen die Menschen wieder einen Bezug zu der Art“, erklärt Grote. Die &bdquo;Stunde der Wintervögel“ könne für das Thema sensibilisieren, auf den Rückgang der Artenvielfalt hinweisen. Denn der ist mittlerweile nicht nur im Garten von Familie Vorwerk spürbar. Auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Jahr 2017 antwortete die damalige Bundesregierung: &bdquo;Der Rückgang von Vogelpopulationen weist auf die Naturzerstörung insgesamt hin. Hauptgrund für das Artensterben ist die industrielle Landwirtschaft.“ Insbesondere im vergangenen Jahrzehnt seien die Brutvogelbestände unter Druck geraten, heißt es in dem Schreiben. Hinzu kommen spezifische Krankheiten. Die Amselbestände wurden im vergangenen Sommer durch das tropische Usutu-Virus dezimiert. Dem NABU wurden dieses Jahr bis September mehr als 12.300 Verdachtsfälle gemeldet. Ähnlich erging es den Grünfinken, von denen mehrere Zehntausend an einer tödlichen Krankheit verendeten. Deshalb sei die Aktion des NABU positiv zu bewerten, sagt Grote. Gleichwohl dürften die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht überbewertet werden. &bdquo;Je mehr Menschen jedes Jahr teilnehmen, desto größer sind letztlich die Populationen.“ Außerdem sei es durchaus möglich, dass ein Vogel, der mehrmals durch den Garten hüpft mehrfach gezählt würde. Finden die Vögel in den umliegenden Wäldern genug Nahrung, fliegen sie zudem seltener in die Siedlungen. &bdquo;Dennoch ist es gut, wenn sich die Menschen damit beschäftigen.“ Nistkästen helfen Denn das Wissen über den Artenrückgang könnte Garten- und Hausbesitzer dazu animieren, etwas für die Vögel zu unternehmen. &bdquo;Ich bin sehr erfreut, wenn jemand Nistkästen aufstellt“, sagt Grote. Nistplätze für am Haus brütende Vögel, samentragende Pflanzen oder unversiegelte Bodenflächen im Garten, die eine abwechslungsreiche Struktur bieten, führten zu einem besseren Habitat für Vögel. Hermann und Barbara Vorwerk wissen das. Im Sommer blüht es in ihrem Garten, Obstbäume tragen Früchte. Im Herbst wird das Laub der Bäume nicht gleich entsorgt. Vögel wie Amseln oder Rotkehlchen suchen dann unter dem Laub nach Nahrung. &bdquo;Schließlich sind wir Menschen Schuld an dem Rückgang“, sagt Barbara Vorwerk. &bdquo;Darüber bin ich ein bisschen traurig, aber ich tue, was ich kann.“ Und dann, eine halbe Stunde nachdem ihr Mann die Vogelfutterhäuser aufgefüllt hat, erkennt sie auf dem Apfelbaum einen Dompfaff, auch Gimpel genannt. Der männliche Dompfaff mit seinem rötlichen Gefieder ist ihr Lieblingsvogel. &bdquo;Einfach wunderschön“, sagt Barbara Vorwerk. Das Warten hat sich gelohnt.

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