Klingenthal, Finke und Co. prangern massive Wettbewerbsverzerrung an

Gütersloh. Wie viel sind 1,50 Meter? Die Schuhbranche weiß es: Sechs normalgroße Schuhe hintereinander. Wer den Laden von Potthoff betritt, vorbei an Hinweisen, einem Desinfektionsspender und einem Abakus, der die Zahl der aktuellen Kunden anhand der nach links geschobenen Kugeln wiedergibt, findet diesen hilfreichen Hinweis an den Durchgängen platziert. Auf diese Weise lässt es sich beruhigter shoppen. Fünf Wochen hatte Potthoff seine 15 Filialen, davon sieben in Gütersloh, schließen müssen. Nun, seit gestern, sind sie wieder geöffnet. &bdquo;Ich habe noch nie Männer gesehen, die so glücklich mit ihren Frauen Schuhe kaufen gegangen sind", sagt Mitarbeiterin Susanne Bütow. Die Kunden kämen freudestrahlend in den Laden hinein und würden von ebenso strahlenden Mitarbeiterinnen bedient. Endlich wieder was zu tun! Teil eins des Corona-Spuks scheint im Einzelhandel vorüber. In vielen Läden herrschte Betrieb Jedenfalls für die meisten. Konkret: Für jene Geschäfte, die über weniger als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche verfügen. Da sie im Gütersloher Einzelhandel die Mehrzahl der Geschäfte stellen, führte das schon am ersten Tag der Wiedereröffnung, zu einer munteren, wiederbeatmeten Fußgängerzone. Am Berliner Platz bildeten sich vor Juwelier Christ und dem Lottoladen sogar Schlangen, die bis nach draußen führten – freilich vor allem dem Abstandsgebot geschuldet. In vielen Läden herrschte Betrieb, wenn auch in Summe, so der Tenor der Kaufleute, nicht auf dem Niveau eines normalen, früheren Einkaufstages – &bdquo;noch nicht", wie sie hoffen. &bdquo;Ich glaube, dass die Kunden zunächst noch zurückhaltend sein werden", sagt Axel Keisinger vom Modehaus Wörmann. Der Verkauf werde nicht von Null auf hundert anziehen. Wieder öffnen zu dürfen, sei für ihn und die 13 Mitarbeiter gleichwohl ein Segen. Kundenschlangen bis auf die Straße Andere Geschäfte hingegen müssen sich weiter gedulden und empfinden daher ein Gefühl massiver Ungerechtigkeit: Karstadt, Klingenthal, Finke, C & A, Media Markt, Toys World. Sie sprechen von Willkür und Wettbewerbsverzerrung. &bdquo;Wir finden das, was die Regierung entschieden hat, unfair", sagt Heike Pollmann, Geschäftsleiterin von Klingenthal (Verkaufsfläche 3.100 Quadratmeter). &bdquo;Es wäre für uns absolut kein Problem, auf 800 Quadratmeter abzugrenzen, wir können auch alle Sicherheitsaspekte befolgen, also warum dürfen wir nicht öffnen, Baumärkte und Möbelmärkte aber schon?" Zeitgleich in Paderborn, Herford und Gütersloh hatte Klingenthal die Presse eingeladen, um den Unmut kundzutun. &bdquo;Das ist unser Schrei nach Normalität und Gerechtigkeit", sagte Betriebsrätin Susanne Niewöhner. Die Beschäftigten – 80 in Gütersloh, 500 insgesamt – seien in großer Sorge um ihren Arbeitsplatz. Klingenthal mit seinen vielen Stammkunden und seiner Kundenstruktur habe auch keine Möglichkeit, den Umsatzausfall über Online-Verkauf auszugleichen. Man könnte zumindest ein bisschen Umsatz generieren Bei einem Test in der Filiale Salzkotten,so Heike Pollmann, seien über einen längeren Zeitraum lediglich acht Bestellungen eingegangen. Für Klingenthal, 1989 am Kolbeplatz eröffnet, sei die Krise existenziell. Pollmann: &bdquo;Uns geht es gerade gar nicht darum, Geld zu verdienen, uns ist nur wichtig, dass wir liquide und am Markt