Nach Corona-Gau bei Tönnies: Platzt das geplante Gesetz für Arbeiter?

Gütersloh/Berlin.Seit dem Corona-Ausbruch bei Tönnies im Sommer steht fest: Die Bundespolitik will schärfere Regeln für die Fleischindustrie, um die Arbeitsbedingungen dort zu verbessern. Entwickelt wird das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz. "Wir sind uns mit der SPD einig, dass das Gesetz in diesem Jahr kommen und im nächsten Jahr in Kraft treten muss", so CDU-Bundesfraktionschef Ralph Brinkhaus. Beim Schlachten, Zerlegen und Verarbeiten soll es ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit geben. Konzerne wie Tönnies werden zur Umsetzung bestimmter Anforderungen in Gemeinschaftsunterkünften verpflichtet. Die digitale Arbeitszeiterfassung für die Branche soll kommen, auch wird die Arbeitszeit künftig schon in den Umkleideräumen beginnen. Und es ist eine Mindestquote für Arbeitsschutzkontrollen vorgesehen. Die Wurstproduzenten fallen plötzlich auch unter das neue Gesetz Ein Punkt aber schmeckt der Union im Gesetzesverfahren nicht, was dazu führt, dass das Gesetz in der kommenden Woche nun doch nicht wie geplant verabschiedet wird. Die Wurstbranche soll mit in den geplanten Geltungsbereich des Arbeitsschutzkontrollgesetzes genommen werden. Ernste Verstöße gegen die Arbeitsbedingungen bei Wurstproduzenten hat es gar nicht gegeben, aber "wir müssen den Sumpf in Teilen der Fleischindustrie mit diesem Gesetz richtig austrocknen und dürfen nicht dem Versuchen der Lobbyisten nachgeben, Schlupflöcher in das Gesetz zu formulieren", sagt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Er sieht die konkrete Gefahr, dass Werkvertragsarbeiter durch Leiharbeiter ersetzt werden. Die Wursthersteller sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt und haben die CDU auf ihrer Seite. "Wir haben in ganz Deutschland viele mittelständische Wurstbetriebe, die bei Auftragsspitzen etwa in der Grillsaison auf die Zeitarbeit unbedingt angewiesen sind", so Brinkhaus. "Wenn wir denen die Flexibilität nehmen, dann beschädigen wir Mittelständler." Der Blick richtet sich auf Unternehmen wie die Paul Daut GmbH in Rheda-Wiedenbrück, Reinert und Wiltmann in Versmold oder etwa Kleinemas in Verl. "Auch wir stehen der Abschaffung der Zeitarbeit kritisch gegenüber", sagt Geschäftsführer Dirk Kleinemas. Es würde gerade in der Wurstherstellung die Flexibilität verloren gehen - ein sehr wichtiger Faktor bei der schwankenden Nachfrage von Artikeln, die nicht auf Vorrat produziert werden könnten. Kleinemas setzt nach eigenen Aussagen keine Werkvertragsarbeiter ein. "Bevor auch die Zeitarbeit abgeschafft wird, sollten erst die Auswirkungen des Werkvertragsverbots über einen Zeitraum beobachtet werden." Bei Wiltmann in Versmold-Peckeloh wünscht man sich ein Weniger an Pauschalisierung. Geschäftsführer Ingmar Ingold: "Gegenwärtig werden getrennte Wertschöpfungsstufen miteinander vermengt, in denen völlig unterschiedliche Arbeitsbedingungen vorherrschen." Auch sollte stärker differenziert werden zwischen Kernbereichen der Tätigkeit einerseits und peripheren Tätigkeiten wie Verpacken, Logistik und Reinigung andererseits. "Warum sollte das Verpacken von Käse anderen arbeitsrechtlichen Bestimmungen unterworfen sein als Verpacken von Wurst?" Werden Werkverträge durch Zeitarbeiter ersetzt? Ralph Brinkhaus: "Wir sind bereit, den erforderlichen Einsatz der Zeitarbeit bei den Mittelständlern so zu begrenzen, dass Missbrauch verhindert