Bemerkenswerte Leserbriefe über Ausbruch bei Tönnies: "Geld kann man nicht essen"

Gütersloh. Der massenhafte Ausbruch des Coronavirus in der Firma Tönnies und die damit verbundenen Folgen für das öffentliche Leben beschäftigen auch unsere Leser. In neun bemerkenswerten Zuschriften schreiben sie über das "System Tönnies", das Verhalten der Politik sowie das der Bevölkerung. Im Folgenden sind die Zuschriften im Wortlaut nachzulesen: Dieter Kardinahl, Gütersloh: Vom &bdquo;System Tönnies" profitieren viele, dadurch wird es am Leben gehalten. Die Städte mit den Werkstandorten über die Gewerbesteuer, die Wohnungsvermieter, die 200 Euro pro acht Quadratmeter Schlafplatz verlangen. Schalke 04 über die privaten Darlehen von Tönnies, die Verbraucher über die Fleischpreise. Das System basiert über die Subunternehmen auf Ausbeutung, Einschüchterung, Verletzung von Arbeitsrechten, Betrug, Lohnraub und vor allem Angst. Solange wir nicht direkt betroffen sind, mischen wir uns, bis auf ein paar Aufrechte, nicht ein und werden zu Nutznießern dieser Produktionsverhältnisse. Die Zustände bei Tönnies sind seit Jahren bekannt. Jetzt, wo unsere Kinder und Enkel nicht mehr in die Schule und die Kita dürfen und durch den Lockdown unser Urlaub in Gefahr gerät, sehen wir rot. Das ist scheinheilig und selbstgefällig. In jeder Krise muss man sich fragen, welchen Anteil man selber zum Zustandekommen der Situation beigetragen hat. Schon 2015 hat Clemens Tönnies versprochen: &bdquo;Jeder, der will, bekommt eine Festanstellung von uns" und &bdquo;Es muss einen Standard für die Lebensbedingungen der Arbeiter geben" (NW vom 4. Februar 2015) Auswirkungen bis heute – null. Üblicherweise passiert jetzt Folgendes: Alle in der Produktionskette von den Schweinemästern über den Lebensmittelhandel bis hin zu RWE, welche die Schlachtabfälle in ihren Kohlekraftwerken mitverbrennt, ducken sich weg. Sie warten ab, bis die Medien &bdquo;die Sau durch Dorf getrieben haben" und sich neuen Themen zuwenden, um dann so weiter zu machen wie bisher. Die gute Nachricht ist: Diesmal wird es nicht funktionieren. Bernd Danielczyk, Gütersloh: Herr Adenauer reißt sich jeden Tag den Hintern auf, um uns zu schützen, sagt er. Glaube ich ihm. Aber viel zu spät und nur auf massiven Druck der Öffentlichkeit. Viel zu lange hat die Landes- und Kreispolitik Tönnies gewähren lassen und dem ausbeuterischen Konzern vertraut. Es reicht nicht, die Politiker später durch Nichtwahl abzustrafen. Wir Verbraucher müssen unseren Billigfleisch-Konsum sofort einstellen und den Sumpf damit austrocknen. Meine Anregung: Einmal die Woche Qualitätsfleisch vom Schlachter des Vertrauens kaufen, der die Herkunft offenlegt, und mit Genuss verzehren. &bdquo;Zu teuer, kann ich mir nicht leisten" sagen jetzt viele. Verstehe ich. Kauft für 5 bis 6 Euro vegetarische Zeitschriften. Wunderbare Gerichte und Anregungen für preiswertes Essen, gesund und ganz ohne Fleisch. Karsten Luhmann, Gütersloh: Der Aufruf von Herrn Laschet, uns nicht zu stigmatisieren, scheint ziemlich ungehört verhallt zu sein. Von allen Seiten hört man derzeit von sehr deutlichen Vorbehalten gegen unseren &bdquo;besten Kreis der Welt": Befreundete Familien, deren Urlaubsdomizile gekündigt werden, Ehepaare, die an der Grenze zurückgewiesen werden, Montagetermine heimischer Firmen, die abgesagt werden. Ich selbst bin völlig verärgert, da ich, trotz eines negativen Coronatestes vom Vortag, vor den Türen eines Krankenhauses im Kreis Herford abgewiesen wurde, da dort ab sofort keine Patienten aus Gütersloh mehr behandelt werden. Der Termin für den für mich wichtigen Kontrolltermin wurde mir aber noch bestätigt, so dass wir für die Unterbringung unserer vier Kinder gesorgt haben – bei coronabedingtem Kontaktverbot nahezu unmöglich. Da auch unser Familienurlaub nun wohl aufgrund der großen Vorbehalte gegen uns Bewohner aus dem &bdquo;Seuchenkreis" nicht stattfinden kann, kann ich hier wenige Punkte sehen, wo wir nicht stigmatisiert werden. Aber immerhin nett gemeint von Herrn Laschet. Stephan Heinrichsmeyer, Gütersloh: Wer 30.000 Schweine am Tag schlachten lässt, von Personen, die er nicht kennt, wer 7.000 Mitarbeiter beschäftigt, deren Adressen er nicht kennt oder nicht preisgeben will, wer sich aufplustert, weil er besser ist als alle anderen in der Branche, den aber die Wohnverhältnisse seiner &bdquo;Fremdarbeiter" nicht interessieren und der wahrscheinlich die Zustände in seiner eigenen Kantine nicht kennt, wie ehrlich und verlässlich ist