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"Mütter bleiben unversorgt"

Hebammen droht Berufsverbot / Platzmangel in Kursen auf dem Land

19.03.2014 | 19.03.2014, 13:44
Viele Hebammen bieten wegen der hohen Haftpflichtprämien keine Geburtshilfen an. Aber – wie hier – Schwangerschaftsvorsorge und Nachsorge und Rückbildungsgymnastik, wenn das Baby auf der Welt ist. Ab Sommer 2015 könnte das vorbei sein. - © FOTO: DPA
Viele Hebammen bieten wegen der hohen Haftpflichtprämien keine Geburtshilfen an. Aber – wie hier – Schwangerschaftsvorsorge und Nachsorge und Rückbildungsgymnastik, wenn das Baby auf der Welt ist. Ab Sommer 2015 könnte das vorbei sein. | © FOTO: DPA

Schloß Holte-Stukenbrock. 53 Zentimeter, 3.140 Gramm. Größe und Gewicht des Kindes bei der Geburt hat eine Mutter natürlich parat. Auch Barbara Pelkeit kann die Daten ohne Überlegen nennen. Zumal die kleine Sophie noch ziemlich jung ist. Gerade einmal fünfeinhalb Wochen. Sophie geht es gut. Gott sei Dank sagen da auch Nichtchristen. Sophie ist Barbara Pelkeits erstes Kind und deshalb hat die Mama viele Fragen. Die stellt sie ihrer Hebamme. Wem sonst? Das könnte sich bald ändern – mit ungeahnten Auswirkungen.

Am Wochenende sind Hunderte von Menschen in Paderborn auf die Straße gegangen. Hebammen und Familien. Sie alle wollen, dass der Beruf der Hebamme weiterhin existiert. Auch über den ersten Juli 2015 hinaus. An diesem Tag könnte der Beruf der Hebamme inexistent werden. Und deshalb wird es weitere Demonstrationen geben. Die nächste Ende März in Bielefeld.

"Hebammen muss es weiter geben", da ist sich Pelkeit sicher. Sie ist 31 Jahre alt und hat das gemacht, was fast alle Mütter machen. Besonders beim ersten Kind. Sie hat einen Geburtsvorbereitungskursus besucht, ist jetzt bei der Rückbildungsgymnastik dabei. Auf die kleine Sophie passt in der Zeit der Vater auf. Und mindestens einmal in der Woche bekommen die Eltern Besuch von der Hebamme.

In Pelkeits Fall ist es Franziska Hoyer. Die 25-Jährige ist Hebamme geworden, um Geburten zu begleiten, Kinder auf die Welt zu bringen. Doch davon hat sie sich schon verabschiedet. Seitdem die Beiträge für die Berufshaftpflichtversicherung stark angestiegen sind.

Bis zu 5.000 Euro müssen freiberufliche Hebammen pro Jahr zahlen, wenn sie Geburtshilfe anbieten. "Das sind 15 bis 16 Geburten im Jahr – allein für die Versicherung", sagt Anja Kassing, gerechnet bei einem Nettostundenlohn von 8,50 Euro. Sie ist ebenfalls Hebamme und hat eine Praxis in Schloß Holte. 55 Jahre ist sie alt und seit 20 Jahren Hebamme. Doch Geburtshilfe kann sie sich auch nicht mehr leisten.

Die beiden Frauen helfen anders: Schwangerschaftsvorsorge, Rückbildungsgymnastik, Stillberatung oder Wochenbettbetreuung. Auch dafür müssen sie versichert sein, allerdings mit einem wesentlich geringeren Beitrag. Etwa 500 Euro zahlt Hoyer im Jahr. "Das ist noch tragbar", sagt sie. Doch im Sommer 2015 will der letzte verbliebene Versicherer abspringen. Das käme einem Berufsverbot gleich, weil Hebammen ohne Haftpflichtversicherung nicht arbeiten dürfen.

Hoyer ist optimistisch, dass bis dahin eine Lösung gefunden wird. "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein ganzer Berufsstand über die Klippen springen muss", sagt sie. Aber wenn nicht? Für die – angehenden – Mütter verschlechtert sich die Situation wahrscheinlich. Franziska Hoyers Terminkalender ist jetzt schon voll. Acht Frauen musste sie wegen Platzmangel im Kursus absagen. Wenn sie und Kassing nicht mehr praktizieren dürfen, müssen die Frauen mit all ihren Fragen zum Kinderarzt, zum Frauenarzt oder direkt in die Klinik.

Die Kliniken in Bielefeld und Paderborn steuern die meisten Frauen zur Geburt an, schätzt Hoyer. Den Service, bei Fragen einfach anzurufen, wird es dann nicht geben. Barbara Pelkeit hat Hoyers Handynummer natürlich gespeichert. Vor kurzem hatte sie Schmerzen in der Brust. "In dringenden Fällen rufe ich an, auch abends", sagt sie. Hoyer hat mit ihren Patienten vereinbart, dass sie von 7 bis 22 Uhr erreichbar ist. In den ersten acht Lebenswochen des Kindes macht sie bis zu 14 Hausbesuche, bis zum 9. Monat darf sie auch telefonisch beraten. Das kann sie abrechnen.

Sie glaubt, dass die Frauen- und Kinderärzte schnell an ihre Belastungsgrenzen stoßen würden, in manchen Fällen könnte das Kreisfamilienzentrum beraten. Eins sollten die Mütter aber nicht machen: "Bei Problemen nicht googeln", sagt sie. Ihre Kollegin Anja Kassing ergänzt: "Frauen bleiben unversorgt."

Wer eine Hebamme aus Schloß Holte-Stukenbrock und Umgebng sucht, kann zum Beispiel in dem Internetportal www.hebammensuche.de stöbern.