Nach 20 Jahren: Stadtbekannter Gütersloher Politiker verlässt vorzeitig das Rathaus

Gütersloh. Die alte Post, das ist so eines seiner Leib- und Magenthemen. Was lässt sich aus dieser Brache nur machen? Und zwar so, dass es Gütersloh weiterbringt? So, dass es die Innenstadt bereichert, die Bürger was davon haben, dass es bezahlbar ist und sich wirtschaftlich trägt? Detlev Kahmen beschäftigt so etwas enorm. Tagelang vergräbt er sich dafür in städtische Akten, wälzt sie, macht sich Notizen, Abschriften, erstellt eine Chronologie. Für wen? &bdquo;Für mich. Ich muss wissen, worüber ich entscheide.“ 20 Jahre hat er das gemacht. Nicht immer in solcher Tiefe, aber zumindest so, sagt er, dass er bei Abstimmungen mit sich im Reinen war. Nun ist das vorbei. Kahmen hört auf. Der CDU-Ratsherr, der maßgeblich die jüngere Gütersloher Stadtentwicklung beeinflusst hat, verlässt die Politik. Die Ratssitzung am Donnerstagabend ist seine letzte. Man wird ihm einen Blumenstrauß überreichen, ein paar anerkennende Worte sagen, ihm zum Stadtältesten ernennen. Letzteres ist ein Automatismus. Der Titel Stadtältester steht allen zu, die sich mindestens 20 Jahre lang als Ratsmitglied für ihre Stadt engagiert haben. Kahmen wird in der Gütersloher Historie der 23. sein, der ihn verliehen bekommt: acht Christdemokraten, dreizehn Sozialdemokraten, zwei Grüne. Deshalb ist die Personalie so bemerkenswert Nummer 23, das klingt nicht besonders. Bemerkenswert ist die Personalie Kahmen gleichwohl. Erstens: Er hört vorzeitig auf, vor Ende der Wahlperiode. Zweitens: Er machte Lokalpolitik, obwohl er als selbstständiger Spediteur alles andere als Langeweile schob. Drittens: Er saß an ziemlich großen Schalthebeln. Viertens: Er gründete und führte außerdem einen Stadtteilverein, den in Kattenstroth. Ziemlich viel für einen Tag. Aber wie das so ist: Es hat sich einfach ergeben. Erst fragte ihn der CDU-Altvordere Jürgen Krämer, ob er nicht Lust auf Politik und Stadtgestaltung habe, dann sprang Kahmen als Zählkandidat in einem Wahlbezirk ein, woraufhin ihn die Partei als Dankeschön 1999 zum sachkundigen Bürger ernannte und ihm hopplahopp wenig später den Vorsitz des Ortsverbandes übertrug. Zack, war Kahmen mittendrin – und ab der folgenden Kommunalwahl 2004 auch reguläres Ratsmitglied. Sportausschuss, Planungsausschuss, Kulturausschuss, Rechnungsprüfungsausschuss, Rat: Kahmen gab sich gleich das volle Programm. Ob er sich damit nicht etwas viel auflud? &bdquo;Ich finde nicht. Aber letztlich müssen das andere beurteilen.“ Später fokussierte er sich auf Planung, Stadtgestaltung. &bdquo;Daran habe ich ein wahnsinniges Interesse.“ Nachdem erst Gerhard Piepenbrock, dann Silva Schröder aus dem Rat ausschieden, übernahm er das Amt des planungspolitischen Sprechers seiner Fraktion. Lesen Sie auch: Nach nur einem Jahr im Amt: Leiterin des Ordnungsamts verlässt Gütersloh Wieso hört er jetzt auf? Der Mann für die Bebauungspläne also. Der für die Entwicklung von Wohnsiedlungen, von Kindergärten, von Gewerbegebieten, von Straßenzügen, Kaiserquartier, Konrad-Adenauer-Platz, Mansergh-Gelände und und und. &bdquo;Es ließe sich so einiges aufzählen“, sagt er. Lesen Sie auch: Gütersloh kauft das Mansergh-Quartier für 16 Millionen Euro Was ihm aber am meisten Befriedigung verschafft habe, sei die direkte, konkrete Hilfe, die er manchen Bürgern angedeihen lassen konnte. Wieso bekommt Person XY keine Baugenehmigung, warum hakt’s beim Bauantrag des Schützenvereins? &bdquo;Wenn es mir gelang, bei solchen Fragen zu unterstützten, hat mich das gefreut.“ Entscheidend sei: Ehrlichkeit. &bdquo;Die Leute sind nicht doof. Man kann es ihnen erklären. Man kann ihnen auch erklären, dass das Allgemeinwohl gegenüber dem Einzelinteresse überwiegt.