Schausteller gründete den Gütersloher Weihnachtsmarkt mit - nun ist er 100 geworden

Gütersloh. Eigentlich schlägt sein Herz auch für die Stadt Gütersloh, denn hier hat er einst mit seinem Kinderkarussell den Weihnachtsmarkt im Zentrum am Berliner Platz ins Leben gerufen. Doch aktuell ist Schausteller-Urgestein Johann Schneider nicht besonders gut auf die heutigen Organisatoren zu sprechen. Sie sollen seiner Familie verwehrt haben, ihr Fahrgeschäft auch in diesem Jahr dort aufstellen zu dürfen. &bdquo;Haben die denn kein Herz für Kinder?“, fragt sich der Noch-99-Jährige beim Telefonat mit der &bdquo;Neuen Westfälischen“ entrüstet. Dabei ist der Anlass des Anrufs doch eigentlich ein ganz besonders erfreuliches und seltenes Ereignis. Johann Schneider wird 100 Jahre alt. Lesen Sie auch: 92-jähriger Schausteller betreibt noch immer das Kinder-Karussell An diesem Samstag, 17. Mai, ist es so weit. Gefeiert wird im großen Stil. Rund 200 Gäste werden erwartet bei der Geburtstags-Sause im schicken Vier-Sterne-Businesshotel Mövenpick in seiner Heimat Münster. Im dortigen Stadtteil Handorf wohnt die lebende Schausteller-Legende in einem Sechs-Parteienhaus, das sich im Familienbesitz befindet. &bdquo;Von hier aus ist er noch bis vor wenigen Jahren im Winter Tag für Tag nach Gütersloh gefahren. Immer 55 Kilometer hin und zurück, um sich sieben, acht Stunden an die Kasse des Kinderkarussells zu hocken“, erzählt sein Sohn August. Rezept für langes Leben: Täglich ein Glas Orangensaft Als sich sein Vater vor drei Jahren einer Hüft-Operation unterzog, nahm der Filius seinen angestammten Platz im Kassenhäuschen in Gütersloh ein und sorgte damit für Irritationen unter den Weihnachtsmarkt-Besuchern. &bdquo;Echt viele Menschen waren besorgt“, berichtet August Schneider, &bdquo;sie haben mich gefragt, ob mein Vater krank oder gestorben ist.“ Nein. Johann Schneider hört zwar nicht mehr besonders gut. Auch das Treppensteigen ging schon mal flüssiger. Aber ansonsten erfreut sich der Mann mit dem aus dem Rheinland-Pfälzischen stammenden Spitznamen &bdquo;Schängel“ durchaus guter Gesundheit. Nach dem Rezept für ein langes Leben gefragt, erklärt der hochbetagte Jubilar: &bdquo;Viel Arbeit, viel Stress und immer in Bewegung bleiben, sonst kann man in der Schausteller-Branche nicht bestehen.“ Seine Tochter Alexandra ergänzt: &bdquo;Außerdem bekommt er täglich ein Glas frischen Orangensaft.“ Erste Kirmes in Gütersloh fand Ende der 1940er-Jahre statt Johann Schneider wurde die Schaustellerei quasi in die Wiege gelegt. 1925 wurde er in Lüdenscheid geboren, Vater August war Schausteller und Mutter Maria eine Zirkusartistin. Schon mit neun Jahren steht der kleine &bdquo;Schängel“ im familiären Hippodrom, einer Reitbahn mit Gastronomie. Als Zwölfjähriger reist er mit seinem Vater erstmals von Kirmes zu Kirmes. Die frühe Tätigkeit prägt, aus Beruf wird Berufung. Gelebt wird dort, wo gerade &bdquo;Rummel“ stattfindet – mal in Stuttgart, dann in Dresden, Eisleben, Annaberg oder auch in Soest und Gütersloh. Im Zweiten Weltkrieg muss die Familie ihr Fahrgeschäft in einem Steinbruch verstecken. &bdquo;Ende der 40er-Jahre hat er mit seinen Eltern dann die erste Kirmes in Gütersloh auf die Beine gestellt. Sie mussten die Kriegstrümmer eigenhändig vom Marktplatz räumen“, erzählt August Schneider. Der Sohn schildert, wie sein Vater im Dezember 1970 in Eigenregie den ersten Gütersloher Weihnachtsmarkt ins Leben gerufen hat. &bdquo;Angefangen hat es mit einem Kinderkarussell und einem Reibenkuchenstand von einem Onkel.“ Später, es soll 1977 gewesen sein, ist dann die Werbegemeinschaft mit ins Boot gestiegen. Oberlippenbart-Träger Schneider, dem aufgrund seines Moustache immer eine Ähnlichkeit mit 40er-Jahre-Leindwandheld Errol Flynn nachgesagt wird, baut seinen eigenen Betrieb auf. Kinder- und Kettenkarussell, Autoscooter, amerikanische Rundumkinos oder Münchner Rutsche – bis heute sind es insgesamt rund 30 Fahrgeschäfte geworden, die er besaß. Eine Schaustellerfamilie in der achten Generation Mehr als 80 Jahre lang ist Johann Schneider mit seinen Fahrgeschäften durchs Land gereist. Zu seinem Ruhepol ist Münster geworden, wo er sich 1980 ansiedelt. Dort findet dreimal im Jahr das Volksfest Send statt, außerdem stammt Gattin Renate aus der Domstadt. Vor sechs Jahren stirbt seine Ehefrau, mit der Johann Schneider die Kinder August, Alexandra und Bettina hat. Die Familie spielt immer eine große Rolle. Er hat sechs Geschwister, darunter mit dem 2022 verstorbenen Bruder August den langjährigen Gütersloher Kirmes-Organisator. Schwester Amanda (98) wohnt in Gütersloh. &bdquo;Wenn bei uns nicht der Familienzusammenhalt so groß gewesen wäre, hätte das mit den ganzen Geschäften, die wir angeschafft haben, nicht geklappt“, sagt Johann Schneider einmal in einer Fernsehreportage. Über acht Generationen betreibt seine Sippe das Geschäft mit den Karussells und bunten Buden. Am Samstag kommt sie in Münster zusammen, um den 100. Geburtstag ihres &bdquo;Schängel“ gebührend zu zelebrieren. Zu den Gästen sollen auch Albert Ritter, Präsident der Europäischen Schausteller-Union, und die Münsteraner Stadtspitze zählen. Lesen Sie auch: Mutiges Paar aus dem Kreis Gütersloh wagt Kirmes-Abenteuer – Millionen Klicks für Videos Johann Schneider, der mit 92 Jahren noch seinen Führerschein für Zugmaschinen verlängert hat, freut sich auf seinen ganz besonderen Ehrentag. Einen großen Wunsch hat er nicht. Tochter Alexandra sagt: &bdquo;Er ist einfach glücklich.“ Wohl noch etwas glücklicher wäre der Jubilar, wenn sich für das Schneidersche Kinderkarussell auch im Winter 2025 ein Platz in Gütersloh finden ließe. Dort, wo das Geburtstagskind einst den Weihnachtsmarkt aus der Taufe gehoben hat.

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