Doppelinterview mit Süß und Morkes: "Also ich bin noch in Schockstarre"

Frau Süß, Herr Morkes – die Kommunalwahl hat Ihnen beiden neue Aufgaben beschert: Sarah Süß aus Steinhagen ist mit 28 Jahren die jüngste Bürgermeisterin im Kreis Gütersloh und Norbert Morkes ist mit 69 Jahren der älteste Bürgermeister im Kreis. Sind Sie beide sich in ihren neuen Funktionen schon einmal begegnet? Sarah Süß: Live noch nicht. Nur bei einer Videokonferenz. Norbert Morkes: Da hattest Du aber einen anderen Pullover an... – das war bei der Bürgermeisterkonferenz. Süß: Es sind im Moment wirklich viele Videokonferenzen... Morkes: ...da wirst Du rammdösig. Ich habe vor diesem Treffen nicht gegoogelt: Was hast Du bisher gemacht? Süß: Ich war Rechtspflegerin am Amtsgericht in Halle. Seit 2017 bin ich Mitglied der SPD. Morkes: Und dass Du einmal Bürgermeisterin wirst, hast Du Dir auch nicht träumen lassen, oder? Süß (lacht): Das ist irgendwie so passiert. Morkes (nickt): Also ich bin noch in Schockstarre. Und jetzt sollen sogar Autogrammkarten von mir gemacht werden. Erzählen Sie mal, wie war denn ihr Start ins Amt? Süß: Es war schon ein etwas undankbarer Start, da alles von Corona überschattet war. Aber mein Vorgänger Klaus Besser hat mit mir eine nette Runde durch das Rathaus gemacht und mir alle Mitarbeiter vorgestellt. Ich war auch in den Wochen vor Amtsantritt täglich im Rathaus. Klaus Besser hat mir alle Unterlagen gezeigt, die er mir dalässt. Und bei schwierigen Sachen hat er mir Tipps gegeben, wer mir dazu was sagen kann. Ich bin sehr dankbar, dass das so stattgefunden hat. Ihm war auch einfach daran gelegen, dass es gut weitergeht. Klaus Besser hat mir auch angeboten, dass ich ihn bei Fragen jederzeit anrufen kann. Bisher habe ich das aber noch gar nicht in Anspruch genommen. Morkes: Leider gab es keine wirkliche Übergabe. Stattdessen gab es ein formloses Gespräch mit meinem Vorgänger Anfang November. Ein wenig hilft mir, dass ich während 20 Jahren politischer Arbeit die andere Seite kennengelernt habe. Ich habe mich aber sehr gefreut, dass ich von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit offenen Armen empfangen und mit allen notwendigen Informationen versorgt worden bin. &bdquo;Ich war bisher eine absolute Frühstarterin" Was waren ihre ersten Aufgaben? Morkes: Ich hatte mir für den Start drei wichtige Aufgaben gestellt: Das Gespräch mit den neuen Eigentümern von Karstadt. Ein Gespräch mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zum Stand der Dinge beim Flughafen. Und ich habe mich mit sämtlichen ITlern der Stadt zusammengesetzt und mit ihnen über den sogenannten Digitalen Aufbruch gesprochen. Und bin von Tür zu Tür gegangen und habe mich allen vorgestellt. Hast Du eigentlich einen Einstand gegeben? Süß: Ich hatte mir eigentlich überlegt, ein Kuchenbuffet zu machen. Da das aber Klaus Besser zum Abschied gemacht hat, und ich gleich im Lockdown light gestartet bin, hoffe ich, dass ich meinen Einstand im nächsten Jahr nachholen kann. Frau Süß, hatten Sie bei Amtsantritt auch drei Big Points, die Sie gleich angehen wollten? Süß: Nein, es gibt da keine Riesen-Baustelle. Ich habe mich mit allen Ämtern zusammengesetzt. Ein großes Projekt ist sicherlich der Neubau der Grundschule Brockhagen. Und auch die Bielefelder Straße, bei uns der Autobahnzubringer, ist immer wieder Thema. Die neue Aufgabe hat ihrer beiden Leben verändert – Herr Morkes, Sie müssen jetzt doch sicher früher aufstehen, oder? Morkes: Wohl wahr. Ich stehe gegen sieben, halb