Neue ungewöhnliche Praxis mit Hausärzten zieht bei Gerry Weber im Kreis Gütersloh ein

Halle. Die Gerry Weber International AG bekommt eine neue Mieterin. Im Oktober eröffnet im Erdgeschoss der Neulehenstraße 8 in Halle die innovative Hausarztpraxis i.med. Deren Ziel ist es, Telemedizin und Praxisdienst miteinander zu verbinden. Auf diese Weise sollen Komfort und Rahmenbedingungen für Patientinnen und Patienten einerseits sowie Ärztinnen, Ärzte und medizinische Fachangestellte (MFA) andererseits deutlich erhöht beziehungsweise verbessert werden. Das Konzept für die Pilotpraxis haben Stefan Middendorf, Ingenieur und Manager im Bereich Gesundheitswirtschaft, und Ludger Killich aus Bielefeld entwickelt. Ihr Anliegen ist es, dem Hausärztemangel im ländlichen Raum entgegenzutreten. Das Motto: digital vor ambulant, ambulant vor stationär. Und so funktioniert’s. Das Onboarding Bevor man alle Möglichkeiten der App und der telemedizinischen Versorgung nutzen kann, ist ein Besuch vor Ort erforderlich, um die persönlicheren Daten aufzunehmen. Ist dieser Prozess abgeschlossen, sind die Patienten mit der Praxis fortan digital verbunden. Dazu zählt unter anderem auch ein Videoportal, über das Patienten und Ärzte kommunizieren können. &bdquo;Tatsächlich müssen wir die korrekte Identität des Patienten einmal sicherstellen und wollen das gleich nutzen, um das Konzept und die Vorteile zu erklären", sagt Stefan Middendorf. Digitale Anamnese Mit Hilfe eines digitalen Symptom-Checks können die Patienten Fragen zu ihrem Gesundheitszustand beantworten – und zwar zu Hause in aller Ruhe und gegebenenfalls auch mit Unterstützung von Angehörigen. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse an den Hausarzt übermittelt, die dann wiederum per Videochat besprochen werden. Der Zeitpunkt dieser digitalen Sprechstunde lässt sich dabei im Vorfeld über die Website von i.med buchen. Perspektivisch stellen sich Stefan Middendorf und Ludger Killich &bdquo;Öffnungszeiten wie im Supermarkt" vor – nämlich zwischen 7 und 22 Uhr. &bdquo;Bis wir soweit sind, müssen wir allerdings unser Team an Medizinern und medizischen Fachangestellten noch erweitern", fügt Mittendorf an. Besuche in der Praxis Kann der behandelnde Arzt sicherstellen, dass er im Rahmen der Videosprechstunde eine Diagnose stellen und online Medikamente verordnen kann, werden das E-Rezept und gegebenenfalls eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über die App übermittelt. &bdquo;Habe ich aber beispielsweise einen Patienten, der nach zwei Wochen Bronchitis auch noch Fieber bekommen hat, brauche ich die Blutwerte und muss ihn abhorchen", erklärt Ludger Killich. &bdquo; In diesem Fall sehen wir uns persönlich in der Praxis an der Neulehenstraße." Der Eingang erfolgt durch den Haupteingang des Haller Modeunternehmens. Die Praxis, die mit fünf Sprechzimmern, einem Funktionsraum für EKG und Labor, einem Raum für Sonographie, einem Empfangs- und einem Wartebereich ausgestattet wird, liegt direkt im Erdgeschoss. Chronisch Kranke Gerade für chronisch kranke Patienten soll das neue System Erleichterungen bringen. &bdquo;Bevor ich hier nur eine Momentaufnahme habe und beispielsweise in einer besonderen Situation den Blutdruck messe, können die Vitalwerte wie Blutdruck, Temperatur oder Gewicht nun täglich gemessen und mithilfe der App an die Praxis übermittelt werden", erklärt Ludger Killich. Dasselbe gilt für die Bestellung von Medikamenten, die dauerhaft benötigt werden. &bdquo;Kein langes Warten mehr am Telefon", nennt Mittendorf einen weiteren Vorteil des digitalen Arbeitens. Bei Bedarf sei es auch möglich, dass speziell ausgebildete MFAs zu den Patienten nach Hause fahren und dort Blut abnehmen oder bestimmte Vitalwerte messen, um mithilfe eines Tablets dann eine Verbindung zur Praxis aufzubauen und diese dorthin zu übermitteln. &bdquo;Der Vorteil liegt auch hier klar auf der Hand", fährt Killich fort: &bdquo;Ich würde manchmal 30 Minuten hinfahren, 30 Minuten zurück und wäre vielleicht zehn Minuten vor Ort – das kann man effektiver organisieren, und am Ende bleibt mehr Zeit für Gespräche mit Patienten." Attraktiv fürs Personal Hausärzte lösen sich zunehmend vom Modell des Arztes und Unternehmers mit eigener Einzelpraxis. &bdquo;Work-Life-Balance, ein hoher Frauenanteil verbunden mit dem Wunsch, in Teilzeit zu arbeiten, und eine Urbanisierung führen zum Praxissterben auf dem Land – und im Gegenzug zum präferierten Modell des Medizinischen Versorgungszentrums in der Stadt", beschreibt Stefan Middendorf die Situation. Und zugleich den Antrieb, genau deshalb neue Wege zu gehen und andere Modelle zu entwickeln. &bdquo;Ärzte und MFAs verwenden einen hohen und wachsenden Anteil ihrer Zeit für administrative Tätigkeiten", kann Dr. Ludger Killich aus eigener Erfahrung berichten. &bdquo;Wie in vielen Berufsfeldern werden die Vorteile digitaler Anwendungen durch oft suboptimale Software und überbordende Bürokratie überkompensiert. Dabei ist das ungenutzte Potenzial für optimierte Prozesse und Effekte durch telemedizinische Anwendungen signifikant." Erst durch die Corona-Pandemie sei ernsthaft das Konzept des Hausarzt-Wartezimmers infrage gestellt und die Videosprechstunde als Alternative für Diagnose, Behandlung und Therapie etabliert worden. &bdquo;Perspektivisch und in Absprache mit den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen ist es mittlerweile sogar denkbar, dass selbst Ärzte demnächst im Homeoffice sitzen und mit ihren Patienten im Videochat sprechen." Und so geht’s weiter Bislang sind in den künftigen Praxisräumen von i.med noch die Handwerker tätig und bauen Büros, Sitzungszimmer und Showrooms um, statten die Pilotpraxis entsprechend aus. Wer sich für das Projekt interessiert, kann aber auf der Website imed.de schon mal ausführlich nachlesen, wie hausärztliche Versorgung hier neu erfunden wird und das Konzept eines hybriden Netzwerkes zur hausärztlichen Versorgung in unterversorgten Regionen funktioniert. Und – warum es Vorbild für noch viele andere Regionen sein könnte.

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