Kommunikation ist alles - was wir aus dem Fall Tönnies lernen können

Die Bevölkerung sieht viele Aspekte rund um Corona anders als die Politik. Sie ist kritischer denn je. Kann man es den Leuten aktuell überhaupt noch recht machen? Stefan Collet: Gerade wenn eine Krise lange dauert, entsteht eine regelrechte Müdigkeit. Die Corona-Pandemie begleitet uns mittlerweile seit über einem Jahr. Diese Müdigkeit ist nun eingetreten und gefühlt fruchten getroffene Maßnahmen weniger als noch im März 2020. Wir erleben jeden Tag neue Entwicklungen, zudem wird sehr zahlenbasiert und technisch kommuniziert. Es ist daher nur verständlich, dass die Menschen irgendwann abschalten und sich deren Blick auf die komplette Situation ändert. Insofern kann man es den Menschen aktuell kommunikativ nur sehr schwer recht machen. Die Ursache dafür liegt aber nicht in der Bevölkerung selbst. Bedeutet das, wir befinden uns in einer Phase, in der sich beispielsweise der Kreis kommunikativ über die Bürger hinwegsetzen sollte? Collet: Nein, es geht nur miteinander. Aber in einer Krise müssen Regeln, Botschaften und Strukturen klar kommuniziert werden. Aktuell erleben wir aber immer wieder, dass dies mitnichten so einfach ist. Noch vor ein paar Wochen schien es so, als würden wir Corona mit den Impfstoff-Zulassungen endlich langsam in den Griff bekommen. Dann taucht plötzlich eine Mutante auf oder – um lokal zu bleiben – wir erleben einen massenhaften Corona-Ausbruch bei Tönnies im letzten Jahr. Was machen wir also jetzt? Das ständige Reagieren auf neue Ereignisse macht es schwer, bei klaren Regeln, Botschaften und Strukturen zu bleiben. Daher bewegt sich die politische Kommunikation auf einem sehr schmalen Grat. Können Sie das ausführen? Collet: Es geht darum die richtige Mischung zwischen Verboten und Geboten zu finden. Es macht einen sehr großen Unterschied zwischen: &bdquo;Zu deinem eigenen Schutz verbiete ich dir, das Haus zu verlassen" und &bdquo;Zu deinem eigenen Schutz, rate ich dir, das Haus nicht zu verlassen". In der Botschaft ist die Aussage gleich: Bleibt Zuhause. Mit Blick auf das Bild des mündigen Staatsbürgers ist sie grundverschieden. Warum fruchten die Appelle der Politik nicht? Collet: Naja, zunächst darf man nicht vergessen, dass der Kurs unserer politischen Eliten uns, verglichen mit vielen anderen Staaten weltweit, sehr lange ziemlich gut durch die Krise navigiert hat. Deutschland galt lange Zeit als einer der Musterschüler, in dem die Appelle und damit die Kommunikation sehr wohl fruchteten. Durch die Krisenmüdigkeit, wirtschaftliche Existenzängste und natürlich immer wieder auftretende Skandale (Corona-App-Debakel, Impfstoff-Pannen, Maskendeal-Desaster) hat sich das zunehmend gedreht. Hinzu kommt, dass den Menschen immer klarer wird, dass Politiker in der Corona-Thematik keine Experten sind. Sie spielen auf die Virologen an. Collet: Politiker müssen sich ganz eindeutig auf die Wissenschaft verlassen und darauf verweisen, Platons Philosophenherrschaft lässt grüßen. Ich denke, es würde – trotz großer Unsicherheit in der Bevölkerung – mit Blick auf die Glaubwürdigkeit politischer Kommunikation sehr helfen, wenn Politiker stärker betonen, nicht immer den idealtypischen Weg zu kennen und auch Fehler eingestehen. Hier ist Menschlichkeit gefragt. So wie kürzlich Angela Merkel, als sie sich öffentlich entschuldigte und den Ruhetag an Ostern gekippt hat? Collet: Ja, das war aus meiner Sicht keine Schwäche, sondern zeugt von Stärke. Sie war nahbar und authentisch. Aber vor allem hat sie damit Demut bewiesen. Es klingt banal und abgedroschen, aber oft sind die einfachen Dinge im Leben, die richtigen: Um Menschen zu erreichen, sollten Politiker gerade in Krisenzeiten authentisch und transparent kommunizieren und die Bürger auch emotional mitnehmen. Das Ohr nah am Bürger zu haben, eine gewisse Einsicht zeigen und auch Fehler einzugestehen gehört ebenso dazu. Das alles setzt allerdings eine hohes Reflektionsniveau und ein ausgeprägtes kommunikatives Fingerspitzengefühl voraus. Sie haben die Firma Tönnies eben schon angesprochen. Wie würden Sie die Krisenkommunikation des Unternehmens bewerten? Collet: Es gibt gewisse Dinge, die man in der Krisenkommunikation vermeiden sollte: den Fehler bei anderen suchen, halbherziges Einlenken, Probleme kleinreden oder etwa zu spätes Agieren. Das eine oder andere davon findet man auch in der Kommunikation von Tönnies wieder, zum Beispiel die wirren Aussagen um das Kantinen-Video oder die unvollständige Übergabe der Personalakten an die Behörden. In der Kommunikation und insbesondere in Krisenzeiten gilt mehr denn je die Regel: &bdquo;PR ist nicht, was man sagt oder schreibt. Sondern was man tut." Muss man dabei differenzieren zwischen Corona-Ausbruch und Generalkritik an der Fleischindustrie? Collet: Absolut, denn