Deutliche Worte: "Schwarze Dominanz im Kreis Gütersloh brechen"

Herr Schneidt, sind Sie unter die Segler gegangen, oder warum haben Sie den Linteler See als Treffpunkt fürs Interview ausgewählt? Stefan Schneidt: Segeln zählt nicht zu meinen Hobbys, mitunter komme ich hierher zum Stand-Up-Paddling. In meiner Jugend habe ich hier viel Zeit verbracht. Es ist ein Naturschutzgebiet und ein schöner Ort, gerade im Sommer. Aber es liegt gerade ein unangenehmer Geruch in der Luft. Tatsächlich? Das könnte von einem landwirtschaftlichen Betrieb in der Nähe herrühren. Seit ich Corona hatte, ist mein Geruchs- und Geschmackssinn jedoch stark beeinträchtigt. Wie tief sitzt noch die Enttäuschung über Ihr Ergebnis bei der Landtagswahl? Sie hatten sich gewiss mehr ausgerechnet als knapp 24 Prozent der Erststimmen. Ich hatte mir ein paar Prozent mehr erhofft, gerade aufgrund des Einsatzes. Daraus mache ich kein Geheimnis. Das Wichtigste ist jetzt, daraus auf allen Ebenen die Konsequenzen zu ziehen und nach vorne zu schauen. Woran hat es gelegen, wie sieht jetzt mit etwas Abstand Ihre Wahlanalyse aus? Sind Sie vom Strudel des Abschwungs der Bundes-SPD erfasst worden? Es hat wohl vielfältige Gründe. Einerseits die Performance der Bundes-SPD. Andererseits haben der Ukraine-Krieg und Themen wie die fehlende Entlastung der Rentnerinnen und Rentner, denen die 300-Euro-Energiepauschale verwehrt wird, die Landtagswahl überlagert. Dazu fehlten klare Aussagen, wie es bei der Bundestagswahl mit dem zwölf Euro Mindestlohn der Fall war. Ebenso hat auch mein Alter eine Rolle gespielt. Ich möchte aber hervorheben, dass es in meinem Wahlkreis eine progressive Mehrheit aus SPD und Grünen mit etwa 45 Prozent der Stimmen gibt. Wibke Brems und ich, wir haben uns gegenseitig die Stimmen gestohlen und damit der CDU geholfen. Man hat es leider nicht geschafft, die gemeinsamen Themen auf eine Person zu bündeln. Themenseite:Lesen Sie hier alles rund um Stefan Schneidt (SPD) Hat nicht jede Partei den Anspruch, einen eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken? Definitiv, aber die multiplen Krisen erfordern es, politische Ziele in den Vordergrund zu stellen. Für persönliche Befindlichkeiten haben wir keine Zeit. Vor der nächsten Kommunalwahl 2025 wäre es meiner Meinung nach richtig, dass Parteien, die ein ähnliches Profil haben, mit einem gemeinsamen Landrats- und Bürgermeisterkandidaten ins Rennen zu gehen. Es wäre eine Chance, die schwarze Dominanz im Kreis zu brechen und eine sozial-ökologische Politik voranzutreiben. Wäre es mit jetzt 22 Jahren nicht ohnehin zu früh gewesen, in den Landtag einzuziehen, ohne abgeschlossene Ausbildung und Berufserfahrung? Dazu kann jeder seine Meinung haben. Ich wäre mit 22 der jüngste Abgeordnete in Düsseldorf, aber auch in ganz Deutschland gewesen. Vor der Landtagswahl habe ich des Öfteren erwähnt, dass es einen einzigen Abgeordneten unter 30 in Düsseldorf gibt – dieser ist 29 – und dass der Altersdurchschnitt im Landtag bei über 50 Jahren liegt. Viele junge Menschen erachten es als wichtig, dass Vielfalt im Parlament abgebildet wird und explizit Zukunftsthemen wie Umwelt- und Klimaschutz oder psychische Gesundheit mehr Gehör finden. Wenn jüngere Menschen mehr Druck in Düsseldorf bei diesen Themen machen, dann kann nur die gesamte Gesellschaft profitieren. Außerdem kann ich nicht 22 sein und gleichzeitig 20 Jahre Berufserfahrung mitbringen. Da muss man sich entscheiden. Setzen Sie jetzt erst mal Ihr Studium fort? Ja, im Oktober geht es an der Uni weiter und andere Beschäftigungen, wie z. B. meine Tätigkeit als Handballtrainer, bleiben auch weiterhin bestehen. Dazu bin ich noch selbstständig und möchte zwei Buchprojekte gerne abschließen. Zum einen geht es um die Klimakrise und die Szenarien, die uns bevorstehen, wenn wir nicht ausreichend agieren und zum anderen um den Fleischkonsum und damit eingehend auch um sehr aktuelle Fragen. Welche Konsequenzen ziehen Sie persönlich aus der Wahlniederlage? Kehren Sie der SPD und der Politik den