Rietberg

Denkmal für den Onkel

Anton Regenberg liest aus "Onkel Antons letzte Reise"

Anton Regenberg stellt einen Roman über seinen gleichnamigen Onkel vor, der in Rietberg unter seinem Spitznamen "Domp" bekannt war. | © FOTO: ROLF BIRKHOLZ

11.04.2014 | 11.04.2014, 01:33

Rietberg. Als die Adresse Mühlenstraße 5 noch Rietberg 238 hieß, als die "Schwanenwirtin" auch Apothekerin war und neben Bier und Schnaps (andere) Medikamente ausgab, als der "Domp" Geschichten erzählte und Geschichten machte – in die mehr oder weniger gute alte Zeit der 1920er und 30er Jahre führt Anton Regenbergs dokumentarischer Roman "Onkel Antons letzte Reise". Aus dem Buch über seinen gleichnamigen Patenonkel trug der Autor jetzt in der 115. Veranstaltung der kulturig-Lesereihe vor.

Der promovierte Germanist Anton Regenberg, der als Leiter von Goethe-Instituten viel in der Welt herumgekommen ist, wurde 1931 in Koblenz geboren. Rietberg kennt er von Ferienaufenthalten als Kind und späteren Besuchen. Familienerzählungen, vor allem eines Cousins, sowie Nachforschungen in Stadtarchiv, Standesamt und Kirchenbüchern lieferten dem heute in Brüssel lebenden Verfasser ein Faktengerüst, das er mit teils erfunden Szenen und Gesprächen füllte.

Die rund 70 Zuhörer im Ratssaal erfuhren, wie Onkel Antons Vater, der Schlosser Ferdinand Regenberg, als Handwerker auf Wanderschaft aus Breslau bei seinem künftigen Schwiegervater Schlossermeister Schröder im Haus 238 unterkam und 1880 eine Tochter des Ackerbürgers heiratete. 1890 kam Anton als eines von zehn Kindern des Ehepaares zur Welt.

Schon in Antons Jugend entdeckte der Autor einen gewissen Widerspruchsgeist gegen obrigkeitsstaatliche Vorgaben. Der junge Mann wurde ebenfalls Schlosser, war im Schützenverein, fuhr gerne mit dem Fahrrad, zeitweise zur Arbeit bei Draht-Wolf in Gütersloh, und liebte Zigarren, daher der Spitzname "Domp" wie Dampf. Bei der Schwanenwirtin muss er das Qualmen etwas einschränken, im "Himmelreich", einer anderen Kneipe, hält er sich in den späten 30ern offenbar auch mit spitzen Bemerkungen zur Politik des Dritten Reiches nicht zurück.

Onkel Anton sei Pazifist gewesen, meinte sein Neffe: "Er hätte heute die Grünen gewählt." Damals aber war man in Rietberg nicht zuletzt katholisch. Und so bekommt Onkel Anton auch eine Kopie der seinerzeit unter Katholiken kursierenden Predigten des Bischofs Clemens August Graf von Galen aus Münster in die Hände. Darin empört sich der spätere Kardinal über die Euthanasie-Morde der Nazis und warnt, dass vor deren Willkür niemand sicher sei. Von der beginnenden Judenverfolgung erfährt Anton bei der Verwandtschaft in Koblenz.

Was aber hat den Mann, der laut dem Heimatvereinsvorsitzenden Michael Orlob als Original "mit zum festen Rietberger Sagenbestand gehört", getrieben, sich am 12. August 1940 in seiner Gartenlaube zu erhängen? Das kann auch Regenberg nur vermuten: Hat er sich verfolgt gefühlt? War er hypochondrisch veranlagt? Mochten ihn bestimmte Leute in der Stadt nicht? Immerhin hat er, damals ungewöhnlich für Selbstmörder, ein christliches Begräbnis erhalten. "Er hat sogar ein Seelenamt bekommen", sagt Regenberg. Und nun auch ein "kleines Denkmal" vom Neffen.