Vom Kreis Gütersloh zurück nach Syrien: 35-Jähriger findet komplett zerstörtes Wohnhaus

Rheda-Wiedenbrück. Was Muhammad Alhamwi seit 2015 völlig ausgeschlossen hatte, was für ihn selbst im November noch unmöglich schien, hat er nun wahr gemacht: Er ist nach Syrien gereist. &bdquo;Aus dem Nichts heraus kam es plötzlich, dass ich noch eine Heimat habe, die ich besuchen kann“, sagt er. Am 8. Dezember 2024 wurde das syrische Regime von Baschar al-Assad gestürzt. Die Tage zuvor hatte der 35-Jährige Stunde um Stunde, Minute um Minute verfolgt, wie Aufständische von Idlib aus auf Damaskus vorrückten. &bdquo;Wir waren nachts alle wach“, meint Alhamwi seinen Bruder und seine Eltern in Manchester, seine Frau und seine Freunde in Rheda-Wiedenbrück. &bdquo;Die Nachricht, dass Baschar al-Assad weg ist, war unbeschreiblich.“ Schwer fällt es Alhamwi auch, in Worte zu fassen, was er bei seiner Reise nach Darayya empfand. Auf dem Weg in den Vorort der syrischen Hauptstadt habe er nichts in seinem ehemaligen Heimatort erkannt. &bdquo;Kilometerlang ist auf beiden Seiten der Hauptstraße alles zerstört.“ Auch sein Haus ist eine Ruine. Verorten konnte er das nur durch einen großen Baum, der dahinter wuchs - und noch steht. Ausgestiegen ist der 35-Jährige nicht, zu traurig war der Anblick. Er hat seinen Freund Malek Taleb gebeten, weiterzufahren. Und noch mehr Zerstörung gesehen. Lesen Sie auch: Gütersloher sauer: Behörden verweigern ihm Familienbesuch aus der Türkei Mann aus Kreis Gütersloh feiert das Ende des Regimes Später kehrte der Vater eines eineinhalbjährigen Sohnes zurück, fand im Staub zwischen den Resten des Mauerwerks Bücher seines Vaters. Auch eines von Lenin in einem roten Ledereinband. Alte Familienfotos, die Alhamwi mit seinen Geschwistern zeigen, hatten Angehörige vor Jahren aus der Ruine gerettet. Am liebsten wäre der Mann, der seit fünf Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft hat, schon am 8. Dezember nach Syrien geflogen. Doch seine Frau bremste ihn. Also tanzte und feierte der 35-Jährige an dem Sonntag ausgelassen mit Freunden auf dem Gütersloher Rathausplatz das Ende des diktatorischen Regimes, unter dem er selbst gelitten hatte. Der Computer-Fachmann hatte für Demokratie und damit gegen das Assad-Regime demonstriert, kam deswegen mehrere Monate ins Gefängnis, wurde gefoltert. Nach seiner Freilassung floh Alhamwi nach Jordanien. Dort spürte ihn der jordanische Geheimdienst auf, kontaktierte ihn und drohte ihm mit dem syrischen Geheimdienst. Um der neuen Gefahr zu entrinnen, lieh Alhamwi sich Geld von im Ausland lebenden Familienmitgliedern, um seine Flucht auf dem Landweg nach Deutschland zu finanzieren. Heimweh als Luxusproblem für Mann aus Kreis Gütersloh 2015 sagte er in einem Gespräch mit der &bdquo;NW“, damals noch auf Englisch, dass er froh sei zu leben und Heimweh für ihn darum ein Luxusproblem sei. Im Januar flog er nun nach Beirut, um von dort über die Grenze nach Syrien zu fahren. &bdquo;Als ich unsere neue Fahne gesehen habe, war das herrlich, das war Gänsehaut“, erzählt Alhamwi in perfektem Deutsch. Auf einer Fahrt nach Damaskus erkannte er am Straßenrand zufällig einen früheren Bekannten, blieb stehen, begrüßte und umarmte ihn. Weitere Leute, zu denen der 35-Jährige zehn Jahre keinen Kontakt hatte, kamen hinzu. &bdquo;Das waren Momente voller Freude“. Die erste Frage, die alle stellten: &bdquo;Wann kommt ihr zurück?