Rakete zerstört Wohnhaus: Sohn in Gütersloh bangt um seine Familie im Kriegsgebiet

Gütersloh. Nun hat es auch sein Elternhaus getroffen. Eine Rakete schlug ein und zerstörte es komplett. Passiert ist das in Jabalia. Wird im Fernsehen der nächste Beitrag &bdquo;Gaza in Trümmern“ angekündigt, sind es oft Bilder von dort, die das Ausmaß der Zerstörung dokumentieren. Drei Viertel dieser einst 170.000 Einwohner zählenden Stadt im Norden Gazas sind kaputt. Mohammed Assaf fällt es zunehmend schwer, diese Bilder zu ertragen. Er sieht sie aus der Ferne, aus Gütersloh. Seit Ende 2015 lebt Assaf in Deutschland. Er hat einen Sprachkurs und eine Ausbildung zum Schweißer absolviert, er hat eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, er ist seit drei Jahren fest bei einer Firma in Avenwedde angestellt. Glücklich ist er dennoch nicht, wie auch. Er sorgt sich. Seine Eltern und Geschwister kamen zwar erneut mit dem Leben davon, weil sie beim Einschlag außer Haus waren, doch wie oft werden sie dieses Glück noch haben? Gerade drei Wochen ist es her, da starb sein Cousin, dessen Ehefrau, die Ehefrau eines anderen Cousins und dessen drei Kinder. Eine Rakete hatte das Nachbarhaus seiner Eltern getroffen. Zustände in Flüchtlingslager in Gaza &bdquo;desaströs“ Mohammed Assaf (33) sitzt am Tisch der Gütersloher Familie Müller. Sie kennen sich seit Jahren, sie sind befreundet. Assaf erzählt, dass er es kaum noch fertigbringt, mit seinen Eltern zu telefonieren. &bdquo;Jedes Mal denke ich, es war das letzte Mal.“ Es sei deprimierend, was soll er sie noch fragen? Er wisse, dass es keinen Strom gibt, dass das Wasser knapp ist, die Häuser und Kanäle zerstört sind, die Infrastruktur nicht mehr funktioniert. Direkt vor den Toren von Jabalia liegt das größte Flüchtlingslager Gazas. Die Zustände dort seien bekanntermaßen desaströs. Und dennoch könne sein, dass auch seine Heimatfamilie bald nicht mehr wisse, wohin sonst. Lesen Sie auch: Hotel im Kreis Gütersloh wird ab Sommer zur Unterkunft für Geflüchtete Assaf und die Müllers haben mit sich gerungen, ob sie an die Öffentlichkeit gehen. &bdquo;Wir haben uns dazu entschieden, weil wir informieren und den Betroffenen eine Stimme geben wollen“, sagt Ingrid Müller. Ja, in der öffentlichen Debatte über Israel, Palästina und den Gaza-Krieg verschiebe sich gerade etwas. Doch noch immer, so finden sie, komme die Sichtweise der Palästinenser, das Leid der Zivilbevölkerung zu kurz. Rund 150 Palästinenser leben im Kreis Gütersloh Rund 150 Palästinenser leben im Kreis Gütersloh, schätzt Nora Müller, die Tochter von Ingrid. Viele davon kennt sie. Nora Müller ist verheiratet mit Samer Alkhatib (32), der aus dem Westjordanland stammt und seit 2018 in Deutschland lebt. Die beiden haben einen dreijährigen Sohn, sie wohnen in Gütersloh. 2016 hatten sie sich kennengelernt, als Nora Müller ein Praktikum im Goethe-Institut in Ramallah absolvierte. Als Schülerin der Anne-Frank-Schule, die seit 27 Jahren eine enge Verbindung zur School oh Hope in Ramallah unterhält, war es nicht ihr erster Aufenthalt dort. Später absolvierte sie ein Studium der Nahoststudien und der evangelischen Theologie. Ihr Mann durchläuft gerade die Ausbildung zum Koch, sie selbst arbeitet als Dozentin. Auch Nora Müller und Samer Alkhatib blicken mit Sorge auf das, was in Israel und Palästina passiert. Seine Eltern