Nachts am Krisen-Telefon: "Die Menschen hatten Panik und Todesangst"

Gütersloh. Verzweiflung, Angst, Panik – wenn beim Gütersloher Krisendienst das Telefon klingelt, dann wissen die Ehrenamtlichen nicht, was sie erwartet. In welcher Verfassung ist der Anrufer? Was bereitet ihm Sorge? Will er sich vielleicht sogar etwas antun? Jede Nacht sind die Mitarbeiter erreichbar. Immer von 19 bis 7 Uhr ist ein Zweier-Team im Dienst. An Wochenenden und Feiertagen ist das Krisen-Telefon sogar rund um die Uhr besetzt. &bdquo;Wir sind generell immer zu zweit. Auch, wenn wir mal zu einem Klienten rausfahren", sagt die Vorsitzende Elfriede Strutz, &bdquo;wir wissen ja häufig gar nicht, was uns vor Ort erwartet. Das wäre alleine zu gefährlich. Zu zweit fühlt man sich sicherer und kann in Gesprächen etwa mit Familien oder Ehepartnern auch besser vermitteln." Die Nacht vor dem zweiten Lockdown war besonders intensiv 40 bis 50 aktive Mitarbeiter hat der Krisendienst derzeit – alle ehrenamtlich. Die meisten von ihnen sind hauptberuflich in psychosozialen Arbeitsfeldern tätig, etwa im Pflege- oder Therapie-Bereich. Seit Beginn der Corona-Pandemie und vor allem seit des Ausbruchs beim heimischen Fleischkonzern Tönnies ist der Krisendienst enorm gefordert. Die Zahl der Anrufer pro Nacht sei in die Höhe geschnellt, berichtet Strutz. Im gesamten vergangenen Jahr seien es ungefähr 2.770 Fälle gewesen – in diesem Jahr komme man locker auf 3.000. Strutz selbst hatte in der Nacht vor der Entscheidung über den erneuten Lockdown im Kreis Gütersloh Dienst. Zwölf Menschen hätten alleine in dieser Nacht angerufen, so die Vorsitzende. &bdquo;Das war schon eine sehr intensive Nacht. Die Verunsicherung und Panik der Menschen war so spürbar. Viele haben statt der so ersehnten Verbesserung plötzlich wieder schwarz gesehen." "Sie hat uns mehrfach angerufen, total in Panik" Die Gründe, warum sich Menschen an den Krisendienst wenden, sind vielfältig. Hauptsächlich melden sich die Betroffenen selbst, nur selten deren Angehörige. 65 Prozent der Anrufer sind Frauen. Da ist zum Beispiel die psychisch und körperlich eingeschränkte junge Frau, die ihr Leben mittlerweile eigentlich gut im Griff hat. Sie hat sich ein großes Netzwerk aufgebaut, um Hilfen im Alltag zu bekommen. Trotz mehrer Traumata geht sie regelmäßig in eine Tagesstätte und bekommt Besuch von Betreuern. Doch plötzlich bricht dieses lebensnotwendige Netzwerk zusammen. Wegen des Corona-Risikos dürfen ihre Betreuer nicht mehr kommen, sie selbst verlässt als Hochrisiko-Patient kaum noch das Haus. &bdquo;Sie hat uns mehrfach angerufen, total in Panik und Todesangst", erinnert sich Mitarbeitern Ruth Strutz, &bdquo;sie wusste einfach nicht mehr, was sie machen sollte, weil sie komplett isoliert war." Existenzängste, die die Menschen auffressen Da ist aber auch die alleinerziehende Mutter, die plötzlich den ganzen Tag mit ihren Kindern zuhause ist, weil Schulen und Kitas geschlossen sind. Statt zur Arbeit zu gehen, muss sie nun die Kinder beschäftigen, bespaßen, unterrichten. Das Geld wird knapp, der Job steht auf der Kippe. &bdquo;Abends, wenn diese Menschen mal eine Minute für sich haben, bekommen sie so große Angst und sehen keinen Ausweg. Das sind Existenzängste, die sie auffressen", sagt Barbett Skupin, die ebenfalls regelmäßig am Krisentelefon sitzt. Viele suchen in den Ehrenamtlichen jemanden, der ihnen zuhört und Mut zuspricht. Ruth Strutz: &bdquo;Es sind viele Entlastungsgespräche, die wir führen. Wir versuchen ihnen neue Hoffnung zu geben und zu zeigen, dass man aus dieser für sie so ausweglos erscheinenden Lage wieder rauskommen kann." Häufig helfen dabei Worte oder auch Atemübungen, um etwa Menschen bei Panikattacken zu beruhigen. Der Krisendienst kann aber auch zu anderen Unterstützungsangeboten vermitteln. Elfriede Strutz betont: &bdquo;Wir helfen den Menschen durch eine akute Krise, sodass sie erstmal die Nacht schaffen." Manchmal wird auch die Polizei kontaktiert Meistens bleibt es bei einem Telefonat. Mal länger, mal kürzer. Doch es gibt auch heftigere Fälle. &bdquo;Ich hatte auch schon Anrufe, da haben die Betroffenen durchblicken lassen, dass sie kurz davor sind, sich etwas anzutuen", erinnert sich Ruth Strutz. Im Zweier-Team wird die Gefahr abgeschätzt – in solchen Fällen machen die Ehrenamtlichen auch Hausbesuche. In brenzligen Notfällen wird die Polizei kontaktiert. Auch, wenn die meisten Mitarbeiter aufgrund ihres Berufs Erfahrungen mit Ausnahmesituationen haben – die Sorgen und Ängste der Menschen berühren auch sie. &bdquo;Diese Arbeit hier ist immer auch belastend", sagt Barbett Skupin, &bdquo;jetzt in der Corona-Zeit noch mehr. Man kann viele Menschen nachvollziehen. Mir gehen die Anrufe teilweise sehr nah." Nachbesprechungen im Zweier-Team, aber auch in der großen Gruppe, würden ihr enorm helfen, die Fälle zu verarbeiten. &bdquo;Wir helfen, wo wir können, aber auch uns lassen diese Geschichten nicht kalt."

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