Roland Kaiser in Gütersloh zu Gast: "Ich bin ein gnadenloser Optimist"

Herr Kaiser, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Autobiographie zu schreiben? ROLAND KAISER: Viele meiner Freunde und Menschen in meiner Familie, denen ich Geschichten aus meiner Jugend erzählt habe, haben mir gesagt: Schreib' das doch mal auf, deine Kindheit ist doch sehr spannend, weil sie ein Spiegel der Zeit im Nachkriegs-Berlin bis zum Mauerbau und Fall der Mauer ist. Das habe ich zusammen mit der Journalistin Sabine Eichhorst getan und das hat viele Menschen dann ja auch interessiert. Sie haben nicht nur Selbsterlebtes beschrieben, sondern auch recherchiert und Dokumente dazu abgebildet, zum Beispiel die Rede John F. Kennedys mit dem berühmten Satz &bdquo;Ich bin ein Berliner“, die Sie selbst als Kind mitbekommen haben. Das war mir wichtig, dass wir das dazu geben, damit die Leser erkennen, dass wir uns mit dem Zeithintergrund beschäftigt und mit entsprechenden Zeitdokumenten unterfüttert haben. Lesen Sie auch: Roland Kaiser kehrt auf die Bühne zurück Wer Ihre Autobiographie liest, glaubt, dabei zu sein, so unmittelbar sind Ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Wie ist Ihnen das gelungen? Ich habe mit Sabine Eichhorst von Zeit zu Zeit immer wieder sehr lange gesprochen, um Stücke aus der Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. Wenn da jemand ist, der ständig nachbohrt und nachfragt, und man sich alte Fotos anschaut, dann setzen sich die Puzzlestückchen im Kopf wieder zusammen. Deshalb konnten wir meine Erinnerungen auch szenisch nacherzählen. Das war eine sehr spannende Arbeit. Eine Autobiographie bedeutet ja auch, Bilanz zu ziehen für das eigene Leben. Wie fällt Ihre Bilanz aus? Dürfen wir den Titel &bdquo;Sonnenseite“ beim Wort nehmen? Genauso ist die Bilanz ausgefallen. (lacht) Im Ernst: Es überwiegt eindeutig das Positive in meinem Leben. Mein Glas ist immer mindestens halbvoll, manchmal auch randvoll. Ich bin ein gnadenloser Optimist. Sind Sie von Ihrem Charakter her so optimistisch eingestellt oder hat das auch mit Ihren Erlebnissen zu tun? Ich war schon immer so, dass ich in Situationen, die manchen Menschen nur bedrohlich erscheinen, einfach sage: Okay, stelle das in Relation zu anderen Situationen, die noch schlimmer sein könnten, dann komme ich zu dem Schluss: Okay, ist doch nur halb so schlimm. Das ist meine Einstellung. Das ist mir angeboren. Oder angelebt. Ich glaube auch, dass diese Einstellung der Motor des Lebens ist. Denn wenn ich verzweifele, weil ich denke, dass diese Situation das Ende herbeiführt, höre ich doch auf zu kämpfen. Daher denke ich, dass das eine ganz gesunde Einstellung ist. Die kann man allerdings niemandem aufoktroyieren. Mit &bdquo;Sonnenseite“ standen Sie auch auf der Spiegelbestsellerliste für Sachbücher auf Platz 1. Bedeutet Ihnen diese Platzierung mehr als ein Top-Ten-Hit? Das ist eine Momentaufnahme. Das klingt nach einem abgeklärten Verhältnis zum Erfolg. Nein, das ist eher eine realistische Einstellung. Das ist eine Momentaufnahme, ich werde das nicht über ein Jahr lang sein. Irgendwann kommt glücklicherweise wieder ein neues Buch oder ein neues Album heraus, dann wird das alte Buch oder Album abgelöst. Das ist völlig normal.Ihr Buch hat auch Aspekte von Ihnen geschildert, die bislang nicht bekannt waren, zum Beispiel, dass Sie von einer Pflegemutter großgezogen wurden, von der Sie lange dachten, sie sei ihre biologische Mutter. Ist es Ihnen schwergefallen, über derart Persönliches zu berichten? Ich habe die Aspekte geschildert, die ich glaubte, schildern zu müssen, damit dieses Buch von einem Menschen erzählt, der sich auch mal zeigt und der sagt: So war mein Leben. Deshalb ist mir das auch nicht schwer gefallen. Ins Musikgeschäft sind Sie gekommen, weil Sie beweisen wollten, dass man dort ganz leicht bestehen kann, und das ist Ihnen mit dem