Kampf gegen eigenen Körper: Parkinson-Patienten geben ehrliche Einblicke

Gütersloh. Auf den ersten Blick in die Sporthalle der Kapellenschule ist an diesem Tag eine Sportgruppe wie jede andere beim Tischtennisspielen zu sehen. &bdquo;Die sind doch alle viel zu jung, um Parkinson zu haben?“, ist mein erster Gedanke, als ich mit den Hobbysportlern ins Gespräch komme. Mein Onkel, der mit 90 gestorben ist, hatte Parkinson. Eine Alte-Leute-Krankheit, gegen die man nichts machen kann. So dachte ich. Zwei Stunden später hat sich mein Oberflächen-“Wissen“ grundlegend gewandelt. Heute, am Weltparkinsontag, rückt die Krankheit für einen Moment in den Fokus. Die Menschen, die hier bei &bdquo;Ping Pong Parkinson“ regelmäßig zusammen kommen, kämpfen täglich. Um ein lebenswertes Leben. "Ich habe es schon geahnt" Wie Thorsten Flues, Gründer der &bdquo;PPP“-Gruppe, die sich als Abteilung an den Verein DJK Avenwedde angehängt hat. Rund 100 dieser sportlichen Selbsthilfegruppen gibt es bereits in Deutschland. Flues, 55, war mal in einem früheren Leistungssportlerleben an Tisch eins das Aushängeschild des Tischtennisverbandsligisten DJK. Heute baut er für seine Hobbytruppe, die aus ganz Ostwestfalen zum Trainingstermin anreist, schon mal die Tischtennisplatten auf. &bdquo;Die ersten Anzeichen von Parkinson begannen bei mir 2017“, erinnert er sich, wie er damals einem leichten Zittern im Bein auf den Grund gehen wollte. Knapp zwei Jahre und mehrere Untersuchungen in der Neurologie der Uniklinik Münster später bekam er die Diagnose. &bdquo;Das war zu dem Zeitpunkt kein Schock mehr, weil ich es vorher schon ahnte“, sagt der Familienvater, der bei einer heimischen Bank im Vertrieb arbeitet, im Rückblick. Ziele: Deutsche Meisterschaft und WM So analytisch, wie er im Job die Finanzlage seiner Kunden betrachtet oder beim Training das Aufwärmprogramm mit viel Stretching anleitet, nahm sich der in Verl wohnende Sportler seine eigene Situation vor. &bdquo;Ich habe erst mal mit dem Tischtennis aufgehört, viel Physio, Gymnastik und Yoga gemacht“, sagt er. Als er von &bdquo;PPP“ hört, kehrt der Spaß am Tischtennis zurück, er gründet die Aktivengruppe, zu der auch zwei Menschen ohne Parkinson gehören. &bdquo;Jetzt sind wir schon 14 Leute“, sagt er stolz. Dass er amtierender dreifacher PPP-Weltmeister in Einzel, Doppel und Mixed geworden ist, erwähnt der Sportler nur am Rande. Die Medaillen hat er bei der WM der in drei Leistungsgruppen aufgeteilten Parkinsonpatienten im vergangenen Jahr gewonnen. &bdquo;Die Begegnungen und der Austausch mit den Leuten aus der ganzen Welt war viel wichtiger als der sportliche Erfolg“, relativiert er. In diesem Jahr will er wieder an der Deutschen Meisterschaft in Bad Homburg und an der WM in Kroatien teilnehmen. "Wir können alles außer Mikado" Seine Mitstreiter sind zwischen 50 und 80 Jahre alt. Sie alle eint, dass sie aktiv gegen diese degenerative Krankheit angehen, sich den von der strengen, notwendigen medizinischen Eigenversorgung geprägten Alltag nicht vermiesen lassen wollen. Das Gruppenerlebnis sei wichtig, sagt Ulla Hilse. Die 68-Jährige, die vor drei Jahren erkrankte, ist froh, einen Ausgleich zu Haushalt, Hund und der Pflege eines schwerstkranken Ehemannes zuhause gefunden zu