Tönnies-Neustart nach Corona-Ausbruch bringt Landrat in Erklärungsnot

Kreis Gütersloh. Eigens zum Corona-Ausbruch bei Tönnies und dessen Folgen hatte die SPD-Fraktion eine Sondersitzung des Kreisausschusses beantragt. Doch die Nachricht des Tages erreichte die Politiker erst nach 90 Minuten von außerhalb: Tönnies darf, einen Tag vor Auslaufen der Schließungsverfügung durch das Land NRW, wieder schlachten. Ein Kreistagsmitglied hatte während der Sitzung durch einen Blick auf die Nachrichten-App seines Handys davon erfahren und die Runde informiert. Das brachte nahezu die gesamte Politik in Aufruhr und Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) leicht in Erklärungsnot. Videokonferenz kurz vor der Sondersitzung &bdquo;Sie reden hier von einem Zwischenstand bei den Untersuchungen zur Wiederinbetriebnahme bei Tönnies und jetzt erfahren wir, dass morgen wieder geschlachtet werden soll", empörte sich Liane Fülling (SPD). &bdquo;Hinter Ihnen sitzen Eltern, die noch immer von der Kitaschließung beim zweiten Lockdown betroffen sind", ergänzte Parteikollegin Elvan Korkmaz-Emre. Der Landrat sah sich gar dem Verdacht ausgesetzt, etwas verheimlichen zu wollen, als Minuten später Korkmaz durch eine Online-Meldung der NW erfuhr, dass auch der Zerlegebetrieb am Freitag starten darf. Adenauer: &bdquo;Wir haben bis eine halbe Stunde vor der Sitzung in einer Videokonferenz mit Tönnies, der Bezirksregierung, der Landesregierung und der Stadt Rheda-Wiedenbrück geklärt, dass Tönnies morgen seinen Schlachtbetrieb wieder aufnehmen kann. In diesem Bereich haben nur drei Prozent der Infektionen stattgefunden." Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz und weitere Vorgaben 597 Mitarbeiter dürfen somit ab Donnerstag in der Schlachtung, sieben Mitarbeiter in der Blutverarbeitung ihre Arbeit schrittweise aufnehmen. In elf Punkten sind Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen ergriffen worden, um eine Teilaufhebung der Schließung, keine Komplettaufhebung, zu erreichen. Die einzelnen Maßnahmen hatte die Stadt Rheda-Wiedenbrück schon bei der Wiederinbetriebnahme von Tillman’s Convinience am Montag bekannt gegeben. Patrick Steinig vom Veterinäramt des Kreises präzisierte die Angaben. Die Lüftung in der Schlachtung basiere auf hoher Frischluftzufuhr, daher sei dieser Bereich kein Problem, während in der Zerlegung vor allem mit Umluft gearbeitet worden sei. Außerdem würde auf Abstände bei den Mitarbeitenden geachtet, gegebenenfalls sollen auch Trennwände vor Ansteckung schützen. Zudem sei auf dem ganzen Werksgelände ein chirurgischer Mund-Nasen-Schutz zu tragen, auch im Kantinenbereich würde auf Abstände und Aufteilung auf verschiedene Bereiche gesetzt. Außerdem sei eine Datenbank für Adressen aufgebaut worden, die regelmäßig zu aktualisieren sei. Bei Betriebsangehörigen von Tönnies werde der Stand einmal im Monat abgefragt, bei Werkvertragsarbeitnehmer müssten die Subunternehmer die Liste alle drei Monate erneuern. Zu wenig, befand, die Politik. Testungen nach der Pool-Methode Die Reihentestungen würden über das vom Seuchenschutzgesetz vorgegebene Maß mit zwei Testungen pro Woche überdies mit Testungen nach der Pool-Methode ergänzt. Bei einem negativen Ergebnis haben sämtliche darin enthaltenen Proben ein zuverlässig negatives Ergebnis. Bei einem positiven Befund wird eine Einzeltestung in zuvor angefertigten Rückstellproben durchgeführt. Heinz-Josef Sökeland (CDU) fragte: &bdquo;Warum nur acht Wochen?" Adenauer brachte als Argument die Verhältnismäßigkeit der Mittel vor. Aus der Politik kamen weitere Fragen: Wer denn das Einhalten der Maskenpflicht kontrolliere? Wer führe Aufsicht bei der von Tönnies selbst zu gründenden Gesellschaft zur Wohnraumwirtschaft, die dafür sorgen soll, dass etwa keine Überbelegung erfolge. Das alles soll laut Kreis in den Händen von Tönnies liegen. Die Politik forderte nicht nur hier auch Kontrollen durch den Kreis, die Arbeitsschutzbehörde