Rentner erwünscht: Unternehmen im Kreis Gütersloh setzen auf erfahrenes Personal

Kreis Gütersloh. Der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Mussten sich früher die Schulabgänger noch bei der Bewerbung um einen begehrten Ausbildungsplatz einer breiten Konkurrenz stellen, so können sie sich heute oftmals selbst die Rosinen rauspicken. Der Arbeitgeber muss immer kreativer sein, um neues Personal an sein Unternehmen zu binden, und hinzu kommt ein gravierender Fachkräftemangel. Da erscheint es umso wichtiger, das aktuelle Team beisammen zu halten und dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trotz der immer stärker in den Fokus rückenden Work-Life-Balance mit ihrem Schritt in den Ruhestand möglichst lange warten. Wir haben bei einigen Unternehmen nachgefragt, wie sie mit dieser Problematik umgehen. Überlegungen dazu gibt es wohl in jeder Firma, aber nicht alle wollten darüber sprechen. Darunter das Unternehmen Storck, das sich zu Details nicht äußern wollte, und die Firmen Hörmann und The Family Butchers/Reinert, die angaben, derzeit keine zeitlichen und personellen Kapazitäten zu haben, um ausreichende Antworten liefern zu können. Gerry Weber AG "Wir haben schon seit vielen Jahren eine Betriebsvereinbarung zur Altersteilzeit", teilt Christina Herrmann, Pressesprecherin des Modeunternehmens, mit. Somit besteht die Möglichkeit, schon früher als vorgesehen den Ruhestand zu genießen, gleichwohl freut man sich bei Gerry Weber aber auch, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lange im Unternehmen bleiben. "Prinzipiell versuchen wir, gute Mitarbeitende im Unternehmen zu halten. Das machen wir nicht vom Alter abhängig. Ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen in der Regel nicht nur über viel Know-How und Erfahrung, sondern sind in der heutigen Zeit auch sehr leistungsfähig", sagt Herrmann. Die Treue zum Unternehmen spiegelt sich innerhalb der Belegschaft häufig wieder. "Unsere Mitarbeitenden sind im Schnitt neun Jahre bei Gerry Weber, in der Zentrale liegt der Durchschnitt sogar bei elf Jahren", erklärt Herrmann. Ende vergangenen Jahres sei eine Kollegin aus der Buchhaltung nach 47 Jahren in die passive Altersteilzeit gegangen. "Sie war seinerzeit die erste Auszubildende im Unternehmen, das damals noch Hatex hieß", sagt Herrmann. Im Sommer werde zudem eine Mitarbeiterin aus der Großhandelsabteilung nach 43-jähriger Tätigkeit in die passive Phase der Altersteilzeit gehen. Flexicon AG Bei einem der weltweit führenden PrePress-Dienstleister für Markenverpackungen internationaler Konsumgüter ist man sich ebenfalls im Klaren darüber, dass einem gute Arbeitskräfte nicht mehr die Türen einrennen. "Der Arbeitgebermarkt hat sich ebenso wie der Bewerbermarkt gewandelt", sagt Sprecherin Frauke Sänger. Unternehmen müssten sich mittlerweile ins Zeug legen, um Fachkräfte von sich zu überzeugen. "Flexicon punktet hier etwa mit Familienfreundlichkeit. Durch das Angebot sehr flexibler Arbeitszeitmodelle und Homeoffice, nehmen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits während der Elternzeit ihre Tätigkeit wieder auf. Zudem gibt es flexible Arbeitszeitmodelle für pflegende Angehörige. "Damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise die Pflege ihrer Eltern in Einklang mit dem Job bringen können, bietet Flexicon die individuelle Arbeitszeitreduzierung und Homeoffice an", erklärt Sänger. Wer ein begleitendes Studium absolviert, kann die Arbeitswoche auf vier oder drei Tage verkürzen. Zudem erhält er Sonderurlaub, den er für Klausurvorbereitungen nutzen kann, ohne den regulären Jahresurlaub antasten zu müssen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, erhalten ältere Arbeitnehmer, die bereits Rente erhalten, das Angebot, mit reduzierten Wochenstunden weiterzuarbeiten. Aber auch die Nachwuchskräfte werden direkt ins Unternehmen eingebunden. Die Auszubildenden sind als Ausbildungsbotschafter unterwegs. "In Zusammenarbeit mit der IHK gehen Azubis in die Schulen und berichten von ihren Berufen und stellen das Unternehmen vor", erklärt Sänger. Ein Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei Flexicon gelernt oder berufsbegleitend studiert haben, bleiben im Unternehmen. "Wichtig sind Personalentwicklungsgespräche, in denen geklärt wird, wo der oder die Angestellte hinmöchte und welche berufliche Ziele er oder sie hat", erklärt Sänger. Stadt Versmold Die Stadt Versmold hat bereits vor vielen Jahren ein flexibles Arbeitsmodell eingeführt. "Danach können Beschäftigte der Stadt unter Berücksichtigung von Kernzeiten und Öffnungszeiten sehr flexibel ihre Arbeitszeit in einem Rahmen zwischen 6 und 20 Uhr, freitags bis 14 Uhr gestalten", erklärt Stadtsprecherin Jennifer Wehmöller. Zudem gebe es sehr viele Teilzeitbeschäftigte, um den familiären Bedürfnissen bestmöglich entgegenkommen zu können. Zwar freut sich die Stadtverwaltung über jeden, der möglichst lange seinen Arbeitsplatz im Rathaus aufsucht, gleichwohl gibt man den Mitarbeitern aber zukünftig wohl die Chance, für eine frühere Pensionierung vorzusorgen. "Wir planen die Einrichtung von Langzeitarbeitszeitkonten. Damit ist es möglich, in jungen Jahren Stunden aufzubauen, um so bei gleicher Bezahlung einen gleitenden Übergang in den Ruhestand entsprechend der persönlichen Bedürfnisse zu ermöglichen", erklärt Wehmöller. Zudem versuche man, "den Arbeitsplatz altersgerecht zu gestalten und auch das persönliche Leistungsvermögen altersgerecht einzusetzen". Die meisten Mitarbeiter bleiben bis zum regulären Renteneintrittsalter zwischen 63 und 67 Jahren. Nagel Group "Der Wunsch nach einem früheren Renteneintritt ist derzeit praktisch kein Thema. In der Gruppe der 56- bis 65-Jährigen ist auch kein Anstieg bei der Teilzeitbeschäftigung zu erkennen", sagt Julian Mester, Sprecher der Versmolder Nagel-Group. Derartige Wünsche würden in den jüngeren Altersgruppen stärker nachgefragt, in der Familiengründungen und die Kinderbetreuung hierzu Anlass gäben. "Wir sind grundsätzlich als Unternehmen bestrebt, loyale und leistungsfähige Mitarbeiter möglichst lange bei uns zu beschäftigen. Derzeit haben wir 104 Beschäftigte, die älter sind als 66 Jahre und in Teilzeit, Altersteilzeit oder als Minijobber angestellt sind", erklärt Mester. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten zuvor bereits viele Jahre bei der Nagel-Group gearbeitet und seien dem Unternehmen somit sehr verbunden. "Der Fachkräftemangel hat sicherlich verstärkt dazu geführt, dass wir noch genauer schauen, welche Mitarbeiter wir auch im Rentenalter bei uns weiterbeschäftigen können", sagt Mester. Ein unternehmensweites, einheitliches Vorgehen gebe es bei diesem Thema jedoch nicht. Es sei immer eine Einzelfallentscheidung. "Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit bei der Nagel-Group liegt bei 9,54 Jahren", teilt Mester mit.

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