haben. Die positive Stimmung, mit Gleichgesinnten etwas zu erleben und etwas für sich zu tun, ist spürbar. &bdquo;Wir können alles außer Mikado“, ist so einer der selbstironischen Sprüche, die während der Trainingsstunden mehr als ein Mal fallen. Flues spielt trotz der nur spärlich laufenden Heizung in der Halle &bdquo;in kurz“. &bdquo;Wenn ich Dich so sehe, zittere ich auch ohne Parkinson“, muss er sich anhören. Alle lachen. Es ist auch Galgenhumor dabei. &bdquo;Ohne den geht es nicht“, sagt eine alleinerziehende Mutter dreier Kinder.Lesen Sie auch: "Ärzte erklären mich für verrückt" - Powerfrau wird zum Pflegefall Angst vor Nachteilen im Job, doofen Sprüchen oder Mitleid Denn alle blicken einem ungewissen Schicksal entgegen, was Parkinson, ihr Feind im eigenen Körper, noch mit ihnen vorhat. &bdquo;Bei den einen geht es langsam, die einen landen bald im Rollstuhl, andere leben ewig lange damit“, sagt Thorsten Flues über diese &bdquo;Krankheit mit den hundert Gesichtern“. &bdquo;Es hilft ja nichts, sich selbst zu bejammern. Es muss ja weitergehen“, sagt eine Mitspielerin, die nicht namentlich genannt werden möchte. So wie bei jedem einzelnen Betroffenen die Krankheit anders verläuft, so unterschiedlich gehen sie auch damit in ihrem Umfeld um. Einige scheuen dieses Coming Out, befürchten Nachteile im Job, doofe Sprüche oder – noch schlimmer – Mitleid, das sie nicht gebrauchen können. Erst kommt das Zittern, dann die Steifheit &bdquo;Ich habe früh öffentlich gemacht, dass ich Parkinson habe“, sagt dagegen Thorsten Flues. Familie, Freunde und vor allem seinen Arbeitgeber und seine Kunden hat er informiert. &bdquo;Ich wollte nicht, dass die vor mir sitzen und mein Zittern als Nervosität, Abschlussdruck oder Alkoholproblem missinterpretieren“, erklärt er. Mit seinem lange überdachten Outing hat Flues gute Erfahrungen gemacht, ist auf viel Verständnis gestoßen bei Klienten und Kollegen gestoßen. Die Begleiterscheinungen von Parkinson bestimmen ihn und seinen Arbeitstag. Das fängt schon bei den Schlafstörungen in der Nacht an, weil es der Körper ohne die regelmäßige Medikamentendosis nicht aushält. Erst war es das Zittern, seit November kommt eine beginnende Steifheit hinzu, die das Krankheitsbild fast aller Parkinsonpatienten prägt. Gehirn-OP bei vollem Bewusstsein Auch beim Tischtennis kommen schnell Schmerzen auf, durch die sich die Mitspieler durchkämpfen, weil die Bewegung so wichtig ist. &bdquo;Stillstand ist Rückschritt“, sagt Ulla Hilse. Im Lauf der Zeit sind bei allen je nach Grad der Beschwerden langwierige, komplexe Therapien erforderlich. Physio- und Ergotherapie, aber auch Logopädie, weil das Sprechen bei vielen schwieriger werden kann. Dazu Sozialtherapie, um die Herausforderungen des Alltags zu meistern, und auch die Gespräche mit Psychologen sind immens wichtig, um mental mit den mal schleichend, mal in Schüben auftretenden &bdquo;Fortschritten“ von Parkinson klarzukommen. Phänomene wie das &bdquo;Freezing“, mitten im Gehen plötzlich nicht mehr weiter zu können, weil das Gehirn die Leitungen zu den Extremitäten kappt, sind solche Horrorvorstellungen, die alle plagen. Einige haben bereits eine komplizierte, bei vollem Bewusstsein durchgeführten Gehirn-OP hinter sich, bei der ein