Musical-Fabrik sagt Aufführungen ab und hofft auf Verzicht der Zuschauer

Rheda-Wiedenbrück. Überrascht waren Musiker, Schauspieler, Bühnenbauer und alle, die seit 15 Monaten am Musical "Der Medicus" arbeiten, nicht. Angefasst aber waren viele, die Donnerstagabend in die Musical-Fabrik gekommen waren. Dort verkündete Klaus Wulfheide, Geschäftsführer des Vereins, dass die für Dezember geplanten 14 Aufführungen abgesagt sind. "Das ist ein emotionales Drama für alle Mitwirkenden." Bei manchen kullerten Tränen in den Mund-Nasen-Schutz. Schon im März flossen Tränen bei vielen der 150 Ensemblemitglieder. Damals hatten sie das Bühnenbild in der Stadthalle fast aufgebaut, waren zu 100 Prozent spielbereit, voller Vorfreude und durften "Der Medicus" wegen Corona nicht zeigen. Wulfheide verhandelte erneut mit den Linzenzgebern. Anfang Juni informierte er, dass das Musical zum Jahresende im A2 Forum aufgeführt werden soll. Doch jetzt steigt die Zahl der Covid-19-Erkrankten und die Temperaturen sinken. "Wie sollen wir da rechtfertigen, dass die Musicalfabrik ihr Projekt durchzieht?" "Das fühlt sich nicht gut an, aber richtig" Dem Vorstand fiel die Entscheidung schwer. Er überlegte und diskutierte, weil alle mit viel Leidenschaft an "Der Medicus" arbeiten. Doch sind die Herausforderungen, die mit Vorbereitung und Aufführung verbunden sind, fast unlösbar. Bei den Proben müssen Schauspieler und Sänger zwei Meter Abstand halten. "Wir kommen aus vielen Städten und Berufen, haben Kontakt mit vielen anderen Menschen", sagt Jutta Helmer, zweite Vorsitzende. Auf der Bühne stünden in einigen Szenen aber bis zu 40 Darsteller. Im Orchester spielen auch Bläser, die Aerosole verteilen. Im A2 Forum kämen zu 14 Aufführungen jeweils 600 Zuschauer. Unter Einhaltung der Hygienevorschriften säßen einige von ihnen mit 60 Meter Abstand zur Bühne. Angedacht war eine reduzierte, konzertante Aufführung des Musicals mit einem Erzähler und wenig Schauspielern, ohne szenische Darstellung. Daran hätten nicht alle mitwirken können. Eine Genehmigung gab es von den Lizenzgebern dafür ohnehin nicht. Hinzu kommt, dass niemand weiß, welche Hygieneregeln im Dezember gelten. "Wir können jetzt nicht voller Euphorie wieder proben und im Dezember fällt die ganze Chose ins Wasser", sagt Wulfheide. Es geht um 200.000 Euro brutto Eine Enttäuschung ist die Absage, die sich für den Geschäftsführer "nicht gut, aber richtig anfühlt", auch für das Publikum. Auf das komme es nun an, sagt Wulfheide. 7.500 Eintrittskarten wurden für die Aufführungen verkauft. Ein Teil dieser Einnahmen ist ausgegeben. Finanziert wurden Stoffe für Kostüme, Materialien für das Bühnenbild, Kosten für die Aufführungsrechte, Miete und Betrieb des Hauses der Musical-Fabrik am Bosfelder Weg. Sollten alle Musical-Fans ihren bezahlten Kaufpreis zurückverlangen, "wären wir pleite", sagt Wuflheide. Er spricht von brutto 200.000 Euro. Zwar habe die Stadt signalisiert, Geld aus dem Corona-Hilfsfonds bereitstellen zu wollen. "Doch hoffen wir jetzt auf die Solidarität der Menschen", sagt Helmer. Es gehe um die Existenz des Vereins, der für viele ein Ort der Begegnung und Leidenschaft sei. "Wo Musical-Aufführungen auf hohem Niveau von Menschen allen Altern erarbeitet und präsentiert werden", heißt es in einem Brief. Den hat die Flora Westfalica an 1.900 Adressaten, die Tickets gekauft hatten, versandt. Sie entscheiden nun, ob sie den Kaufpreis rückerstattet haben möchten oder ihn spenden und dafür eine entsprechende Quittung erhalten. "Wir sind sehr traurig" Die finanziellen Auswirkungen der Absage waren für die Ensemble-Mitglieder am Donnerstagabend zweitrangig. "Wir sind sehr traurig, weil wir lange geprobt und gehofft haben, dass wir das Musical im Dezember aufführen können", sagt die 13-jährige Lena Grochtmann. Für sie und ihre elfjährige Freundin Tilda Peterburs wäre es der erste Auftritt auf großer Bühne gewesen. Damit hat Jenny Effertz, die die Mutter des Medicus gespielt hätte, Erfahrung. Sie durfte schon öfters das erhebende Gefühl genießen, für monatelange Probenarbeit mit jubelndem Applaus belohnt zu werden. Dass "gerade die Kleinen und die Neuen das jetzt nicht erleben dürfen ist sehr schade". Zwar hat Effertz die Absage erwartet, sehr traurig ist sie dennoch. "Aber gegen Corona kann eben keiner etwas machen." Ganz der Pandemie will sich Wulfheide nicht geschlagen geben. Er hat Kontakt zu Michael Gordon, Sohn des Romanautors Noah Gordon, aufgenommen. Nach dem nächsten Musical-Projekt "Claus" könnte es in drei oder vier Jahren erneut um "Der Medicus" gehen. Eine Zusage hat der Geschäftsführer der Musical-Fabrik noch nicht, aber sein Gesprächspartner "kann es sich vorstellen". Wulfheide, der jüngst seinen 60. Geburtstag feierte, betonte: "Ich will mindestens noch zehn Jahre die Musica-Fabrik machen und dann auch den Medicus spielen."

Meistgelesen