Rheda-Wiedenbrück. Einen Sommerschlussverkauf verkünden die dicken Prozentschilder auf den Schaufensterscheiben der Parfümerie Schwarz nicht. Es ist ein Abschiedsgeschenk von Marlies Stickling an ihre Kunden. Sie hat ihre Geschäfte zum 1. September verkauft.
Damit endet eine 110-jährige Firmengeschichte. Gegründet hatte das Ehepaar Schwarz das Stammhaus 1908 an der Wasserstraße 9. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam das Geschäft in Rheda hinzu – zunächst an der Berliner Straße 45 und seit 1976 an der Bleichstraße 9.
Sticklings Geschichte in dem Unternehmen begann 1966: Sie kam als Lehrmädchen zu Schwarz, lernte Drogistin. „Ich bin quasi aufgewachsen mit dem Abfüllen von Schnaps und Likör, mit dem Verkauf von Gift, Rasensamen und Kindernährmitteln", blickt sie zurück. Als die großen Märkte kamen und der Verdrängungswettbewerb einsetzte, wurde Anfang der 1970er Jahre aus der Drogerie eine Parfümerie. Aus dem breiten Sortiment wurde ein schmaleres. „Kosmetik hatten wir immer schon verkauft, Düfte kamen damals verstärkt hinzu", sagt die 68-Jährige, die 1969 die Filialleitung in Rheda übernahm.
„Früher unvorstellbar, dass Männersich parfümierten"
Damals waren es Parfüms von 4711, Tosca oder Nonchalance für den täglichen Gebrauch, die über die Ladentheke gingen. Für besondere Anlässe trugen die Frauen edle Düfte von Chanel oder Lancôme auf. „Heute will man nur noch Luxus in den kleinen Geschäften, das Alltägliche ist längst in die Märkte gewandert", informiert Stickling, die in Verl geboren wurde und dort lebt.
Kunden, die aus dem gesamten Umkreis in ihre Parfümerien kommen, hätten sich vorab oft sehr gut im Internet informiert. „Aber sie sind bereit, etwas mehr zu bezahlen für unseren Service und die gute Beratung", sagt die Geschäftsfrau, die fast alle Kundinnen mit ihrem Namen anspricht. Und die mit ihren Mitarbeiterinnen gerne Komplimente verteilt. „Wir sind immer ehrlich, das kommt von innen und ist nicht antrainiert", betont die 68-Jährige.
Nach wie vor sei das persönliche Gespräch sehr wichtig. Fragten Frauen früher eher verschämt nach Hygieneartikeln, so suchten sie heute vertraulich eine Beratung, weil sich beispielsweise das Hautbild durch die Wechseljahre verändert. Darum nennt Stickling auch ihre Mitarbeiterinnen ihr wichtigstes Kapital. Zur Chefin wurde sie 1993, als sich das Gründerehepaar altersbedingt zur Ruhe setzte und die 68-Jährige beide Geschäfte gekauft hat – „aber nicht die Immobilien".
Männer sind heute schönheitsbewusster
Auch in den vergangenen 25 Jahren hat sich viel getan. Männer sind heute schönheitsbewusster. „Früher war es unvorstellbar, dass ein Mann sich parfümiert oder sich eine Augencreme kauft", sagt die Verlerin. Vor 20 Jahren hätten sich die Herren stattdessen heimlich aus den Pflegecremetöpfchen ihrer Frauen bedient. Seit einigen Jahren gibt es den Trend zu Spritze und Skalpell. „Doch trotz des kleinen Pieks alle vier Wochen ist eine gute Pflege weiterhin wichtig", erzählt die Frau, die ihre Profession liebt.
Schweren Herzens hat sich die 68-Jährigen nach 52 Berufsjahren darum entschieden, sich aus der Geschäftswelt zu verabschieden. Froh ist sie, mit der Stadt-Parfümerie Pieper eine Nachfolgerin gefunden zu haben. Die ist seit 85 Jahren am Markt und mit 150 Standorten, auch am Klingelbrink, das größte inhabergeführte Parfümerieunternehmen Deutschlands. Pieper übernimmt alle Mitarbeiterinnen – sechs sind es an der Wasserstraße, vier an der Bleichstraße. „Das war mir sehr wichtig." Auch, dass es im Laden in Rheda „nahtlos weitergehen soll".
Stickling wird nun zur richtigen Verlerin, sagt sie augenzwinkernd. Dort will sie sich einen Job für Frühaufsteher suchen, um mit Leuten in Kontakt zu kommen. Zudem möchte sie mit ihrem Mann Deutschland erkunden. Und ab und zu lässt sie sich auch in Rheda blicken. „Dann kaufe ich auf dem Markt nicht nur ein, dann habe ich auch noch Zeit, einen Kaffee zu trinken."