wird." Gedacht ist etwa an eine Quote. Die SPD ist strikt dagegen. Die Gewerkschaften auch. Elvan Korkmaz-Emre MdB (SPD) und Gewerkschaften schickten am Dienstag einen offenen Brief an Brinkhaus: "Wir appellieren an Sie und Ihre Fraktion, keine weiteren Verzögerungen und schon gar keine Verwässerungen des Gesetzentwurfes zuzulassen." Selbst die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) wirft der Union vor, "menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie zu verhindern". Die CDU/CSU-Fraktion knicke vor der Fleisch-Lobby ein. Tönnies selbst teilt die Sorge der Wursthersteller: "Beim Arbeitsschutzkontrollgesetz haben wir zwei Kritikpunkte: Durch das Kooperationsverbot wird es vor allem für mittelständische Betriebe sehr schwierig, sich betriebswirtschaftlich gegen die Konkurrenz aus dem europäischen Ausland zu behaupten. Der zweite Kritikpunkt: Der Fleischverzehr unterliegt einer starken saisonalen Schwankung. Im Frühjahr und Sommer wird mehr gegrillt, als im November. Daher brauchen wir eine Flexibilität in der Produktion." Konzernsprecher André Vielstädte betont derweil, dass die Abschaffung der Werkverträge in den Kernbereichen der Schlachtung und Zerlegung bis zum 1. Januar 2021 an den deutschen Standorten stattfinde. "Dieser Prozess läuft und wird von uns unabhängig von der Entscheidung des Bundestages umgesetzt." Die CDU hat sich im Sommer rund um Tönnies weit aus dem Fenster gelehnt Einer, der das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren in Berlin gerade genau beobachtet ist Volker Brüggenjürgen. Der Ratsherr (Grüne) aus Rheda-Wiedenbrück und Caritas-Vorstand für den Kreis Gütersloh engagiert sich seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen der südosteuropäischen Tönnies-Arbeiter. "Dieser Skandal der maximalen Ausbeutung von Werkvertragsbeschäftigten in der Fleischindustrie muss endlich beendet werden! Es ist schon sehr enttäuschend, dass die Lobbytruppen eine dringend notwendige gesetzliche Veränderung immer weiter verzögern. Aber ich vertraue auf die festen Zusagen von Merkel, Brinkhaus und Laumann diesen jahrzehntelangen Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit endgültig zu verbieten." Schließlich hätten sich diese Unionspolitiker während des Desasters um den Corona-Ausbruch bei Tönnies mit Zusagen weit aus dem Fenster gelehnt. "Dabei sieht man doch schon jetzt bei Tönnies die ersten positiven Veränderungen für die Beschäftigten, wenn sie normale Arbeitsverträge erhalten." Auch Volker Richter (SPD), der den Runden Tisch zur Verbesserung der Situation der Werkvertragsarbeiter in Gütersloh leitete, möchte das angestrebte Gesetz jetzt umgesetzt sehen: "Weder die Selbstverpflichtung der Fleischindustrie noch bisher erfolgte gesetzliche Regelungen, beispielsweise der Mindestlohn, haben Abhilfe in der Problemlage insgesamt erbracht. Insofern hat es genügend Chancen und Möglichkeiten und auch genügend Zeit gegeben, Alternativen zu entwickeln. Dieses ist nicht hinreichend passiert. Jetzt ist der Gesetzgeber am Zug, in dem die Werkverträge und auch die Zeitarbeit in der Fleischindustrie verboten werden." In Berlin werden nun weitere Gesprächsrunden nötig sein, um das Gesetz zurück auf die Tagesordnung zu holen. Wie das Ergebnis aussieht, ist unklar, aber beim Zeitplan ist Brinkhaus optimistisch: "Ich bin zuversichtlich, dass wir das Gesetz wie geplant zum 1. Januar 2021 erreichen."

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