auch nicht ganz easy zu singenden Elvis-Cover &bdquo;In the Ghetto“ auch gleich gelungen. Aber wären Sie wirklich seit mehr als 40 Jahren erfolgreich im Showgeschäft, wenn es tatsächlich so leicht wäre? Das war damals sicherlich ein Satz, der eher aus einer Leichtsinnigkeit geboren wurde, denn aus einer Missachtung der Leistung anderer. Nein, ich bin seit 48 Jahren dabei und das nicht ganz ohne Erfolg. Also hat das auch mit Arbeit zu tun und mit Leistungsfähigkeit. Gibt es ein Erfolgsrezept, um auch erfolgreich zu bleiben? Nein, das gibt es nicht. Ich glaube, das ist wie in allen Berufen eine Mischung aus Fleiß, Talent und Beharrlichkeit und auch der Redlichkeit gegenüber den Mitarbeitern wie auch dem Publikum. Das ist ein wichtiger Aspekt. Sie sind mit Abstand der erfolgreichste Schlagersänger, aber auch einer der wenigen, der noch große Hallen zu füllen vermag. Woran liegt das? Die Menschen kommen in unsere Konzerte, weil sie dort gute Unterhaltung erleben und weil sie sehen, dass wir uns bemühen, gute Arbeit zu liefern. Ich glaube, dass ist ein wichtiger Punkt, dass die Menschen wissen, dass sie nach einem unserer Konzerte mit einem guten Gefühl wieder nach Hause gehen. Sie zeigen sich verstärkt in den vergangenen Jahren offen für andere Stile und die Zusammenarbeit mit jungen Musikern wie Maite Kelly. Sehen Sie darin die Zukunft des Schlagers? Sie müssen generell eine gewisse Neugier behalten, deshalb interessieren mich neue Autoren. Wer nicht offen ist für neue Sounds, neue Entwicklungen, wird ganz schnell hintendran sein. Man muss nur darauf achten, bei allem Aktuell-Sein den eigenen Stil nicht zu verlieren. Das ist manchmal sicherlich nicht einfach, aber es geht. Ihr Buch wird gerahmt vom Corona-Comeback-Konzert auf der Berliner Waldbühne 2020. Viele Menschen haben damals bemerkt, wie wichtig ihnen die Kultur ist. Haben Sie den Eindruck, dass es auch die Politik das verstanden hat? In meinem politischen Freundeskreis hat man das verstanden, dass Kultur ein Grundbedürfnis ist und kein Luxusartikel. Der Kontakt zu Menschen hat auch vielen meiner Kollegen gefehlt, das ist ein wichtiger Teil in unserem Beruf, es ist sogar der wichtigste. In meiner Arbeit ist das Live-Konzert essenziell, erst danach kommt das Erstellen eines Albums und dann die Präsentation im Fernsehen. Durch Ihr Buch sind Sie auch als politisch interessierter Mensch in Erscheinung getreten. Sie selbst sind Mitglied der SPD seit 20 Jahren. Hätten Sie sich für sich auch eine Politkarriere vorstellen können? (lacht) Wenn Sie so sehr in einem Beruf stecken wie ich, wird alles Nebenher vernachlässigt. Wenn Sie Vollpolitiker werden wollen, müssen Sie den üblichen Weg gehen von der Lokal- über die Landes- bis zur Bundespolitik. In Deutschland ist das ein langer Weg und das ist auch gut so, denn Sie müssen lernen, wie Politik im Kleinen wie Großen funktioniert. Außerdem habe ich neben meiner Arbeit als Künstler auch sehr viel im sozialen Bereich zu tun, das sind Tätigkeiten, die sicherlich zwei Tage in der Woche beanspruchen. Also für eine Politkarriere ist es A) zu spät und B) habe ich die Zeit nicht. Warum ist Ihnen Ihr soziales Engagement so wichtig? Es ist meine Meinung, dass wir von unserem Publikum in die besondere Situation gebracht werden, dass wir sehr gut leben können, daher haben wir die Verpflichtung, den Menschen etwas zurückzugeben, denen es weniger gut geht. Das macht Freude und es ist mir wichtig, dass ich nicht nur sagen kann: Ich habe so und so viele Platten und Tickets verkauft, sondern ich konnte partiell ein bisschen Hilfe leisten. Stellen Sie sich unser Land ohne Ehrenamt vor – wie sähen wir da aus? Die Politik kann ich nicht alles leisten, deshalb ist es gut, dass wir ein Land voller Ehrenamtler sind. Ich sage es gerne so: Ein Land ohne Ehrenamt ist wie ein Klavier ohne schwarze Tasten. Weil ich zu den Menschen gehöre, die