leben in Faqqua, eine Kleinstadt nahe Jenin. Die Lage dort gilt als verheerend. Weil Jenin laut Medienberichten eine Hochburg palästinensischer Milizen ist, startete die israelische Armee im Januar eine Großoffensive. Luftangriffe, Panzer, Belagerung, Blockaden, Massenvertreibungen. Mittlerweile sollen Tausende auf der Flucht sein, heißt es. Die Caritas warnt vor einer &bdquo;humanitären Krise“, berichteten vor ein paar Tagen die &bdquo;Vatican News“. Menschen werden verhaftet oder erschossen &bdquo;Meine Familie bekommt das voll mit“, sagt Alkhatib. &bdquo;Vieles ist zerstört. Meine Eltern trauen sich nirgendwo mehr hin, weil überall die Gefahr lauert, dass sie der Willkür der israelischen Militärs ausgesetzt sind. Jeder Weg ist gefährlich. Menschen werden grundlos auf der Straße verhaftet.“ Lesen Sie auch: Vom Kreis Gütersloh zurück nach Syrien: 35-Jähriger findet komplett zerstörtes Wohnhaus Kürzlich sei ein Freund und Nachbar abgeholt und gefangen genommen worden. Niemand wisse, was mit ihm passiert. Auch seinen Onkel habe man schon ins Gefängnis gesteckt. Im Olivenhain seiner Eltern, der bis zum Stacheldraht der israelischen Grenze reicht, sei neulich jemand erschossen worden. &bdquo;Wir wissen nicht, warum.“ Wegen der Siedlungspolitik der Israelis haben seine Eltern Land verloren, berichtet Alkhatib. &bdquo;Sie wurden einfach enteignet.“ Die Siedlungen würden ständig erweitert, Israel mache keine Anstalten, das zu beenden, im Gegenteil. Eltern reisten 2023 über Amman nach Gütersloh 2022 waren er und seine Frau zuletzt in Faqqua. &bdquo;Jetzt riskieren wir das nicht mehr“, sagt Nora Müller. Ihre Sorge: Sie könnten in einen Flying Checkpoint geraten, eine dieser unberechenbaren Straßenkontrollen der Israelis. &bdquo;Sie können dich festhalten, sie können dir was wegnehmen, sie machen mit dir, was sie wollen“, sagt Alkhatib. &bdquo;Mein Land ist unter militärischer Besatzung. Es gelten zweierlei Rechte, eines für die Israelis, eines für uns.“ Um ihre Kinder und den Enkel zu sehen, reisten die Eltern 2023 über Amman nach Gütersloh. Vier Wochen hielten sie sich hier auf, es war eine gute Zeit. &bdquo;Wir sind glücklich, sie kennengelernt zu haben“, sagen Ingrid und Reinhard Müller. &bdquo;Ob wir sie jemals wiedersehen, dessen sind wir uns nicht sicher.“ Das Leid, das den Palästinensern im Westjordanland und in Gaza zugefügt werde, sei enormen Ausmaßes. Erst vor ein paar Tagen beschloss die israelische Regierung, 22 Siedlungen im Westjordanland zu genehmigen, ein Beschluss, den auch die deutsche Bundesregierung missbilligt. Er sei &bdquo;in dieser Form völkerrechtswidrig“, sagt Außenminister Johann Wadephul. Gütersloherin verfasst Rundbrief nach dem Überfall der Hamas Bundeskanzler Friedrich Merz hatte schon Ende Mai einige bemerkenswerte Sätze gesagt. &bdquo;Das, was die israelische Armee jetzt im Gazastreifen macht: Ich verstehe offen gestanden nicht mehr, mit welchem Ziel.“ Und: &bdquo;Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen.“ Lesen Sie auch: Schwere Vorwürfe nach Tod eines Flüchtlings in Gütersloh: Wurde ihm Hilfe verweigert? Solche Sätze hören die Müllers mit Genugtuung, doch dieser Weg der Erkenntnis hätte schon früher einsetzen können, finden sie. Das haben Ingrid und Reinhard Müller auch dem Bundestagsabgeordneten Ralph Brinkhaus neulich in dessen Sprechstunde gesagt. Im Oktober 2023, einige Tage nach dem Massaker und Überfall der Hamas auf die Israelis, verfasse Nora Müller einen Rundbrief. Er ist noch heute auf der Homepage der evangelischen Kirchengemeinde Gütersloh zu lesen. Er beginnt damit, dass sie 2011 bei ihrer ersten Reise nach Bethlehem ein Graffiti an einer Mauer gelesen habe, ein Zitat: &bdquo;Once a human rights teacher was born in Bethlehem“. Es habe sie seitdem nicht mehr losgelassen. Gütersloherin: Die Hamas ist nicht Palästina Müller verurteilt in ihrem mehrseitigen, differenzierten Schreiben uneingeschränkt die Gewalt der Hamas. Diese sei auch deswegen besonders grausam, weil er sich gegen die Zivilbevölkerung richte. Ein Terrorismus. Aber: Nicht minder sei der Schmerz darüber hinauszuschreien, dass auch Zivilisten in Palästina unterdrückt und getötet würden. &bdquo;Die Hamas ist nicht Palästina“, schreibt Nora Müller. &bdquo;Es muss möglich sein, sich pro Palästina zu äußern und gegen die Hamas zu sein. Es muss möglich sein, um die getöteten Israelis zu weinen und gleichzeitig die Opfer in Gaza und dem Westjordanland zu beweinen. Es muss möglich sein, sich dafür stark zu machen, dass jüdische Organisationen hier in Deutschland allen Schutz bekommen, den sie brauchen, und gleichzeitig laut gegen die anhaltende Unterdrückung und Besatzung der Palästinenser zu protestieren. Wenn wir wirklich an ehrlichem Frieden interessiert sind, dann müssen wir uns beide Seiten anhören und doppelte Solidarität nicht nur predigen, sondern auch leben.“ Hürden bei der standesamtlichen Trauung Dass das graduell aber noch immer nicht der Fall sei, berichten Alkhatib und Assaf aus eigenem Erleben – Alkhatib, wenn er sich, wie häufig samstags, am Palästina-Stand in der Bielefelder Fußgängerzone abfällige Sprüche anhören muss oder wenn er an seiner Berufsschule die Erfahrung mache, dass sein Geschichtslehrer an einer ausgewogenen Darstellung wenig interessiert sei; Assaf, wenn er nicht verstehen kann, warum ihm der deutsche Staat trotz seines Aufenthaltstitels, trotz gesicherten eigenen Einkommens, bei seiner Eheschließung hohe Hürden aufbaut. Seine Frau, so schildert Assaf, lebt in einer Unterkunft im pfälzischen Hambach, vor drei Jahren kam sie nach Deutschland. Sie stammt aus demselben Ort wie er, ihre jeweiligen Schwestern sind miteinander befreundet. Nun ist sie im sechsten Monat schwanger und die Vaterschaft erwiesen. Doch sie darf nur dann zu Asssaf nach Gütersloh in seine geräumige Wohnung ziehen, wenn er der Ausländerbehörde in Bad Ems ein Ehefähigkeitszeugnis vorlegen kann. Lesen Sie auch: Vor Kriegsbeginn im Nahen Osten: Gütersloher Schüler rechtzeitig aus Palästina zurück Ein solches Zeugnis koste rund 2.000 Euro, sagt Assaf, ausgestellt werde es von einer Behörde in Gaza. Nur: Die existiere nicht mehr. Heißt: Das junge Paar, das vor einem Jahr kirchlich in Wadersloh geheiratet hat, kommt nicht zusammen. Das ist zwar kein Krieg, aber ein Drama ist es schon - und Assaf fragt sich, ob ein israelisches Paar wohl mit den gleichen Problemen konfrontiert würde. Derweil bekommt Alkhatib neue Nachrichten von seinen Eltern. Ihr Heimatort, Faqqua, sei über Nacht vom israelischen Militär abgeriegelt und eine dreitägige Ausgangssperre verhängt worden. Was in den Tagen danach passiere, wisse man nicht.

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