Flitzer bedrängen Weltstar in Gütersloh: Darum ist Cristiano Ronaldo gefragter als Mbappé

Gütersloh. Wirre Schreie, Gliederzucken, Augenrollen: Überall wo Superstar Cristiano Ronaldo bei dieser Fußball-Europameisterschaft auftaucht, herrscht totale Verzückung. Dabei stürmen immer wieder Menschen auf das Spielfeld, um ihrem Idol nah zu sein. Schon beim öffentlichen Training in Gütersloh haben sie am 14. Juni für Wirbel gesorgt, als insgesamt zehn Erwachsene und drei Kinder unbefugt auf den Rasen im Heidewaldstadion eilten. Beim 3:0 gegen die Türkei waren Tage später in Dortmund weitere sieben Eindringlinge in den Innenraum gelangt, darunter der kleine Berat (10), dessen Selfie danach um die Welt ging. Das Phänomen der sogenannten Flitzer – also Menschen, die bei Sport-Events oder anderen öffentlichen Veranstaltungen durch das Geschehen laufen und für Störungen sorgen – ist ein Trend dieser Tage. Doch was hat es damit auf sich und wie lässt es sich psychologisch erklären? Ersten Flitzer gab es offenbar schon 1974 Klaus-Thomas Kronmüller ist ein echter Experte auf dem Gebiet. Der Schwabe arbeitet als Psychiater und Psychologe, ist seit mehr als 14 Jahren der Ärztliche Direktor am LWL-Klinikum Gütersloh. &bdquo;Flitzer sind kein neues Phänomen sind“, weiß der 59-Jährige, &bdquo;sie gehören seit ewigen Zeiten zum Sport dazu.“ Lesen Sie auch: Ronaldo hautnah im Kreis Gütersloh: Das steckt hinter den Baby-Fotos mit dem Weltstar Genau genommen, schenkt man medialen Überlieferungen Glauben, feiert das Flitzen in diesem Jahr sogar sein 50-jähriges Bestehen. Einem &bdquo;Spiegel“-Bericht zufolge soll der Australier Michael O’Brien 1974 bei einem Rugby-Länderspiel in London für den ersten Ein-Personen-Platzsturm gesorgt haben – und zwar so, wie Gott in schuf. Der Beginn einer Ära der Entblößung. &bdquo;Früher gab es die Menschen, die nackt über den Platz gelaufen sind“, spricht Klaus-Thomas Kronsmüller von den Anfängen, &bdquo;da würde ich psychologisch betrachtet sagen, dass Erregung von Aufmerksamkeit und Provokation im Fokus stand. Denen ging es um sich selber, nicht um die Spieler.“ Provokation weicht dem Wunsch nach Selfies Mittlerweile habe sich das Bild aber gewandelt. &bdquo;Nacktheit ist heute über die völlige Verfügbarkeit im Internet nicht mehr so provokant und auch der Regelbruch ist nicht das Entscheidende. Bei der EM wollen die Flitzer doch ganz offensichtlich einfach ein Handybild mit ihrem Superstar haben. Jetzt geht es um eine Trophäe, nicht mehr um Provokation.“ Aus dem &bdquo;Flitzen, um gesehen zu werden“ von damals ist ein &bdquo;Laufen, um sein Ziel zu erreichen“ geworden. Eine Berührung, ein Autogramm oder das Foto vom Treffen mit dem Weltstar. Bei dieser Europameisterschaft ist meist ein Bild das Motiv dafür, sich über die Grenzen des Erlaubten hinweg in Szene zu setzen. Aber was verbirgt sich dahinter? &bdquo;Es geht um die Befriedigung eines Bedürfnisses. Ein Selfie mit einem berühmten Menschen erhöht mein Selbstwertgefühl. Der Wunsch danach ist groß. Meine Vermutung ist, dass es eine große Rolle für die eigene Identität spielt“, fährt der Mediziner fort. Für Trophäe werden alle Konsequenzen ausgeblendet Dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie nach geht es auch darum, die eigene Individualität zu erhöhen und womöglich eine sozial attraktivere Darstellung zu erreichen. &bdquo;So ein Foto kann man schließlich später in den Sozialen Netzwerken weiter veröffentlichen und anderen Person zugängig machen.