
Gütersloh. Der morgige, zum 20. Mal stattfindende "Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen" soll die Belange der Behinderten in den Fokus der Öffentlichkeit rücken und für eine inklusive Gesellschaft werben. An vielen Stellen wird diese von vielen eingeforderte Inklusion allerdings schon gelebt. So zum Beispiel in der Medienfabrik an der Carl-Bertelsmann-Straße, wo die 27-jährige Kristina Tjagunow trotz ihrer schweren Behinderung als ganz normale Mitarbeiterin ihre Arbeit verrichtet.
Im Alter von sieben Jahren wurde Kristina Tjagunow bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Seitdem ist sie vom Hals abwärts querschnittsgelähmt und muss künstlich beatmet werden. Die junge Frau hat sich von dem harten Schicksal aber nicht den Lebensmut nehmen lassen – im Gegenteil. "Man sieht Kristina eigentlich immer lächeln, sie hat immer gute Laune", sagt Mathias Nürmberger, Betriebsratsvorsitzender der Medienfabrik. Im vergangenen Frühjahr hatte sich Tjagunow für ein Praktikum in der Medienfabrik beworben.
Sie fand einen Platz bei der Medienfabrik-Tochter "Embrace", wo sie im Recruiting für Studienbewerber als Sachbearbeiterin eingesetzt wurde. Die angehende Praktikantin brachte fundiertes Vorwissen mit: "Ich habe beim Berufsbildungswerk Hannover eine virtuelle Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht", sagt Tjagunow. Da sie ihre Hände nicht benutzen kann, bedient sie ihren Computer mit einem kleinen Stäbchen. Mit dem sendet sie punktgenau Signale an den Bildschirm, der diese wiederum in Tastatur- und Mausbefehle umwandelt. "Ich arbeite schon seit Jahren mit dem Stäbchen", sagt Tjagunow. Die gute Übung blieb auch den Kollegen nicht verborgen: "Sie ist mit dem Stäbchen schneller als so mancher mit der Tastatur", sagt Nürmberger lächelnd.
Bei ihrem dreimonatigen Praktikum bewährte sich die 27-Jährige so gut, dass sich die Medienfabrik entschloss, sie einzustellen. Seit Juli gehört sie fest zum Team und leistet wöchentlich 30 Stunden, die sie sich frei einteilen kann. Völlige Freiheit hat sie allerdings nicht: "Die Aufgaben müssen in einem bestimmten Zeitfenster erledigt werden", sagt Nürmberger. "Wir behandeln sie wie eine ganz normale Mitarbeiterin."
Der Aktionstag
Der "Internationale Tag der behinderten Menschen" steht 2013 unter dem Motto "Nur mit uns".Am 3. Dezember soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Behinderten in allen Bereichen des Lebens mehr Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten ermöglicht werden sollen.
Die Barrieren, die es in beide Richtungen gibt, werden dabei gemeinsam überwunden. Die Medienfabrik achtete darauf, dass das Büro auf Kristina Tjagunows Bedürfnisse eingerichtet wurde und dass auch für ihre Betreuer, die sie rund um die Uhr begleiten, Platz ist. Zudem soll ihr demnächst vor dem Bürogebäude ein Behindertenparkplatz zur Verfügung stehen. Andersherum versteht es die "Neue" mit ihrer unkomplizierten und freundlichen Art, etwaige Berührungsängste der Kollegen zu überwinden. "Sie ist sehr offen, wenn man mit ihr über ihre Behinderung spricht", sagt Nürmberger. "Das muss man ihr hoch anrechnen."
An ihrem Arbeitsplatz fühlt sich Kristina Tjagunow wohl – mit ihrem Einsatz und Ehrgeiz sollte das Ende der Karriereleiter in der Medienfabrik aber noch nicht erreicht sein. So bat sie ihre Vorgesetzten, als diese noch überlegten, ob ihre Mitarbeiterin mit ihren Aufgaben vielleicht überfordert sein könnte, kurzerhand um eine Aufstockung ihres wöchentlichen Stundenpensums. Die Führungsetage war beeindruckt. "Wir wachsen weiterhin stark, und ihr stehen die Wege im Haus offen", sagt Nürmberger.