Großer Andrang: Unternehmer aus dem Kreis Gütersloh nach tödlichem Tritt angeklagt

Bielefeld/Halle. Prozessauftakt gegen einen Familienvater aus Halle (47) wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge. Schon am ersten Verhandlungstag vor dem Bielefelder Landgericht wird klar, der große Sitzungssaal ist nicht groß genug. Das Interesse der Öffentlichkeit übersteigt die Kapazität des Saals mit der Nummer 1. Rund 30 Minuten vor Prozessbeginn stehen die Besucher Schlange in dem schmalen Korridor vor der Eingangstür. Bereits eine Viertelstunde vor Sitzungsbeginn muss der Gerichtsangestellte den weiterhin strömenden Interessierten mitteilen: &bdquo;Sie müssen leider draußen so lange warten, bis jemand rauskommt. Der Saal ist voll.“ Drinnen werden die Besucher zu den Pausen darüber informiert, dass &bdquo;Sie damit rechnen müssen, wenn Sie jetzt den Saal verlassen, kommen Sie eventuell nicht mehr rein“. Ab 9.19 Uhr äußert sich der Angeklagte zu den Ereignissen in der Nacht vom 17. und den 18. Dezember 2022 im und vor dem Lokal Friedrichshöhe in Steinhagen-Amshausen. Äußerlich gelassen und mit fester ruhiger Stimme beantwortet der Unternehmer aus Halle die Fragen der drei Richter unter dem Vorsitz von Dr. Georg Zimmermann sowie der Staatsanwaltschaft und seines Verteidigers. Der 47-Jährige in weißem Polohemd, Jeans und weißen Turnschuhen spricht lange und ausführlich über die tragische Nacht, die als harmlose Weihnachtsfeier begann. Vier, fünf Biere und Whiskey vor dem Essen &bdquo;Morgens habe ich noch gearbeitet, gegen Nachmittag ist ein Freund vorbeigekommen und abends hat mich meine Tochter zu der Feier gefahren“, schildert der Angeklagte. Erst als er die Gaststätte an der Kaistraße in Steinhagen betrat, sei ihm klar geworden, dass dort mehrere Firmen feierten. Der Angeklagte war mit seiner Firma als Subunternehmer des Haller Unternehmens Wagemann eingeladen. In den Nebenräumen hatte es sich die Belegschaft des Gütersloher Betriebes Milsmann gemütlich gemacht. Der Abend entwickelte sich prächtig. &bdquo;Die Stimmung war super“, berichtet der Angeklagte: &bdquo;Vier, fünf Biere und Jack Daniels mit Cola vor dem Essen.“ Nach dem Büffet ein launiger Fotovortrag und die Stimmung entwickelte sich &bdquo;immer besser“. Es wurde getanzt und erzählt. Schon recht früh am Abend war der Whiskey zur Neige gegangen. Der Angeklagte gab bereitwillig Geld für alkoholischen Nachschub. Etwa gegen Mitternacht mischten sich die Gesellschaften. Der feucht-fröhliche Abend nimmt seinen vorweihnachtlichen Lauf, bis um 4 Uhr die Gastgeber die Feier beenden und ihre Gäste bitten, den Heimweg anzutreten. Rund zehn bis 15 Personen sind zu diesem Zeitpunkt noch im Party-Modus. Draußen vor der Friedrichshöhe beginnen nun die dreißig Minuten, die das Leben vieler, die jetzt noch vor Ort sind, grundlegend verändern werden. Zur genauen Rekonstruktion sitzt der Angeklagte vor Gericht, sind Sachverständige und Zeugen geladen. Schnell wird im Bielefelder Gerichtssaal klar, dass die Mischung aus Alkohol und Übermüdung sowie die späte Uhrzeit am 18. Dezember 2022 Gift für das Erinnerungsvermögen der Geladenen sind. Ralf Hollmann stirbt am 1. Januar 2023 Die Richter beginnen bei der Ermittlung des Tatherganges am ersten Tag mit einer fast achtstündigen Sisyphus-Arbeit. Der Angeklagte erinnert sich an viel davor und danach. Zu der eigentlichen Straftat, die ihm zur Last gelegt wird, könne er wenig bis gar nichts sagen, behauptet er: &bdquo;Wir sind nach draußen gegangen, wollten zu einem Auto, das uns nach Hause bringt. Ich habe noch eine geraucht, zweimal gezogen und dann habe ich von vorne und von hinten eine drauf bekommen. Keine Ahnung, von wem. Dann war ich auf dem Boden und habe nichts mehr mitbekommen“, sagt er. Der kurzzeitige Blackout des Hallers sei erst eine gewisse Zeit später geendet, &bdquo;als ich wieder aufstehen wollte und nach links und rechts geschlagen habe. Mich haben zwei Leute nach hinten weggezogen, und kurze Zeit später kam schon die Polizei“, so seine Ausführungen. Zu dem todbringenden Tritt aus der Anklageschrift kann oder will der 47-Jährige nichts sagen. Ein zwei Stunden später genommener Blutalkoholwert ergibt bei ihm 1,61 Promille.Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft legen ihm zur Last, dass es eine Rangelei gegeben haben soll, in der Ralf Hollmann, Betriebsleiter bei der Firma Milsmann, schlichten wollte. Dabei soll ihm der Angeklagte ins Gesicht geschlagen haben, wodurch dieser seine Brille verloren haben soll. Hollmann soll in die Hocke gegangen sein, um seine am Boden liegende Brille aufzuheben. Anschließend soll der Angeklagte mit Anlauf Hollmann mit seinen Lederschuhen unter das Kinn getreten haben. Hollmann soll durch diesen Tritt nach hinten geschleudert worden und mit dem Hinterkopf auf den Boden geprallt sein. Aufgrund der erlittenen Kopfverletzungen ist der Familienvater (51) am 1. Januar 2023 gestorben. Richter Zimmermann kniet am Boden Lediglich ein Zeuge erhärtet an diesem Montag die Ermittlungen der Anklage – und der war bezeichnenderweise nicht Teil der Weihnachtsfeier-Gesellschaft. Der gegen 4.20 Uhr von der Firma Milsmann herbeigerufene Taxifahrer schildert sehr anschaulich die Ereignisse. &bdquo;Ich habe den Tritt genau gesehen“, betont er mehrmals sichtlich bewegt. Der Angeklagte habe wie ein &bdquo;Fußballer beim Elfmeter ein, zwei Schritte Anlauf genommen und mit einem kräftigen Tritt das Kinn von Herrn Hollmann getroffen.“ Der sei anschließend &bdquo;umgekippt wie ein Karton“. Um den Hergang exakt zu verstehen, stellen Taxifahrer, Richter, Staatsanwalt und Verteidiger die Szene in einer Art Laienschauspiel nach, währenddessen sogar Richter Zimmermann auf dem Boden kniet. Diese Aussage des Taxifahrers wird allerdings von den weiteren Zeugen weder gestützt, noch bestätigt. Die meisten haben &bdquo;es nicht genau gesehen“, &bdquo;können sich nicht mehr erinnern“ oder &bdquo;wissen es schlichtweg nicht“. Ein Zeuge berichtet: &bdquo;Als ich raus auf den Parkplatz kam, hat mich der Angeklagte mit den Worten bedroht: ,Wir kontrollieren dich, wir machen dich kaputt.“ Daraufhin sei es zu der Schubserei gekommen, die Ralf Hollmann schlichten wollte. Andere Zeugen erzählen von &bdquo;Ohrfeigen“ und &bdquo;Faustschlägen“. Ein klares Bild zeichnet sich nicht ab. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt Ganz im Gegenteil: Die letzten beiden Zeugen des Tages widersprechen ausdrücklich der Version des todbringenden Trittes auf den am Boden knienden Mann. &bdquo;Herr Hollmann ist nach einem Schubs, einem Stoß auf die Brust im Stehen nach hinten umgefallen wie ein Dominostein“, sagt der Erste. Ein Zweiter schildert: &bdquo;Da ist jemand aus dem Stand umgefallen wie ein Baum.“ Bei der Polizei-Vernehmung hatte er ergänzt: &bdquo;Es hat ein lautes Aufklatschen gegeben, wie wenn man eine Handfläche auf die Brust schlägt.“ Keiner der beiden konnte indes erklären, wie bei einem Schubs aus dem Stand die DNA von Herrn Hollmann an den Schuh des Angeklagten gekommen ist. Schwierigkeiten haben alle vor Gericht Gehörten mit der zeitlichen Einschätzung der Ereignisse. Für die einen ist es eine Sache von Sekunden, andere taxieren den Ablauf auf zwei, fünf oder sogar 15 Minuten. Verwirrend für die Zuschauer wird es, als der Nebenkläger, der Anwalt der Familie Hollmann, einen Zeugen fragt, ob es Absprachen unter den Zeugen bei etwaigen gemeinsamen Frühstücken unter anderem auch mit dem Angeklagten gegeben habe. Und zudem der Verteidiger des Angeklagten sehr öffentlichkeitswirksam die Frage an den gleichen Zeugen richtet: &bdquo;Haben Sie jetzt die Wahrheit gesagt?“ Der erste Prozesstag in diesem Fall hat deutlich weniger Fragen beantwortet als gehofft und erwartet. Mittwoch geht’s weiter. Dann werden weitere Zeugen und der Gerichtsmediziner befragt.

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