acht auf und bin dann um halb neun, neun im Büro. Süß: Ich war bisher immer eine absolute Frühstarterin und schon um 6.30 Uhr im Gericht. Ich fange jetzt später an. Und wann ist dann Feierabend? Süß: Man hat eigentlich keinen Feierabend – wenn ich abends einkaufen gehe ... Morkes: ...dann ist Bürgersprechstunde im Supermarkt... Süß: ... im Moment wird mir immer noch gratuliert, aber das wird sich vermutlich noch ändern und die Leute erzählen von ihren Sorgen und Nöten. Morkes: Für einen Bürgermeister ist es ganz wichtig, dass er zuhören kann. Frau Süß, haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie aufgrund ihrer Jugend nicht ernst genommen werden? Süß: Am Anfang des Wahlkampfs hieß es wirklich: Die ist doch viel zu jung. Und die kommt noch nicht mal von hier. Morkes: Wieso, wo bist Du denn aufgewachsen? Süß: In Hamm. Ich bin erst 2015 nach Steinhagen gekommen. Also am Anfang war das Alter schon ein Thema. Aber bald lautete die Frage nur noch: Was machen Sie eigentlich beruflich? Als ich dann zur Bürgermeisterin gewählt war, kam dann auf einmal das große mediale Interesse – so jung und dann noch ’ne Frau. Das zeigt natürlich, dass das immer noch nicht normal ist. Aber man sieht in politischen Gremien ja auch so gut wie keine jungen Frauen. &bdquo;Ich bin ein Bürgermeister in Ausbildung" Aber viele alte Männer. Morkes: Dankeschön! Süß: Vielleicht macht mein Beispiel ja anderen jungen Frauen Mut. Und Herr Morkes, wie oft werden Sie noch gefragt, ob Sie nicht zu alt für das Bürgermeisteramt sind? Morkes: Ich sage dann immer: Phil Collins macht nächstes Jahr ne Abschiedstournee und Mick Jagger geht auch noch auf die Bühne. Schaut Euch Joe Biden an, Konrad Adenauer – das Alter ist relativ, es steht nur auf dem Papier. Ich fühle mich fit und empfinde das Amt nicht als Anstrengung. Wenn ich durch die Stadt gehe, heißt es ,hey, Nobby’, ich werde getragen von einer Welle an Sympathie – mal sehen, wie lange das anhält. Sie haben ja beide ein wenig Bühnenerfahrung – hilft das in ihrem neuen Amt? Süß: Auf der Bühne stehen wir in der aktuellen Situation ja eher wenig... Aber mir hat die Zeit als Heidekönigin in Steinhagen 2016 auf jeden Fall geholfen, jetzt selbstsicherer aufzutreten. Autogrammkarten hatte ich da übrigens auch schon. Es wird ja niemand als Bürgermeister geboren – egal wie alt man ist, man muss sich da reinfinden. Morkes: Deshalb sage ich ja auch überall immer noch: Ich bin ein Bürgermeister in Ausbildung. Das Thema Digitalisierung ist derzeit in aller Munde, Gütersloh steht gar für den &bdquo;Digitalen Aufbruch"? Wie gehen sie als &bdquo;Digital Native" dieses Thema an, Frau Süß? Süß: Ich glaube, um ein Digital Native zu sein, bin ich ein, zwei Jahre zu alt. Morkes (amüsiert): Hör dir das an, zu alt! Süß: Es stimmt, ich bin schon mit dem Internet aufgewachsen. Und durch Corona ist die Digitalisierung wirklich voran gekommen – in Steinhagen werden wir im Bürgerservice noch mehr Online-Leistungen anbieten. Im Wahlkampf konnte ich digital viele Menschen erreichen, das möchte ich beibehalten, und über Kanäle wie Facebook über die Arbeit im Rathaus informieren. Aber bei Tiktok und Snapshat bin ich raus. Morkes: Politik muss ja auch seriös rüberkommen. Aber zum Stichwort Digitaler Aufbruch: Bevor man den nach außen mit Sturmglocken einläutet, muss man in der Verwaltung auch die Voraussetzungen dafür schaffen. Wir haben noch viel vor bei der Digitalisierung von Schulen. Deshalb habe ich mich ja auch als erstes mit den ITlern