Keine Privatsache: Bau der Hagedorn Pferderanch geht uns alle an

Gütersloh. Es gibt einen neuen traurigen Rekord: Die Armutsquote in Deutschland ist gestiegen und liegt Studien zufolge aktuell bei 16 Prozent der Bevölkerung. Es seien vor allem Erwerbstätige, unter denen die Einkommensverlierer der Corona-Krise zu suchen sind. Bislang liegen nur Zahlen aus der Zeit vor der Pandemie vor. Nach Angaben des Statistischen Landesamts verfügen die Menschen im Kreis Gütersloh (2019) rein rechnerisch über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 25.606 Euro. Spitzenreiter im Kreis ist Rietberg (27.833 Euro), in Harsewinkel sind es dagegen gerade einmal 22.972 Euro. Bei Monatsverdiensten um die 2.000 Euro zahlt man in der Regel keine Strafzinsen an die Bank, weil sich zu viel Geld auf dem Konto sammelt. Das Problem ist aber dennoch da und es verändert unsere Stadt. Gütersloh ist milliardenschwer – im Kreis leben zwölf der reichsten Deutschen. Die aktuelle Nachricht der Europäischen Zentralbank (be)trifft sie und viele andere Wohlhabende: Die EZB belässt den Leitzins bei null Prozent. Wohin also mit dem Vermögen? Wir rauben uns aus - jeder schnappt sich so viele Quadratmeter, wie er kriegen kann Bauen hilft. Der Sektor boomt und Grundstücke sind teuer und begehrt wie nie. Würde unsere Umwelt nicht beschützt durch unsere Baugesetze, wäre der Ausverkauf der Natur in der jetzigen Phase wohl beschlossene Sache. Wir rauben uns aus. Jeder schnappt sich so viele Quadratmeter, wie er kriegen kann. Es ist die Zeit, in der Wünsche wahr werden, weil das Geld nichts wert und oft im Übermaß vorhanden ist. Eine eigene Pferderanch? Ein Traum! Barbara Hagedorn will ihn verwirklichen. Die Bürger gucken fassungslos zu. Es ist keine Neid-Debatte, die sich in diesen Tagen rund um das Grundstück an der Brockhagener Straße 285 in Bielefeld an der Grenze zu Isselhorst abspielt. Es ist eine Klimaschutzdebatte. Und im Kern eine Debatte um gesellschaftliche Gerechtigkeit, die heraufbeschworen wird, weil eine empfindliche Stelle unseres Zusammenlebens berührt wird. &bdquo;Warum darf die das?" fragt sich der Zuschauer staunend. Weil die zuständige Behörde es ihr genehmigt hat. &bdquo;Warum hat sie das?" Hierauf fehlt die Antwort. Lesen Sie auch: Trotz Baustopp per Gerichtsbeschluss - reger Betrieb auf Hagedorn-Ranch Tönnies hatte damals mehr Glück Clemens Tönnies hatte mehr Glück. Als er Ende der 1990er Jahre das Anwesen am Bänischsee in Rheda als entlegenes Idyll entdeckte und mit seinem Privathaus bebaute, war der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) noch zahm. Grundsätzlich durfte auch damals im Außenbereich nicht gebaut werden. &bdquo;Warum darf der das?" Weil die zuständige Behörde es ihm erlaubt hat. &bdquo;Warum hat sie das?" Ganz so zauberhaft ist das Grundstück in Holtkamp nicht. Aber ein Areal von 30.000 Quadratmeter zu ergattern, gleicht inzwischen einem Sechser im Lotto. Das Länderdreieck zwischen Gütersloh, Bielefeld und Steinhagen ist beliebt. Zwei Mitglieder der Familie Mohn wohnen hier, und nur einen Steinwurf entfernt erfüllte sich auch Werner Gehring einst seinen Lebenstraum mit der Errichtung des Gestüts Westfalenhof. Barbara Hagedorn ist nicht die Beklagte in diesem Verfahren Man kann den § 35 des Baugesetzbuches aushebeln. Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Bebauung des Außenbereichs gestattet werden. Die Hürden sind hoch. Sie haben schon so manchen verzweifeln lassen. Barbara Hagedorn weiß das. Sie ist Geschäftsführerin eines Bauunternehmens. &bdquo;Reitsportanlagen gehören wie andere Sportanlagen nicht zu den im Außenbereich privilegierten Vorhaben und zwar auch dann nicht, wenn sie von einem Landwirt betrieben werden" heißt es im Gesetz. Lesen Sie auch: Naturschützer ziehen gegen Bau von Pferde-Ranch von Familie Hagedorn vor Gericht Also muss man Wege finden, wenn ein Traum wahr werden soll. Barbara Hagedorn ist aber nicht die Beklagte in diesem Verfahren. Sollte das Verwaltungsgericht Minden feststellen, dass die SL Riding Ranch an dieser Stelle niemals hätte genehmigt werden dürfen, könnte Hagedorn gar Schadenersatz verlangen. Die Regresszahlung würde sich an die Stadt Bielefeld richten – wenn keine Versicherung dafür aufkommt, würden es am Ende Steuergelder sein, mit denen bezahlt würde. Gut möglich also, dass wir alle haften. Wie geht es jetzt weiter? Der am Montag verhängte Baustopp ist eine Zäsur. &bdquo;Wir werden heute die Baustelle aufräumen, Holz unter Dach stellen und morgen kommt ein Bauzaun um das Baufeld", erklärte die Bauherrin am Donnerstag. Da hatte der BUND bereits den Oberbürgermeister informiert, weil noch zahlreiche Arbeiter am Werk waren. Und die Isselhorster hatten zuvor gar die Gütersloher Verwaltung und Politik gebeten, sich einzumischen in den Streit. Holtkamp gehört kirchlich seit jeher zum evangelischen Kirchspiel Isselhorst und damit trotz jahrzehntelanger Gebietsreform im Geiste zu Gütersloh, nicht Bielefeld. Wie geht es jetzt weiter? Ein Rückbau bis hin zur Wiese, die hier einmal war? Ein amüsanter Gedanke, der kaum vorstellbar ist. Aus Gründen des Klimaschutzes aber müsste genau dieses erfolgen, wenngleich das Biotop auf Jahre hinaus zerstört ist. Bauen im Landschaftsschutzgebiet muss tabu sein, und um dieses Ausrufezeichen auch für hoch bezahlte Anwälte deutlich zu setzen, müsste jeder einzelne Grashalm mit einer Entschuldigung an seinen Platz zurückgesetzt werden. "Somit brauchen wir die grüne Wiese nicht mehr anfassen" Wir verhöhnen uns selbst, wenn mit der Umsetzung privater Wünsche die definierten Lebensgrundlagen aller anderen Bürger entzogen werden dürfen. Die Stadt Bielefeld hat den Klimanotstand erklärt und die Eindämmung der Klimakrise als Aufgabe von höchster Priorität anerkannt. Und der Hohn geht weiter: In einem öffentlichen Podcast erklärt Barbara Hagedorn am 12. Oktober (saatkorn.de) die &bdquo;DNA der Firma Hagedorn" in drei Worten: &bdquo;Ehrlich, fair, verbindlich." Dieser Wertekodex würde vorgelebt. Die Revitalisierung von Großgrundstücken gehöre inzwischen zum Hauptgeschäft. Flächenrecycling nenne sich das. &bdquo;Somit brauchen wir die grüne Wiese nicht mehr anfassen."

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