Bekannter Gütersloher Politiker lebt eine Woche lang als Soldat bei der Bundeswehr

Gütersloh. Flecktarn statt Sakko, Uniform statt Anzug. Der Gütersloher Landtagsabgeordnete Raphael Tigges hat eine Woche lang wie ein Soldat gelebt. Er trat morgens zum Fahnenappell an, aß mittags aus der Gulaschkanone und übte nachmittags mit dem Sturmgewehr G36 den Häuserkampf. Alles freiwillig. Warum? &bdquo;Mir war wichtig, einen tieferen Einblick in die Truppe zu bekommen.“ Tigges (CDU) nahm ein spezielles Angebot an. Die Bundeswehr hatte Mandatsträger und zivile Führungskräfte eingeladen, sich hautnah zu informieren. Wie ist die Lage der Streitkräfte? Wie geht es den Soldaten? Ist die Bundeswehr personell und materiell ausreichend gerüstet, um mit den neuen, ernsten Bedrohungen fertig zu werden? Lesen Sie auch: Bundeswehr-Flugzeuge im Tiefflug erschrecken Bürger im Kreis Gütersloh Fragen, die nicht nur Tigges bewegen. &bdquo;Die Gesellschaft muss sich entscheiden, wie wichtig ihr die Bundeswehr ist“, sagt der 51-Jährige. 30 Jahre ist es her, seit Tigges gedient hat. Er leistete seinen Wehrdienst im Fernmelderegiment in Coesfeld ab, für ihn war’s keine Zeitvergeudung. Er machte den Lkw-Führerschein, durchlief eine Schulung als Hilfsausbilder, sammelte Erfahrungen, die er wertvoll fand. Die Tage seien anstrengend gewesen, gibt Raphael Tigges später zu Als er nun in der Saaleck-Kaserne in Hammelburg einrückte, ein Standort der Infanterie im bayerischen Franken, war es wie ein Deja-vu. Gerüche, Tonfall, Abläufe, dieses eigenartige Empfinden, in einer Uniform zu stecken: Alles war noch da. Tigges war einer von fünf NRW-Landtagsabgeordneten, die einrückten: vier CDUler, eine Grüne. Zuvor hatten sie vom Ausbildungskommando der Bundeswehr einen Musterdienstplan geschickt bekommen, damit sie wussten, worauf sie sich einlassen. Auf ihrem Personalbogen, zwei DIN-A-4-Seiten, mussten sie unterschreiben, dass sie gesund sind, sich fit fühlen. Bei der Einschleusung wollte der Truppenarzt das erneut von ihnen bestätigt wissen. &bdquo;Das ist angemessen“, sagt Tigges. &bdquo;Die Tage waren anstrengend. Nicht jeder hätte das geschafft.“ Nur ein Komfortzugeständnis gab es für den Politiker Um 5.30 Uhr klingelte der Wecker. Aufstehen, Morgentoilette, 6.00 Uhr Fahnenappell, danach Frühstück. Die fünfeinhalb Tage waren als geschlossenes Programm konzipiert: mal Vorträge, mal raus ins Feld, eine Mischung aus geistiger und körperlicher Beanspruchung. Erst spätabends konnten sich die Teilnehmer in ihr Einzelzimmer verkriechen – das einzige Komfortzugeständnis im Vergleich zu den Normal-Soldaten. Die Vorträge, sie waren exzellent, fand Tigges. &bdquo;Internationale Bedrohung – DNA russischer Streitkräfte“, so lautete einer von ihnen. Ein Oberstleutnant habe darin den Expansionsdrang der russischen Machthaber deutlich gemacht, deren beinah systemimmanente Doktrin, ihr Land unter Einsatz des Militärs zu vergrößern. &bdquo;Wer diesen Vortrag gehört hat, wird kaum noch daran zweifeln, dass man solchen autoritären Regimen nur mit einer wehrhaften, verteidigungsfähigen Demokratie begegnen kann“, sagt Tigges. Rund um die Vorträge werden Kämpfe simuliert Ein weiterer Vortrag beleuchtete die Frage, wie wirksam die Auslandseinsätze etwa in Afghanistan, Mali oder dem Kosovo waren, ein dritter hieß schlicht: &bdquo;Das deutsche Heer“, gehalten von einem der hochrangigsten Soldaten: Generalleutnant und Heeres-Inspekteur Alfons Mais. Vor den Vorträgen und danach: Kampf. Beziehungsweise: die Simulation von Kampf. Der Abgeordnete Tigges, für diese paar Tage faktisch und rechtlich vom Obergefreiten in den Rang eines Oberleutnants der Reserve befördert, lernte kämpfen. Lesen Sie auch: Sicherheitsbedenken: Bundeswehr sagt Großveranstaltung in Espelkamp kurzfristig ab