natürlich hat sich hier der ganze Frust über Arbeitsbedingungen und Tierwohl vermischt und an der aktuellen Krise entladen. Was hätte in der Kommunikation besser laufen können? Collet: Hinterher ist man immer schlauer, insofern ist die Betrachtung im Nachhinein natürlich einfach. Man vergisst dabei schnell den höllischen Kommunikationsaufwand, den man im Krisenmodus ausgesetzt ist und der an die Nerven geht. Dennoch gibt es aus kommunikativer Sicht einige Punkte, die man kritisch betrachten muss: Zunächst muss man sagen, dass gerade in Krisenzeiten Zusammenhalt gefragt ist. Probleme löst man intern und tritt dann in der Kommunikation geschlossen nach außen auf. Das ist bei Tönnies seit jeher nicht der Fall, wie man am offenen Brief von Robert Tönnies erneut sehen konnte. Weiter muss Tönnies sich die Frage gefallen lassen, ob die Kommunikationsfrequenz und -varianten ausreichend waren und den Alarmsignalen in Form von aufkommender negativer Berichterstattung genug Beachtung geschenkt wurde. War man kommunikativ zu zurückhaltend? Collet: In der Krisenkommunikation kommt es vor allem auch auf Schnelligkeit an. Es entscheiden mitunter Minuten darüber, die Deutungshoheit in der Hand zu behalten – auch wenn noch nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen. Darauf muss man dann mit dem Kommunikationsevent natürlich hinweisen. Die öffentliche Entschuldigung von Clemens Tönnies war sicherlich das wirksamste Kommunikationsmittel. Aber selbst dabei konnte man zweifeln, denn die Firma erweckte nicht unbedingt den Eindruck von Schuldbewusstsein – untermauert durch die unabhängige wissenschaftliche Bestätigung, dass die Viren sich über die Klimaanlage verteilt haben. So bleiben natürlich Zweifel an der Glaubwürdigkeit haften, tatsächlich Dinge ändern zu wollen, die Tönnies selbst im Nachgang noch zusätzlich befeuert. Etwa mit dem rechtlich völlig sauberen aber moralisch fragwürdigen Vorstoß, sich Löhne für die Quarantänezeit über das Infektionsschutzgesetz vom Staat zurückzuholen. Hätten Sie Clemens Tönnies zum Rücktritt geraten? Collet: Wenn du Mist gebaut hast, dann musst du dafür geradestehen. Das ist ja auch gleichzeitig eine Chance sich zu verändern. Und gerade Läuterungen, Stichwort Demut, haben einen hohen kommunikativen Stellenwert. Insofern hätte ich ihm nicht zum Rücktritt geraten, sondern dazu, die Probleme rund um den Konzern proaktiv anzugehen, dauerhaft öffentlichkeitswirksam in den Dialog mit den Stakeholdern zu gehen und nicht erst auf Druck von außen. Kürzlich kamen Gerüchte um einen Verkauf des Konzerns auf. Ist das nach all den Verfehlungen des Unternehmens der letzte Ausweg aus der Krise? Möglicherweise sogar mit einer Änderung des Markennamens? Collet: Bisher sind das alles Gerüchte. Und auch hier gilt: keine Themen vermischen und projizieren. Insofern sehe ich die Verkaufsgerüchte erst mal unabhängig vom Corona-Skandal und dem daraus resultierenden Reputationsschaden. Eine Änderung des Markennamens ist zunächst auch nur kommunikative Kosmetik, die zudem auch mit hohen Kosten verbunden sein kann. Langfristig wäre das auch nur dann wirklich imagefördernd, wenn sich das Unternehmen auch mit einem veränderten Markenkern aufstellen würde. Was wäre ihr Lösungsansatz? Collet: Auch das klingt wieder banal: offen und ehrlich sein. Genau wie in einer Beziehung. Wenn ich fremdgeknutscht habe, dann wird es mir am ehesten verziehen, wenn ich meinen Fehler eingestehe, Besserung gelobe und auch danach handele. Versuche ich es zu vertuschen und suche ich Ausreden oder bei anderen die Schuld, dann fliegt mir mein Vergehen vermutlich früher oder später um die Ohren. Kann sich Tönnies überhaupt noch von dem aktuellen Imageschaden erholen? Collet: Wenn die Menschen sehen, dass sich konkret etwas ändert, dann ist der Imageschaden auch reparabel – auch wenn das Jahre dauern kann. Dazu darf Tönnies sich nicht verstecken, sondern muss kommunikativ nach vorne gehen und Schritt für Schritt bei allen Stakeholdern wieder Vertrauen aufbauen. Mit welchen Bausteinen das gelingen kann, zeigt etwa der Tönnies-Dialog oder aber die jüngste Meldung, dass das Unternehmen die beim Kreis entstandenen Kosten für die freiwillige Corona-Testung der Bevölkerung während des Ausbruchs übernommen hat. Bei aller Kritik muss man aber auch ganz klar festhalten: Es ist einfach mit dem Finger auf Tönnies zu zeigen und dort Schuldige auszumachen und gleichzeitig sein 50-Cent-Steak auf den Grill zu schmeißen. Wenn sich grundsätzlich im System der Fleischindustrie etwas ändern soll, ist das keine Tönnies-Debatte, sondern eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, die geführt werden muss. Und da muss sich vor allem auch jeder einzelne über seinen eigenen Fleischkonsum Gedanken machen.

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