Gehirnschrittmacher punktgenau an zwei erbsengroßen Schnittstellen eingesetzt wird, mit dessen Hilfe Motorik und Steuerung in Gang gehaltenwerden. Bei vielen Parkinsonpatienten können zunehmend Schluckbeschwerden zur tödlichen Bedrohung werden. "Es gibt im Grunde nur ein Medikament" Sie alle hier in der PPP-Gruppe hoffen auch auf einen Durchbruch in der Medizin. Darauf, dass Forschungsgelder in diesen Bereich fließen, Ursachen und Wirkungen auf den Grund gegangen wird. &bdquo;Seit 50 Jahren gibt es da kaum Fortschritte, es gibt im Grunde nur ein Medikament“, sagt Flues. In diesem Moment piept irgendwo ein Handy.Die Erinnerung, dass es bei einem der Mitspieler Zeit für die Medikamenteneinnahme ist. Überlebenswichtig, weil sich die Dopamin-Tabletten nicht mit Eiweiß in Lebensmitteln vertragen und sie daher den Essrhythmus entsprechend darauf abstellen müssen. Genauso wie es darum geht, einen möglichst ruhigen, ausgeglichenen Alltag zu gestalten, gegen die immerwährende Müdigkeit wegen des mangelnden Schlafs anzugehen. &bdquo;Stress ist Gift“, zitiert Ulla Hilse eine Grundformel der Ärzte. Leben auf er Überholspur wird plötzlich gebremst Einer, der diesen Rhythmus nur zu genau kennt, ist Jörg Karenfort. Der gebürtige Gütersloher ist ein sehr erfolgreicher Rechtsanwalt in Berlin. Einer, der es unter anderem als international angesehener Spezialist für europäisches Kartell- und Vergaberecht gewohnt ist, hinter den Kulissen die ganz großen Räder in Straßburg und Brüssel mitzudrehen. Der Selfmademan, dessen Eltern das &bdquo;Brauhaus“ in Gütersloh seit Jahrzehnten betreiben, erkrankte vor Jahren selbst an Parkinson. &bdquo;Die ersten Monate waren ernüchternd, das ganze Leben wurde durcheinandergebracht“, beschreibt er, wie sein Leben auf der Überholspur fast auf null heruntergebremst wurde. Promis mit Parkinson-Patienten unterwegs Doch dann macht Karenfort das, was Anwälte eben besonders gut können: er fängt an, sich mit der Krankheit zu streiten. &bdquo;Wir brauchen Öffentlichkeit, um im Kampf gegen Parkinson etwas bewirken zu können“, sagt der Netzwerker, der sich in Berlin schon mal mit Jens Spahn zum Essen und Austausch trifft und dessen Nachfolger Karl Lauterbach als Gesundheitsminister erfolgreich in seine Lobbyarbeit eingebunden hat.Über die Stiftung &bdquo;Yuvedo“, deren Vorstandsvorsitzender er ist, sammelt Karenfort, der auch einen Lehrauftrag an der Universität Potsdam hat, Geld ein, das wiederum in die Forschung fließen soll. Benefizkonzerte oder Sponsoren-Radtouren, bei denen Promis mit Parkinsonpatienten über mehrere Tage unterwegs sind, gehören dazu. Die Zeit läuft &bdquo;Erstes Ziel müsse sein, diese neuro-degenerative Erkrankung überhaupt besser zu verstehen“, lautet sein Ansatz. Neue Medikamente seien in der Entwicklung, bis zur Marktreife können aber noch ein paar Jahre vergehen. Zeit, die die Sportler in der Sporthalle der Kapellenschule eigentlich nicht haben. &bdquo;Ich habe bei Leute kennengelernt, bei denen die Krankheit sechs Jahre lang kaum voranschritt – und im siebten Jahr saßen die plötzlich im Rollstuhl“, sagt Thorsten Flues. Ein Schicksal, gegen das er und seine Pingpong-Freunde weiter den Schläger in die Hand nehmen.

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