Rücken und konzentrieren sich auf Ihr Engagement als Klimaaktivist? Nein, ich glaube nicht, dass man sich zwischen diesen zwei Dingen entscheiden muss. Es steht außer Frage, dass ich weiterhin in der SPD aktiv bleiben werde. Und zugleich werde ich mich gerade in diesen schwierigen Zeiten auch künftig für meine Herzensthemen engagieren. Es ist von Vorteil, sowohl den Draht zur Zivilgesellschaft zu haben als auch in einer Partei aktiv zu sein. Statt rot-grüne Bündnisse auf lokaler, Landes- und Bundesebene wie früher geht der Trend öfter zu Schwarz-Grün oder umgekehrt. Schlechte Aussichten also für die SPD? So sehe ich das nicht. In Gütersloh haben wir eine Mehrheit im Rat zusammen mit den Grünen und der BfGT. Eine rechnerische Mehrheit. Mit der auch inhaltlich schon jetzt einiges auf die Beine gestellt wird, beispielsweise das Schülerticket, das jetzt kommt, oder die verpflichtende Ausrüstung neuer Gebäude mit Photovoltaik. Wie beurteilen Sie die Aussichten für eine Neuauflage eines rotgrünen Bündnisses in Gütersloh? Wenn man gemeinsame Ziele und Zukunftsprojekte verfolgt, wäre das von großem Nutzen. Ich würde es befürworten und man müsste jetzt nach der Sommerpause frühzeitig mit den Gesprächen beginnen. Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen als Nachwuchskraft mit dem Politikbetrieb und den Parteistrukturen vor Ort? Es gibt Dinge, bei denen man sich fragt, ob sie noch zeitgemäß sind oder man es eventuell anders lösen könnte, zum Beispiel, wenn man mit 40 Genossen zur Delegiertenkonferenz zur Wahl der Delegierten zur Aufstellung der Reserveliste zur Landtagswahl in die Stadthalle kommen muss. Sie sagen deutlich Ihre Meinung vor allem zu Klimathemen. Wie kommt das in den eigenen Reihen der Partei an? Ich habe mich Anfang Januar im NW-Interview deutlich gegen die Taxonomie und Nord Stream 2 geäußert und mich damit teilweise gegen die Parteilinie gestellt. Die Warnungen von mir sind leider sehr aktuell geworden. So etwas kommt unterschiedlich an. Viele finden es erfrischend, dass man zu seiner Haltung steht und diese auch öffentlich äußert. Es braucht eine klare und ehrliche Sprache. Sonst haben wir gegen die Krisen unserer Zeit keine Chancen. Im Landtagswahlkampf wurden Sie von der Organisation Brand New Bundestag unterstützt, die sich als unabhängig und überparteilich bezeichnet und Menschen fördert, die frischen Wind in die Parlamente bringen sollen. Warum hat das bei Ihnen nicht geklappt? Die Ausgangssituation in meinem Wahlkreis ist für die SPD traditionell schwierig. Mit einer starken grünen Partei wird es noch schwieriger, den Wahlkreis zu gewinnen. Es wird quasi unmöglich, wenn CDU und SPD im Bundes- und Landestrend 9 Prozentpunkte auseinanderliegen und die Wahlbeteiligung so gering ist. Würden Sie in fünf Jahren noch einmal antreten? Die Frage kriege ich täglich, aber für mich steht das jetzt nicht im Fokus. Wichtig ist für mich erst einmal die nächste Kommunalwahl. Ein Mandat im Rat oder Kreistag könnte ich mir vorstellen. Müssen Sie sich innerhalb der Partei erst noch hochdienen? Zumindest auf lokaler Ebene gelingt es gerade sehr gut, junge Leute mit einzubinden. Ich denke da an Lisa Marie Becker, die mit mir gemeinsam das Abitur gemacht hat und seit 2020 Ratsfrau ist. Oder an Matthis Haverland, der seinen Wahlkreis damals sogar direkt geholt hat. Wie beurteilen Sie als Klimaaktivist die jetzt in Zeiten der Energiekrise beschlossene Reaktivierung von Kohlekraftwerken? Es ist eine klimapolitische Katastrophe, aber kurzfristig energiewirtschaftlich notwendig zur Überbrückung der Gasmangellage. Das ist sehr bitter und eine Quittung für das Versagen der Vorgängerregierungen beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Der Blick nach vorne ist jetzt wichtig: schneller Aufbau einer europäischen Solarindustrie und Ausbau der Erneuerbaren Energien, Sektorenkopplung, Netze und Speicher. Damit können wir einen Kohleausstieg bis 2030 absichern und bewegen uns endlich mal in größeren Schritten in die richtige Richtung. Kurz