zusammengesetzt. Süß: Genau, bevor man alle Schüler mit I-Pads ausstattet, muss erstmal die Breitbandversorgung gegeben sein. Wir haben in Steinhagen einen Medienentwicklungsplan, den arbeiten wir nach und nach ab. Morkes: Und natürlich braucht man dafür auch Mitarbeiter – allein schon, um die Schulen zu betreuen. Süß: In Steinhagen haben wir einen IT-Hausmeister für alle Schulen – da müssen wir dringend noch mehr Stellen schaffen. Morkes: Das wird auch Thema in meiner Haushaltsrede sein. Schreiben Sie die selbst? Morkes: Aber selbstverständlich, ich habe meinen eigenen Stil. Ohne Verwaltungssprache, offen, ehrlich und direkt. Süß: Meine erste Haushaltsrede vorzubereiten und alles so in Worte zu fassen, dass auch andere das verstehen, war schon eine Herausforderung. Haben die Kommunen in Zeiten der Pandemie überhaupt noch Handlungsspielräume oder sind sie von den Beschlüssen des Landes oder des Bundes abhängig? Süß: (energisch) Beschlüsse? Es wäre schon schön, wenn wir die bekämen. Es macht mich wütend, wenn ich im Fernsehen eine Pressekonferenz sehe, wo etwas verkündet wird und wir in den Kommunen haben überhaupt nichts schriftliches dazu vorliegen. Mich fragen dann Einzelhändler per Mail, ob sie ab Mittwoch schließen müssen und wir können dazu nichts sagen. Morkes: Da werden Freitagsmittags Schulschließungen ab Montag verkündet und die Schulen wissen noch nicht Bescheid. Aber allen Vorgaben zum Trotz, an die wir uns halten, haben wir auf lokaler Ebene noch Gestaltungsmöglichkeiten. Nachdem ich gesehen hatte, wie voll es in der Innenstadt war, habe ich mit unserem Ordnungsamtsleiter eine Maskenpflicht in der Innenstadt beschlossen. Als die wirksam wurde, bin ich selbst mal durch die Innenstadt gegangen, habe vereinzelt Menschen angesprochen, aber die Gütersloher waren da alle sehr einsichtig und diszipliniert. Süß: Das habe ich bei uns in Steinhagen auch beobachtet – auf dem Wochenmarkt, wo wir zuletzt auch immer zwei Weihnachtsmarktstände hatten, habe ich auch keine Maskenverstöße gesehen. Kommt bei Ihnen Weihnachtsstimmung auf? Süß: Da bin ich noch gar nicht zu gekommen... Aber ich habe ein schönes Motiv für meine Grußkarten ausgesucht – eine verschneite Ansicht von Steinhagen. Morkes: Ich war dieses Jahr so früh wie nie mit meiner Weihnachtspost – der privaten. Ich schreibe immer mit grüner Tinte. Ich denke, wir müssen den Menschen zeigen, dass es in diesem Jahr noch etwas anderes gibt als Corona. Ich habe im Blue Fox mit meiner Amtskollegin Sabine Amsbeck-Dopheide aus Harsewinkel Weihnachtslieder eingesungen – White Christmas und Jingle Bells. Die können im Internet abgerufen werden. Süß: Es gibt viele kreative Ideen – wir haben beispielsweise unseren literarischen Adventskalender digital stattfinden lassen – immerhin zwei Folgen bis zum Shutdown. Wie werden sie Weihnachten feiern? Süß: Ein großes Familientreffen wird es nicht geben – obwohl ich schon überlege, ob man da nicht über Zoom etwas machen kann. Aber ruhig und besinnlich wird es trotzdem schön. An Heiligabend sind mein Mann und ich immer zu zweit – dann wird aufwendig gekocht. Meine Eltern und Schwiegereltern werden wir an Weihnachten ebenfalls sehen. Morkes: Bei uns gibt es Heiligabend traditionell Gänsekeule mit Rotkohl und Klößen von Mutti. Meine Mutter ist mit ihren 102 Jahren &bdquo;fit wie Schmidt", sage ich immer. Außerdem feiere ich mit meinen Kindern Lara und Felix und dem Vater meiner verstorbenen Frau Susanne. Am ersten Feiertag bin ich bei meiner Freundin Sabine.

Meistgelesen