Gastro-Paar: "Wenn es draußen warm wird, muss was passieren"

Halle. Es ist Dienstagnachmittag. Keiner der Tage, an dem sich Nadine und Thorsten Dietz für gewöhnlich in ihrem Restaurant am Haller Lindenplatz aufhalten, zumindest nicht in Zeiten von Corona. Für ihre Gäste kochen sie seit dem Lockdown Anfang November nur noch an drei Abenden. Freitag. Samstag. Sonntag. Heute ist also eine Ausnahme. Aber sie sind auch nicht zum Kochen gekommen, sondern zum Erzählen. Davon, wie es ihnen während der zurückliegenden sechs Monate ergangen ist. Wie sie als Geschäftsleute überleben und als Familie durchhalten. Ob ihr Finanzierungsplan der Pandemie weiter standhält, welche Wünsche sie haben. &bdquo;Die Tage von Montag bis Donnerstag ziehen sich wie Kaugummi" Durch die großen Scheiben fallen die Sonnenstrahlen ins Lokal. Die beiden haben sich eine Cola geholt und an den Tisch gesetzt, für einen Moment ist es still. Kein Stimmengewirr, kein Radio, keine Geräusche aus der offenen Küche. Die Geschäftsführerin des Restaurants lächelt und zieht die Luft tief ein. &bdquo;Wo soll ich anfangen? Erst mal denkt man ja, es ist gar nichts passiert. Die Tage von Montag bis Donnerstag ziehen sich wie Kaugummi, zu Hause ist alles geputzt und viel machen kann man ja auch nicht." Dann blickt sie zu ihrem Mann und sagt: &bdquo;Am Ende ist aber eben doch viel passiert." Der hat die Beine übereinandergeschlagen, trinkt einen Schluck, stellt das Glas ab. Mit ernstem Blick sagt er: &bdquo;Ja, das ist so. Anfangs dachten wir noch, dass wir bestimmt Weihnachten wieder öffnen würden. Spätestens. Dann hatten wir auf Ostern gehofft. Mittlerweile wissen wir gar nichts mehr. Die Gastronomie wird ja überhaupt nicht erwähnt!" Der 43-Jährige schüttelt den Kopf. &bdquo;Ganz ehrlich? In der Politik fehlt ein Gastronom. Dann würde es vielleicht klügere Entscheidungen geben. Zumindest Entscheidungen, die man nachvollziehen könnte." "So viel Abstand wird in keinem Supermarkt eingehalten" Nadine Dietz nickt, während ihr Mann redet. &bdquo;Damit ich bloß nicht falsch verstanden werde", sagt sie dann. &bdquo;Wir freuen uns für alle, die ihre Ladenlokale öffnen können. Für die Einzelhändler, für die Supermärkte oder die Drogerien – da gibt es null Neid und das meinen wir ehrlich genauso! Aber wenn ich mich doch mit einem Termin und einem negativen Test für eine Stunde in einem Geschäft aufhalten und beispielsweise einen Mantel kaufen kann – warum ist dasselbe dann nicht für Restaurants möglich?" In eineinhalb Stunden, fährt Nadine Dietz fort, könne man mit einem zuvor vereinbarten Termin auch in einem Restaurant etwas essen. Die Gäste würden auf Abstand sitzen, die einzelnen Tische wären durch Scheiben geschützt. &bdquo;So viel Abstand wird in keinem Supermarkt eingehalten!" Ihr Blick schweift hinüber in die Ecke, wo die Konstruktionen aus eigens angefertigten Trennwänden lagern. Dann schüttelt sie den Kopf. &bdquo;Wir wollen einfach nur gleich behandelt werden." "Wir verdienen damit ja auch kein Geld" Die Bestellungen, zieht das Ehepaar ein Resümee, seien über die Zeit zurückgegangen. Es ist nur eine Feststellung; kein Beklagen, keine Verbitterung. &bdquo;Das ist doch klar, dass man nicht ein halbes Jahr lang ständig Essen bestellen kann", sagt Nadine Dietz, &bdquo;zumal die Haller wirklich toll sind und alle Gastronomiebetriebe reihum unterstützen. Wirklich klasse!" Deshalb mache es aber auch wenig Sinn, mehr als drei Tage zu öffnen. &bdquo;Wir verdienen damit ja auch kein Geld", sagt ihr Mann. &bdquo;Aber wir bleiben in den Köpfen – und haben vor allem auch selber etwas zu tun." Hätte man von Anfang an gewusst, dass der Lockdown für Gastronomiebetriebe derart lange andauern würde, dann hätte man andere Konzepte ersonnen. Lieferdienste. Oder Kochevents mit den entsprechenden Hygienekonzepten bei den Kunden. &bdquo;Aber jetzt ist es eben so." "Wir halten das Geld jetzt zusammen" Einen Moment blickt er auf die Straße, dann sagt Thorsten Dietz: &bdquo;Noch haben wir übrigens nicht nachfinanziert. Trotz allem. Mit den November- und Dezemberhilfen haben wir uns bisher über Wasser gehalten und die Kredite nicht einmal stunden lassen – wir zahlen sie wie vereinbart weiter ab. Irgendwann will man ja auch mal fertig sein." Im Gegenzug seien allerdings auch keine großen Sprünge drin, räumt Nadine Dietz offen ein. &bdquo;Keine neuen Klamotten. Und wenn wir hier sonntags abschließen, packen wir die Vorräte ein und gucken, was man den Rest der Woche daraus zaubern kann." Es käme aber auch zu anderen Zeiten gar nicht in Frage, Essen zu vergeuden. &bdquo;Und dennoch. Wir halten das Geld jetzt zusammen." Das heißt, bedingt. Denn tatsächlich haben die Unternehmer auch investiert, trotz der widrigen Umstände. Sie haben ihr Restaurant frisch gestrichen. Und – sie haben in umweltfreundliche Verpackungen investiert. &bdquo;Dieser ganze Müll hat mich echt verrückt gemacht", sagt Nadine Dietz. &bdquo;Rund 800 Verpackungen kommen da im Monat zusammen – das ist so viel. Jetzt haben wir uns dem rebowl-Pfandsystem angeschlossen. Fünf Euro pro Schale – aber wer die zurückbringt, bekommt das Geld ja auch wieder." &bdquo;Wenn es draußen warm wird, muss etwas passieren" Thorsten Dietz hat seiner Frau zugehört, er ist derselben Meinung und sieht die Verantwortung. Dann schaut er in Richtung Theke. &bdquo;Wie viele Getränke wir entsorgen mussten und noch müssen ... Ganze Bierfässer. Wir konnten doch nicht ahnen, dass plötzlich für so lange Zeit Schluss ist." Doch das verlorene Geld, sagt seine Frau, das sei bei weitem nicht so schlimm wie die Psyche. &bdquo;Die leidet viel mehr ..." Bei aller Skepsis, was die Zukunft angeht, möchten aber beide dennoch nicht stöhnen. &bdquo;Andere sind doch noch viel schlimmer dran", sagt Nadine Dietz. &bdquo;Wenn man allein an die Eventbranche denkt ..." Ihr Mann hat sich sogar seinen Optimismus bewahrt: &bdquo;Wenn es draußen warm wird", sagt er, &bdquo;dann muss einfach etwas passieren. Es muss. Das geht doch gar nicht anders." Und dann, ja, dann soll es wieder ganz gewöhnlich sein, wenn sie an einem Dienstag in ihrem Restaurant sind. Mit viel Stimmengewirr und Musik. Und Geräuschen, die aus der Küche kommen.

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