Er robbte in voller Ausrüstung durch Tunnel, er band ein vermeintlich blutendes Bein ab, er hatte zu begreifen, dass es nach einem &bdquo;Angriff“ auf seinen Bus entscheidend ist, binnen Sekunden einen Flucht- oder Stoßtrupp mit klaren Autoritätsstrukturen zu formieren. Essen gab’s aus der Kasernen-Kantine oder der Feldküche Die Vorgesetzten scheuchten ihn über die kaserneneigene Rödelbahn, sie forderten von ihm, dass er sich aus 13 Metern Höhe vom Kletterturm abseilt, er hatte zu beweisen, dass er in einem verblüffend echt nachgebauten Orient-Markt die passenden Reaktionsmechanismen nach simuliertem Anschlag abrufen kann. Was sich in seiner Erzählung wie eine Mischung aus Bootcamp und Jochen-Schweizer-Abenteuerurlaub anhört, ist für die Infanteristen Alltag. Tigges und die anderen Abgeordneten bekamen es volle Lotte mit. Auch bei der Verpflegung wurden sie nicht geschont. Das Essen gab’s in der Kasernen-Kantine oder aus der Feldküche. Denn, wie jeder Soldat weiß und nie vergisst: Ohne Mampf kein Kampf. Ob ihm das Spaß gemacht hat? &bdquo;Ja, schon“, sagt Tigges. &bdquo;Es war eine lehrreiche Erfahrung, und die Stimmung war gut.“ Fast 50 Teilnehmer zählte seine Gruppe, davon die Hälfte aus Landtagen und Bundestag; die andere Hälfte waren Führungskräfte aus der Wirtschaft, Referenten aus den Ministerien, Bundesrichter, Finanzverwalter, Bürgermeister, Landräte. &bdquo;Eine muntere, hochinteressante Mischung“, sagt Tigges. Mit ihnen in der Kaserne die Ukrainer - das zeigt den Ernst der Lage Das Anliegen ihres Aufenthalts verloren sie dennoch nie aus den Augen. Dafür sorgte die eng getaktete Tagesstruktur und die Nähe ukrainischer Soldaten. Kompanieführer der Ukraine wurden in Hammelburg fortgebildet, um sich nach ihrer Rückkehr besser gegen die Russen behaupten zu können. Tigges: &bdquo;Das zeigt den Ernst der Lage. Es war bedrückend. Keiner weiß, wann und wie das dort ausgeht, und keiner weiß, was Putin sonst noch ausheckt. Es ist wichtig, dass wir vorbereitet sind.“ Seine Infanterieschulung in Hammelburg lief nicht unter Freizeit, sie war Dienst. &bdquo;Dienstliche Veranstaltung zur Information“ (InfoDVag), so ist sie betitelt. Jedes Jahr findet sie statt. Tigges bekam formelle Post darüber, doch er hatte schon von anderer Seite davon gehört: Ralph Brinkhaus, der Gütersloher Bundestagsabgeordnete, nahm vor einiger Zeit daran teil. Gelöbnis untermauert den offiziellen Charakter der Schulung Dass die Schulung offiziellen Charakter hat, zeigt sich am Gelöbnis: Am ersten Abend auf Burg Saaleck schwören die Teilnehmer auf die Fahne, der Bundesrepublik treu zu dienen. Das gilt. Es würde auch im Ernstfall gelten. In seinem politischen Alltag gehört Tigges dem Haushalts- und Finanzausschuss und dem Wissenschaftsausschuss des Landtages an, er hat nicht die Macht, über die Bundeswehr-Agenda zu entscheiden, doch er hat die Macht des Wortes. &bdquo;Die Frage, wie wir unsere Freiheit verteidigen, geht uns alle an, und ich will dazu meinungsfähig sein.“ Es braucht ein &bdquo;Gesellschaftsjahr“, fodert der CDU-Politiker Für ihn sei völlig klar, dass die Bundesrepublik wieder ein verpflichtendes Jahr einführen müsse, ein &bdquo;Gesellschaftsjahr“. Die Bundeswehr sei als eine Armee gegründet worden, die mitten in der Gesellschaft stehe, sich der Demokratie verpflichtet fühle. Nun brauche sie Stärkung - Geld (über das Sondervermögen hinaus) und Personal. &bdquo;Die Situation ist eine andere als vor ein paar Jahren, das muss uns klar werden.“ Der Dienst in der Bundeswehr – alternativ beim THW, der Feuerwehr, in der Pflege – sei elementar für unsere Sicherheit, so Tigges. Auch seine Kinder könnte das betreffen: Zwei der vier sind noch nicht erwachsen, sind 13 und 16 Jahre alt.

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