so ein Unternehmer? Er ist nicht ehrlich und nicht verlässlich. Bleibt zu hoffen, dass alle gelernt haben, dass Schweinefleisch teurer sein muss als Hundefutter und dass Schlachthöfe und deren Betreiber nur ein Ziel verfolgen: die eigene Profitmaximierung. Es gilt die Weissagung der Cree: &bdquo;Irgendwann werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann." Marc Walter, Gütersloh: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Es ist geradezu unverantwortlich, wie sich im Besonderen Politiker von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in diesen Tagen &bdquo;in die Büsche schlagen", wenn es um das Thema Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie geht. Diese wurden doch gerade von Rot-Grün unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder (SPD) eingeführt und auch frühere SPD-Ministerpräsidenten/in in NRW und Rot-Grüne-NRW-Landesregierungen haben seit der Gründung des modernen Schlachtwerkes Tönnies seit 1997 gegen die dortigen &bdquo;Verhältnisse" nichts unternommen und Leiharbeit und Werkvertragsverhältnisse offensichtlich ebenfalls geduldet. Mit welcher scheinheiligen Unverschämtheit jetzt die Kreisspitze &bdquo;politisch denunziert" wird, ist schon moralisch höchst verwerflich.Margret Bauß, Gütersloh: Das Elend in der Fleischindustrie und bei den ausgebeuteten Arbeitern macht mich tief betroffen. Obwohl schon so lange bekannt, haben Politik und Wirtschaft bis jetzt nichts dagegen unternommen und auch wir Verbraucher sind nicht schuldlos. Solange Fleisch nichts kosten darf, wird sich wohl nichts ändern. Natürlich ist es nicht schön, wenn viele jetzt eventuell auf ihren Urlaub verzichten müssen. Abgesehen davon, geht es den meisten Menschen im Kreis Gütersloh doch gut. Sie haben eine schöne Wohnung oder ein schönes Haus mit einem schönen Garten und die Sonne scheint auch noch. Bis jetzt kennen wir das Leid vieler Menschen nur aus dem Fernsehen, überfüllte Flüchtlingslager, Umweltkatastrophen, Hungersnöte, und vieles vieles mehr. Ist es da wirklich so schwer, für ein Jahr einmal nicht in Urlaub zu fahren. Leider ist die Verhältnismäßigkeit in den heutigen Zeiten in allen Bereichen verloren gegangen. Ludwig Rohden, Gütersloh: Es ist doch schier unfassbar, dass sich ausgerechnet diejenigen über Diskriminierung von Bewohnern der Kreise Gütersloh und Warendorf beklagen, die durch ordnungspolitisches Versagen im Vorfeld, durch unorganisiertes und viel zu zögerliches Handeln die gegenwärtige Situation zumindest begünstigt haben. Was Herr Laschet, Herr Laumann, Herr Adenauer ist daran diskriminierend, wenn Menschen in nicht betroffenen Regionen sich schützen wollen gegen das Einschleppen des Virus in ihre Region? Durch jahrzehntelanges Wegschauen, nein, Begünstigen der Zustände ist viel gesellschaft- und wirtschaftlich politisch Notwendiges unterblieben: Arbeitsbedingungen, Wohnverhältnisse etc. – alles seit Jahren bekannt. Es ist eben Polit-Sprech und eine Verhöhnung der so oder so betroffenen Menschen, bar jeden logisch operierenden Verstandes und jeglicher Vernunft Ursache und Wirkung in dieser scheinheilig mitfühlsamen Weise auf den Kopf zu stellen. Das ist doch nur ein Ablenken von den wirklichen Zusammenhängen und Verantwortlichkeiten. Wen wunderts, dass andere damit ihre politisch gefährlichen Süppchen kochen? Gerhard Schreier, Gütersloh: Haben sich die gleichen Personen auch jemals öffentlich empört über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werkvertragsarbeiter und die Lebens- und Sterbebedingungen der Tiere? Nur dann hätten sie auch die Berechtigung, sich jetzt zu echauffieren. Marga Müller-Strenge, Gütersloh: Es sollte der schönste Tag im Leben unserer Kinder sein. Die Trauung ist am 4. Juli um 12 Uhr im Standesamt Gütersloh geplant. Nun erfahren wir, dass nur das Brautpaar im Standesamt anwesend sein darf. Wir als Eltern dürfen anschließend mit den entsprechenden Hygieneregeln feiern, doch ins Standesamt dürfen wir nicht. Die große Feier wurde bereits abgesagt, Kränzen wird auch abgesagt und andere Dinge, die dazu gehören. Könnte die Stadt sich nicht flexibel zeigen und einen größeren Raum vorhalten, oder Fenster und Türen öffnen. In Clarholz haben wir vor vier Wochen eine Trauung miterlebt, wo mehr als zwölf Personen anwesend waren, weil ein großer Raum zur Verfügung stand. Die Lage ist für uns alle schwierig genug und in solchen Situationen erwarten wir mehr Flexibilität der Stadt Gütersloh.

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