der Bezirksregierung oder das städtische Ordnungsamt. &bdquo;Das müssen wir kritisch begleiten" hieß es. Wie viele Schweine geschlachtet werden, liegt bei Tönnies Der Zerlegebereich würde eventuell am Freitag eröffnet, und dann auch nur testweise für einen Tag, wie Ingo Kleinebekel mitteilte. Heute gebe es dazu noch einen Kaltrauchtest. Auch die Zahl der künftig täglich geschlachteten Schweine interessierte die Politik. Patrick Steinig teilte mit, dass sei eine unternehmerische Entscheidung. Zum Test gehe man von 10.000 Schweinen pro Tag aus. Tönnies habe das Personal im Zerlegebereich um etwa ein Drittel reduziert, um Abstände einhalten zu können. Gleichzeitig sei aber der Bereich für die Zerlegung der Rinder nach Badbergen ausgelagert worden, somit stünde wieder mehr Platz für die Zerlegung der Schweine zur Verfügung. Als der Landrat an sein eigenes Wort erinnert wurde, Tönnies nicht eher zu öffnen, bis alles hundertprozentig sicher sei, konterte Adenauer: &bdquo;Wie wollen Sie denn sonst anfangen? Man muss doch ausprobieren, wie es läuft." "Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf" Außerdem gebe es keine rechtliche Grundlage, das Unternehmen über den 17. Juli hinaus zu schließen. Tönnies könne dann Schadenersatz fordern. Zudem habe er Bedenken, alle diese Punkte in der Öffentlichkeit zu diskutieren, womöglich habe man schon viel zu viel mitgeteilt. Um Details in öffentlicher Sitzung zu diskutieren, müsste man erst das Unternehmen fragen. Diese Aussage wiederum setzte ein Sturm der Empörung frei. Sökeland (CDU) sprach für viele Politiker, als er sagte: &bdquo;Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, informiert zu werden, das sind wir ihr nach 14 Tagen erneutem Lockdown schuldig." Tönnies sei am Mittwoch von der Stadt Rheda-Wiedenbrück darüber informiert worden, dass es ab Donnerstag mit der schrittweisen Aufnahme der Schlachtung beginnen dürfe, erklärte Pressesprecher André Vielstädte. &bdquo;Wir werden daher ab Donnerstagmorgen in einer Schicht die Schlachtung wieder aufnehmen und unter den neuen Auflagen des Hygienekonzepts produzieren", teilte Vielstädte am Mittwochabend weiter mit. Schweinemäster in der Region atmen auf Die Schweinemäster in der Region atmen bei der Nachricht nun auf. &bdquo;Wir sind alle froh, dass wir wissen, wie es weiter geht", sagt Cornelia Langreck, Schweinemästerin aus Rheda-Wiedenbrück. Wegen der Lage seien auch die Preise in der vergangenen Woche in den Keller gegangen, nun hoffe sie, dass sich der Markt wieder etwas erholt. Und auch die Angst, dass sich die Schweine in den Ställen so sehr stauen, dass es irgendwann zu Notschlachtungen kommen könnte, sei nun erst einmal vorbei. Die Sorgen der Landwirte hätte die Stadt Rheda-Wiedenbrück genauso wahrgenommen wie andere Interessenslagen in der Sache, sagt Bürgermeister Theo Mettenborg auf Anfrage der NW. Entscheidend sei aber der Schutz der Bevölkerung gewesen. &bdquo;Wir haben uns leiten lassen von dem Grundsatz Sicherheit vor Schnelligkeit", erklärt er. Die Experten, die das Hygienekonzept bewertet haben, hätten sehr gewissenhaft und dabei von früh bis spät gearbeitet. &bdquo;Das war jetzt nur möglich, weil alle Beteiligten sich weit über das normale Maß hinaus eingebracht haben", sagt Mettenborg. Bürgermeister von Gütersloh: "Betrieb auf Bewährung" Güterslohs Bürgermeister Henning Schulz äußerte sich kritischer: &bdquo;Meine Aussage ist und bleibt: Ein Weiter so darf es nicht geben. Meine klare Erwartungshaltung: Alle Schritte, die erforderlich sind, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen bei Tönnies zu verbessern und um der noch immer überall existierenden Corona-Situation gerecht zu werden, sind radikal durchzuführen. Und wenn das an irgendeiner Stelle nicht einzuhalten ist, sind sofort weitere Konsequenzen zu ziehen. Insofern ist das im Moment aus meiner Sicht ein Betrieb auf Bewährung."

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