“ Beantworten kann Alhamwi die nicht. &bdquo;Wir müssen erst mal gucken, wie wir uns zurechtfinden könnten.“ In Darayya sind alle Leitungen gestohlen worden, gibt es weder Strom noch Wasser. Damit fehlt auch das Internet, das Alhamwi für seine Arbeit braucht. In Rheda-Wiedenbrück ist der 35-jährige Fachinformatiker als Cloud-Architekt seit vielen Jahren, mit einer zweieinhalbjährigen Unterbrechung, als er beim Kreis Gütersloh tätig war, bei der Premium Food Group (Tönnies) beschäftigt. Mann aus Kreis Gütersloh hofft auf Besserung in Syrien Neben der problematischen Infrastruktur blicken Alhamwi und seine Frau, die ihr Anerkennungsjahr als Erzieherin absolviert, auch auf die syrische Übergangsregierung unter Ahmed al-Sharaa. Zwar &bdquo;haben wir jetzt in Syrien die Freiheit, unsere Meinung zu sagen, was Jahrzehnte nicht möglich war“. Und der 35-Jährige vertraue auch nicht so sehr dem neuen Präsidenten, &bdquo;aber dem Volk“, dessen Land nun frei sei. Darum ist er zuversichtlich, dass es in Syrien besser wird, &bdquo;schlechter kann es auf keinen Fall werden“. Das bedeute auch, Assad-Anhänger zu akzeptieren. &bdquo;Wir müssen die letzten 15 Jahre zur Seite legen und unser Land wieder aufbauen - das geht nur Hand in Hand.“ Darum unterstützt Alhamwi eine Hilfskampagne, die in Darayya mit der zivilen Verwaltung kooperiert, um das Bildungssystem wieder herzustellen. In seinem Heimatort gibt es 651 Lehrkräfte für 10.050 Schüler und Schülerinnen aller Altersstufen. Ihnen stehen 26 Schulen zur Verfügung, zehn davon sind zerstört, in allen fehlt es an der grundlegenden Ausstattung von Möbeln bis Schulmaterialien. Ein Teil des nötigen Betrages von 40.000 US-Dollar kommt aus Rheda-Wiedenbrück. Kreis Gütersloh ist für den Syrer zur Heimat geworden Diese Stadt, die ihm zur ersten Heimat geworden war, zu verlassen, würde Alhamwi &bdquo;sehr schwerfallen“. Doch spielt die aktuelle politische Stimmung in Deutschland eine Rolle bei seinem intensiven Nachdenken über eine Rückkehr nach Syrien. &bdquo;Ich habe mich hier immer sicher gefühlt, aber das ändert sich gerade.“ Das stellvertretende Mitglied im städtischen Integrationsrat spürt immer öfter die Aufforderung zurückgehen zu sollen, hier nicht mehr gewollt zu sein. Lesen Sie auch: Nach Tönnies-Lockdown im Kreis Gütersloh: Haben sich die Arbeitsbedingungen verbessert? Sage ihm jemand, dass er ein netter Migrant sei, dass er anders sei als all die anderen, macht ihn das traurig. &bdquo;Man muss immer den Menschen sehen und nicht seine Herkunft. Das Reden über die Abschiebung von Verbrechern mit Migrationshintergrund - für deren Taten auch Alhamwi selbstredend keinerlei Verständnis hat - ist für ihn &bdquo;nur der Anfang“. Vorstellbar ist für den 35-Jährigen, &bdquo;dass es hier irgendwann um ganze Völker geht.“ Darum halten er und seine Frau es sich offen, ob sie hierbleiben oder irgendwann zurückgehen - so wie viele ihrer Freunde und Bekannten. Auch das ist ein sehr emotionales Thema für Alhamwi. &bdquo;Denn ich liebe Deutschland und wünsche ihm nur das Beste.“

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