“ Für ihr Ziel nehmen die Flitzer oft Strafen wie Anzeigen, Verweise oder ein lebenslanges Stadionverbot billigend in Kauf. &bdquo;Das ist mit dem hohen Wert erklärbar“, erläutert Kronmüller: &bdquo;Ich habe eine Trophäe, die mir so guttut, dass ich alle negativen Folgen ausblende.“ Den Deutschen Fußball-Bund (DFB) kostet es mittlerweile Geld, dass so viele Fans zu Cristiano Ronaldo &bdquo;geflitzt“ sind und sich Verfolgungsjagden mit Ordnern lieferten. Die UEFA verlangt für die Vorfälle bei den Spielen gegen die Türkei und Tschechien 20.000 Euro, da der DFB technisch gesehen als Veranstalter der Spiele für die Sicherheit auf dem Platz verantwortlich ist. Influencer stürmt bei Training in Gütersloh den Platz Beim Training in Gütersloh gehörte der Paderborner Influencer Hamed Loco zu denjenigen, die zu &bdquo;CR7“ auf den Platz stürmten. Hinter seiner Intention verbirgt sich ein weiterer Grund für das Flitzen: Klicks im Internet. Der 24-Jährige veröffentlichte auf dem Videoportal Youtube einen kurzen Clip davon, wie er seinen Platzsturm im Heidewald plante und umsetzte. Der Film bescherte ihm immerhin fast 243.000 Aufrufe. So viele Störenfriede wie rund um die Fußball-EM 2024 gab es vermutlich noch nie. Am häufigsten im Fokus steht dabei Cristiano Ronaldo, der mit den Portugiesen in Marienfeld kampiert und am Freitagabend (21 Uhr) gegen Frankreich das Halbfinale erreichen will. Es wirkt fast wie eine Heiligenverehrung, wenn seine Fans ihm begegnen. Darum ist Ronaldo gefragter als Mbappé Aber weshalb dreht sich in Sachen Flitzer offensichtlich alles um den 39-jährigen Portugiesen, obwohl es beim Turnier auch etliche andere Stars wie Kylian Mbappé, Harry Kane oder Jamal Musiala gibt? &bdquo;Diese Spieler sind mehr Fußballstars, aber er ist eine andere Liga. Er hat etwas besondere, eine gewisse Ästhetik und er ist CR7 – eine Marke“, sagt Klaus-Thomas Kronmüller, &bdquo;höchstens vergleichbar mit Beckenbauer oder Pelé früher.“ Dass es die letzte EM in Ronaldos Karriere sein wird, könne den Reiz zusätzlich befeuern. Lesen Sie auch: Mbappé geht in Paderborn zum Bowling und macht kleine Fußballfans glücklich Es bleibt eine Chance, dem König des europäischen Fußballs zu begegnen, bevor er abdankt. Dafür schrecken manche Menschen vor nichts zurück. Beim Georgien-Spiel (0:2) in Leipzig sprang ein Fan mit Anlauf und den Füßen voraus aus zwei Metern Höhe fast direkt vor die Füße von Ronaldo. Nur das schnelle Einschreiten eines Ordners verhinderte Schlimmeres. Flitzer-Phänomen ist kaum erforscht In Gütersloh gelang es einem jungen Mann, sein Idol zu umarmen. Er und alle anderen Flitzer wurden vom Feld geführt und ihre Personalien festgestellt. &bdquo;Die Einleitung von Ermittlungsverfahren wurden durch uns initiiert“, so Polizeisprecherin Katharina Felsch. Das Phänomen des Flitzens ist bislang kaum wissenschaftlich erforscht. &bdquo;Ich wüsste von keiner Untersuchung. Es gibt Theorien und Mutmaßungen“, sagt Klaus-Thomas Kronmüller. Eines weiß er aber mit Sicherheit: &bdquo;Es ist insgesamt eine relativ seltene Erscheinung, die nur bei der EM jetzt zu einer Art Massenphänomen wird.“ Spätestens mit dem Abpfiff des Endspiels am 14. Juli dürfte es in deutschen Fußballstadien somit wieder etwas gemächlicher zugehen.

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