Gütersloh. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne wohnt selber gar nicht weit vom Pavenstädter Weg entfernt. Er hat drei Kinder, eines davon, eine Tochter, hat 300 Meter von der JVA-Außenstelle entfernt auf der Reitanlage am Hof Pavenstädt das Voltigieren gelernt. Und er glaubt, dass man nirgendwo so sicher lebt wie in der Umgebung einer JVA, selbst wenn die voller Sexualstraftäter ist.
Uwe Nelle-Cornelsen tat am Montagabend bei der Bürgerversammlung in der Aula der Grundschule Pavenstädt viel, um den Bürgern die Angst zu nehmen. Er präsentierte Zahlen, Argumente und blieb immer sachlich. Er vergewisserte ihnen, dass es rund um die JVA Pavenstädt keine Häufung von Straftaten gibt, in all den Jahren nicht und welcher Art auch immer. Er riet den Leuten, einfach so weiterzuleben wie bisher. Er sagte, dass all die kranken Sexualstraftäter in Eickelborn sitzen, nicht aber in Pavenstädt. Doch die Sorgen der Bürger restlos zu zerstreuen, das vermochte er nicht.
"Ich gehe hier regelmäßig walken, und ich muss Ihnen sagen, ich habe jetzt Angst", sagte eine Frau. Rund 120 Bürger waren zu der Versammlung gekommen, die der Initiativkreis Pavenstädt nach den NW-Berichten einberufen hatte. Dass in der Außenstelle am Pavenstädter Weg überwiegend Sexualstraftäter einsitzen, war zuvor nicht bekannt gewesen. Mehr noch: "Mancher Pavenstädter, vor allem die Zugezogenen, wussten ja noch nicht mal, dass wir hier eine JVA haben", sagte Norbert Morkes vom Initiativkreis; Morkes moderierte die Versammlung.
Anstaltsleiter Nelle-Cornelsen sagte, man habe vor zehn Jahren peu à peu begonnen, die Sexualstraftäter in Pavenstädt zu konzentrieren. Er finde das unbedenklich, "auch wenn ich weiß, dass ich damit in weiten Teilen der Bevölkerung keine Punkte sammeln kann."
Er sagte, dass es in diesen zehn Jahren kein Vorkommnis gegeben habe - erntete dafür aber energischen Protest. Bürger wiesen auf den Rückfalltäter hin, der unlängst wegen Vergewaltigung einer 13-Jährigen zu Haft und Sicherheitsverwahrung verurteilt worden war und der vor Gericht angegeben hatte, sich mit anderen entlassenen Tätern abgesprochen zu haben - ein Fall, der Wellen geschlagen hatte.
"Ein solcher Fall würde heute nicht noch mal passieren", sagte Nelle-Cornelsen. Man habe Abläufe verändert, die dergleichen verhinderten. Der Anstalts-Psychologe Martin Jörg unterstrich diese Aussage. Die Sexualstraftäter in Pavenstädt würden sorgfältig begleitet. Vor jeder Haftlockerung - von Ausgängen (alle begleitet) über Urlaub bis hin zum Offenen Vollzug - führe er intensive Gespräche und betreibe Diagnostik.
"Wir haben hier Männer, die ihre Taten in Lebenskrisen begonnen haben. Die haben versucht, ihren Situationen zu entkommen, indem sie sich an ihren Partnern vergangen haben. Das war wie eine Flucht aus dem Leben, die haben sich quasi in den Knast gerettet." Überarbeitete Chirurgen seien darunter und zermürbte Polizisten. Viele dieser Täter bräuchten keine Therapie. "Brauchen wir dafür hohe Mauern und automatische Gewehre? Ich denke nicht", sagte Jörg. "Die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls bei diesen Leuten strebt gegen Null." Seit 2007 ist der Diplom-Psychologe in Pavenstädt tätig.
Die Diskussion verlief sachlich. Wieviele Täter gehen arbeiten? (Antwort: Fast alle). Wann haben sie Freigang? (Hängt davon ab). Sind Wiederholungstäter dabei? (Von den 44 Sexualstraftätern sind 41 Erstinhaftierte, drei sind wegen anderer Delikte vorbestraft). Muss es sein, dass die Straftäter Nachbarparkplätze nutzen? (Nein, muss es nicht). Könnte man den Häftlingen vorschreiben, für den Weg in die Innenstadt die Herzebrocker Straße statt den Pavenstädter Weg mit seinen Schulen und Kindergärten zu nutzen?
(Vielleicht, könnte aber Scheinsicherheit vorgaukeln).
An wen kann man sich wenden? (Direkt an die JVA-Außenstelle, Telefon 122 10). "Sie können uns auf alles hinweisen, das hilft uns", appellierte Nelle-Cornelsen an die Bürger. "Ich glaube aber nicht, dass Sie hier einen Deut gefährlicher leben, seit sie wissen, dass hier Sexualstraftäter untergebracht sind."
"Klassischer Häftling"
Das Mädchen sagte es niemandem. Erst als es einige Jahre später in einem Internet-Chat darüber schrieb, flog die Sache auf. Der Großvater wurde verhaftet, doch die Familie hält den Kontakt zu ihm aufrecht. "Der allergrößte Teil des sexuellen Missbrauches findet innerhalb der Familie oder des engen sozialen Umfeldes statt", sagt Nelle-Cornelsen. Nur bei einem der 44 inhaftierten Sexualstraftäter in Pavenstädt sei das anders gewesen.
"Bündelung hat sich bewährt"
Die Außenstelle am Pavenstädter Weg ist eine von 16 der JVA Bielefeld-Senne, die sich größte Haftanstalt Europas nennt. Neun der Außenstellen sind im Kreis Gütersloh untergebracht. Sie liegen in der Regel auf Hofstellen. Das hat seine Bewandnis: Die JVA hatte einst einen Vertrag mit Landwirten abgeschlossen, die auf diese Weise die Häftlinge als Arbeitskräfte einsetzen konnten. Die Außenstelle auf Hof Maas wurde 1936 gegründet.