eine Stimme haben, die man hört, sollten wir uns auch um jene kümmern, die weniger Glück hatten als wir selbst. Ist dieses soziale Engagement durch Ihre Herkunft aus nicht ganz begüterten Verhältnissen begründet? Da sehe ich nicht unbedingt einen kausalen Zusammenhang. Das hat nicht unbedingt mit meiner Herkunft zu tun, sondern ist eher bedingt durch eine Erkenntnis, die man gewinnt. Man kann aus der Mitte der Gesellschaft oder sogar aus einem reichen Haushalt stammen und trotzdem die Erkenntnis haben: Ich habe eine Verpflichtung, mein Glück zu teilen. Es gibt ja auch viele große Unternehmer, die eine Stiftung gründen, um etwas Gutes zu tun. Vor unserer Haustür tobt gerade ein fürchterlicher Krieg. Sie haben das Nachkriegselend als Kind miterlebt. Was denken Sie, wenn Sie Bilder aus der Ukraine sehen? Bereitet Ihnen das Angst? Wer sich da keine Sorgen macht, der ist naiv. Natürlich mache ich mir Sorgen vor allem um meine Kinder und Enkelkinder, hoffend, dass die auch genau eine solche Phase des Friedens in Europa erleben dürfen wie wir. Wir haben eine lange Grenze, wo auf beiden Seiten atomare Kräfte wirken. Und wenn die aufeinandertreffen, wäre das fatal. Das ist eine weltpolitisch ausgesprochen schwierige Lage und fordert von allen Politikern Entschlossenheit, aber auch Fingerspitzengefühl. Man darf den Gesprächsfaden dabei nicht abreißen lassen, um überhaupt wieder aus dieser Situation kommen zu können. Sie haben Ihr Parteibuch aus den Händen des heutigen Kanzlers Olaf Scholz empfangen, der von verschiedenen Seiten bedrängt wird, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Sie kennen ihn persönlich, geht Ihnen seine Situation nahe? Und können Sie seine Zurückhaltung in dieser Sache nachvollziehen? Ich habe Olaf Scholz als sehr abwägenden Menschen kennengelernt, der nicht zu vorschnellen Entscheidungen neigt. Ich glaube, dass er sich nicht vorgestellt hat, gleich nach Übernahme des Kanzleramts in eine solche Situation zu kommen, dazu muss er auch noch die Last der Corona-Pandemie managen. Das ist alles nicht einfach. Da kann ich jede Form des Nachdenkens und Abwägens nachvollziehen, weil er das am Ende alleine entscheiden muss.Sie haben sich bei einer Anti-Pegida-Demonstration in Dresden auch gegen rechte Tendenzen ausgesprochen. Wie wichtig finden Sie es, dass auch Künstler politisch Haltung zeigen, auch auf die Gefahr, Fans zu verlieren? Wenn man mich nach meiner Meinung fragt, dann sage ich die und nehme auch keine Rücksicht auf merkantile Interessen. Ich bin dabei immer gut gefahren und es hat mir nie ein Fan übel genommen, dass ich mich einer demokratischen politischen Partei angeschlossen habe. Aber das muss jeder Künstler selbst wissen. Wenn das Kolleginnen und Kollegen nicht machen wollen, dann ist das ihr gutes Recht. Zurück zu Ihrem Beruf: Sie arbeiten an einem neuen Album. Was wird zu hören sein und wann soll es erscheinen? Die erste Single ist schon veröffentlicht, das Album wird im September erscheinen und &bdquo;Perspektiven“ heißen. Und sind dort wieder selbstgeschriebene Songs drauf? Nein, ich arbeite im Moment sehr viel mit jungen Autoren zusammen. Maite Kelly ist ein Beispiel, aber auch andere junge Komponistinnen und Komponisten. Da bin ich offen. Es zählt einzig die Qualität. Sie sind also nach wie vor kreativ und produktiv und zudem noch sehr gefragt? Können Sie sich vorstellen, einfach mal nichts zu tun und das Leben zu genießen? Ich werde sicherlich solange auf eine Bühne gehen und Alben produzieren, solange das die Menschen interessiert und sie noch meine Konzerte besuchen. Es ist also wie bei der Queen: Ein Kaiser kann nicht in Rente gehen? (lacht) Überhöhen Sie das bitte nicht. Aber es gibt einen gewaltigen Unterschied gibt es natürlich schon: Mich kann das Publikum abwählen. Die Queen kann nicht abgewählt werden.

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