“ Jemand, der immer einen freien Blick in die Natur hatte und sich nun über die nächste Baureihe ärgert, sei durchaus in der Lage, sich damit abzufinden, sofern man ihm begreiflich mache, dass das schon immer Bauerwartungsland war. Keine falschen Versprechen abgeben, Konflikte aushalten, das müsse ein Politiker schon können. Auf Dauer zahle sich das aus. Wieso hört er trotzdem auf? Hätte er nicht wenigstens bis zur Kommunalwahl nächsten Herbst warten können? 67 Jahre alt ist er jetzt, die paar Monate hätte er schon noch geschafft. Andererseits: &bdquo;Ich möchte einen geschmeidigen Übergang hinkriegen.“ Seinen eigenen für den Ruhestand und den für die Fraktion. Nachfolge soll sauber geregelt werden Seine Ehefrau Margret, so erzählt er, hatte soeben ihren letzten Arbeitstag. Nun wollen die beiden auf Jück. Sechs Wochen Neuseeland, ans andere Ende des Planeten. Dorthin wollten sie immer schon. Außerdem fahren die beiden gerne Rad, vor allem Flussradwege. Dazu: Enkelkinder, Garten, Modelleisenbahn, &bdquo;das klassische Programm“, lächelt Kahmen. Was Rentner halt so tun. Sein vorzeitiger Ausstieg sei aber auch politisch motiviert. Ihm gehe es darum, die Nachfolge sauber hinzukriegen. Sein Fraktionskollege Andreas Heine sei auserkoren, den Posten des planungspolitischen Sprechers zu übernehmen. &bdquo;Der kann das“, sagt Kahmen. Wenn es im Herbst zur Zäsur bei der CDU kommt, viele Altgediente den Rat verlassen, Heiner Kollmeyer etwa, Markus Kottmann, Marita Fiekas, Georg Hanneforth und einige andere, dann werde Heine schon voll in den Themen stecken. Das finde er sinnvoll, sagt Kahmen. Sitzungsunterlagen mit mehr als 1.000 Seiten Ein bisschen Politikmüdigkeit, nun ja, so ganz abstreiten mag er es nicht. Die Morkes-Episode, die Sondersitzungen rund um Gütersloh Marketing, der mitunter scharfe Ton im Stadtrat: Das habe ihm zugesetzt. Anstrengende Monate waren das. Auch die Arbeit in den vielen neuen Untergremien habe sich geläppert. Der Arbeitskreis für die Haushaltskonsolidierung, der für die Konversion, für den ZOB, für die Feuerwehr, für die Sportstätten, für die Schulentwicklungsplanung: Kahmen ist nicht der erste, der über all diese Sitzungen stöhnt. Ein Freizeit- und Ehrenamtspolitiker stecke das nicht mal eben so weg. Neulich, bei dem Tagesordnungspunkt Mansergh-Quartier, umfassten die Sitzungsunterlagen mehr als 1.000 Seiten: Verkehrsexpertisen, Altlastenuntersuchungen, Artenschutzgutachten, etc. Wer sich darin vertieft, braucht sich für den Rest des Tages nicht mehr viel vornehmen. Steigende Politikverdrossenheit bereitet ihm Kummer Umso ärgerlicher ist es für Leute wie Kahmen, wenn er allgemeine Politikerschelte hört, dieses oberflächliche Schimpfen &bdquo;auf jene da oben“. Er wird da nicht nur sauer, sondern nachdenklich. Die Dauerbeschallung durch Medien, vor allem das zweifelhafte Zeug von TikTok, Facebook und dergleichen trage dazu erheblich bei. &bdquo;Manche Leute wissen gar nicht mehr, was und wem sie glauben sollen und schalten ab. Das ist ein echtes Problem.“ Noch schlimmer sei es, wenn sie in den Fängen jener landen, die sich &bdquo;Alternative“ nennen. &bdquo;Ihr seid überhaupt keine Alternative, weil ihr den Leuten nur was vormacht“, sagte Kahmen neulich in einer Sitzung den AfD-lern im Rathaus. Diese hatten gerade beantragt, die Mittel für die TWE in den Straßenbau umzuschichten, als wenn das so ohne weiteres möglich wäre. &bdquo;Das geht schon rein rechtlich nicht, weil wir von da Fördertöpfen und Landesmitteln reden, aber das scheint die von der AfD nicht zu interessieren.“ Ahnungslos zu reden, ahnungslos zu votieren, den Leuten nach dem Mund zu plappern, dergleichen hat ihn schon immer gestört. Ihm selbst ist daran gelegen, seriöse Arbeit abzuliefern, ob in seinem Unternehmen, seinem Stadtteilverein oder in seiner Fraktion. &bdquo;Letztlich geht es uns doch allen darum, unser Gütersloh schön und lebenswert zu gestalten.“ Bekomme er Besuch von auswärts, höre er oft, &bdquo;ist doch gar nicht so schlecht hier“. In den Ohren eines Ostwestfalen sei das bekanntlich ein gewaltiges Kompliment. Dann freue er sich.

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