vor Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben Sie erklärt, wer weiterhin auf Erdgas setze, mache sich abhängig von autoritären Ländern. Jetzt sollen Gas- und Atomkraftwerke in der EU sogar als klimafreundlich eingestuft werden. Was ist davon zu halten? Gar nichts. Wenn ich hier das äußern würde, was ich denke, würde ich ganz schnell einen Brief von der Staatsanwaltschaft bekommen. Der Beschluss des Europaparlaments bremst die Energiewende aus und ist im Angesicht der aktuellen Situation unverständlich. Das ist ein Super-GAU. Momentan scheint alles unendlich lange zu dauern, wenn es um mehr Klima- und Umweltschutz, Energie- und Verkehrswende geht. Wie kann da mehr Tempo reinkommen? Wenn wir die ökologische Krise endlich als gemeinsame Kraftanstrengung begreifen würden, dann hätten wir weniger Lippenbekenntnisse und stattdessen wirklich mehr Bemühungen. Wir müssen die Ausbauhürden abbauen und die Bürger mehr einbinden, explizit was die Kommunikation der Kommunen bei Windparks angeht. Wenn man auf Bürgerwindparks setzt, von denen Vereine und Menschen vor Ort finanziell profitieren, ist die Akzeptanz auch viel höher. Die Abstandsregeln und Panikmache haben dazu geführt, dass der Ausbau am Boden liegt und sich Widerstand, wie nun in Harsewinkel, organisiert. Ende dieses Jahres reisen Sie zur UN-Weltklimakonferenz nach Ägypten. Was bringen solche Veranstaltungen außer mühsam verfassten Resolutionen? Solche Fragen können sich einem in der Tat stellen, wenn man tage- und nächtelang mitbegleitet und verhandelt und die Beschlüsse dann auf G7-Ebene kurzerhand wieder über Bord geworfen werden. Ein erbärmliches Beispiel ist das Werben der Bundesregierung für neue Gasfelder im Senegal. Das sind fossile Langzeitprojekte, die nicht mit dem Pariser Klimaschutzabkommen vereinbar sind. Trotzdem bleiben die internationalen Konferenzen essenziell, um gemeinsame Standards zu verhandeln und um die ökologische Krise zu bewältigen. Was sollte konkret auf lokaler Ebene in Gütersloh unternommen werden? Es gibt bereits eine Reihe von Vorschlägen und Maßnahmenkataloge und – basierend auf der Grundlage, dass Gütersloh zeitnah klimaneutral werden soll – wird ein neuer, aktueller Maßnahmenplan gerade erarbeitet. Leider hapert es wie so oft an der Umsetzung dieser Maßnahmen. Derzeit wird über die Autoallianz der Einzel-, Autohändler und Gastronomen diskutiert. Natürlich müssen vulnerable Gruppen weiter mit dem Auto in die Innenstadt kommen können und die Zufahrten zu den Parkhäusern offenbleiben. Aber es ist essenziell, andere Parkzonen zu entsiegeln und zu begrünen. Das steigert die Lebens- und Aufenthaltsqualität. Denn faktisch ist die Innenstadt aktuell eine Betonwüste. Es gibt viele Punkte, an denen man ansetzen kann: In welche Unternehmen investieren wir als Kommune und Kreis, mit welchen Ressourcen und auf welcher Grundlage bauen wir, erlauben wir Photovoltaik auf landwirtschaftlicher Fläche als Doppelnutzung und setzen wir uns für bessere Fahrradverbindungen, zum Beispiel nach Harsewinkel, ein? Nicht zuletzt sollte künftig mehr auf den Klimabeirat gehört werden, denn dort sitzt viel Expertise, die zudem sogar noch ehrenamtlich geleistet wird. Zur Zeit läuft ein Parteiausschlussverfahren gegen Altkanzler Gerhard Schröder. Soll er Ihrer Meinung nach die Partei wegen seiner Nähe zu Putin verlassen? Wenn er noch einen Rest Anstand und Ehre hat, gibt er freiwillig das Parteibuch zurück und alle noch vorhandenen Privilegien ab. Wir haben Sommerferien und Urlaubszeit. Ist es aus Umweltgründen vertretbar, in ferne Länder zu reisen? Es kommt darauf an, wie man reist. Ich werde mit dem Zug nach Österreich fahren, um wandern zu gehen. Das halte ich schon für vertretbar. Es ist vor allem dann ein Problem, wenn Menschen für drei Tage oder sogar nur für 24 Stunden einen Trip nach London oder Mallorca unternehmen. Wo machen Sie gern Urlaub? In den Bergen. Das Wandern habe ich voriges Jahr neu für mich entdeckt.

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