bleiben." Mit einer Teilöffnung auf 800 Quadratmeter könne man zumindest 18 Prozent des Umsatzes generieren, plus den zwei Prozent der seit Montag wiedereröffneten, separaten &bdquo;Curvy-"Zweigstelle. Neben Finke mit dem Modehaus an der Königstraße und dem Sporthaus am Kolbeplatz und neben Karstadt mit seiner gescheiterten Gerichtsklage zählt auch Toni Schumacher, Inhaber von Toys World, zu den Gekniffenen. Während Spielwaren Witthoff in der Innenstadt mit circa 750 Quadratmetern Verkaufsfläche knapp unterhalb der Grenze liegt und wieder geöffnet ist, hat Schumacher seinen Laden an der Hans-Böckler-Straße geschlossen zu halten: 1.017 Quadratmeter. Mundschutz, Trennscheiben, Desinfektionsspender &bdquo;Kolossal ungerecht" finde er das, so Schumacher. Problemlos könne er ein, zwei Gänge absperren und somit unter die Marke rutschen, aber auch von der Stadt sei dazu ein klares &bdquo;Nein" gekommen – er solle es lieber lassen. Dabei, so Schumacher, sei sein Laden im Vergleich zu Witthoff geräumiger, es sei folglich leichter, Abstand zu halten, und mittels der Einkaufswagen sei problemlos eine Einlasskontingentierung möglich. Fußbodenaufkleber, Mundschutz, Trennscheiben, Desinfektionsspender, für alles sei gesorgt, &bdquo;aber wir laufen gegen Wände". Vier Filialen betreibt Schumacher. Den Babyfachmarkt und den Gartenmöbelfachmarkt in Lippstadt durfte er wieder öffnen, seine Spielwarenläden in Gütersloh und Paderborn (1.500 Quadratmeter) nicht. Schumacher: &bdquo;Ich sehe mich als Opfer einer willkürlichen Regelung." Andere Läden hingegen freuen sich über Ausnahmeregelungen. Porta Möbel, Radsport Schiffner, Mayersche Buchhandlung: Weil das Land für ihre Branchen Sonderregelungen geschaffen hat, haben sie alle unabhängig von ihrer Größe wieder geöffnet, Bei Porta – Verkaufsfläche: 28.500 Quadratmeter – lief es am Montag geordnet ab, der Andrang hielt sich in Grenzen. Ansturm gleich am ersten Tag? &bdquo;Wir haben auch gar nicht damit gerechnet, dass man uns gleich am ersten Tag den Laden stürmt", sagt Porta-Geschäftsleiter Torsten Stellbrink. Sowohl die Mitarbeiter als auch die Kunden müssten sich daran gewöhnen, Sicherheit im Umgang mit den neuen, veränderten Abläufen und den Bestimmungen zu gewinnen. Die Kritik an einer Vorzugsbehandlung von Möbelhäusern teile er nicht. &bdquo;Wir können in unseren Filialen für Sicherheit sorgen. Das Land hat die Regelungen nicht von ungefähr getroffen." Bei Radsport Schiffner ist Geschäftsführer Jürgen Männel &bdquo;einfach nur glücklich, dass es endlich losgeht." Die Schließung ausgerechnet im Frühjahr, zum Auftakt der Saison, sei ein Tiefschlag gewesen. Die vergangenen Wochen habe er sich mit seinen Mitarbeitern mit Fahrradreparaturen über Wasser gehalten – &bdquo;wir hatten von frühmorgens bis spätabends durchgehend zu tun" – , aber das Reparaturgeschäft mache nur 15 Prozent seines Umsatzes aus. "Wir hätten nicht mehr lange durchgehalten" &bdquo;Wir hätten nicht mehr lange durchgehalten", sagt Männel. Da er die Bestellungen neuer Räder aber nicht storniert habe, seien Verkaufsraum und Lager nun randvoll. &bdquo;Ich hoffe daher auf einen Nachholbedarf der Gütersloher und einen rasanten Start in die Saison." Viel nachzuholen gibt es in der Buchhandlung Markus derweil nicht. &bdquo;Wir hatten die ganze Zeit eine enorme Nachfrage. Es war spektakulär", sagt Buchhändlerin Elke Corsmeyer. Vier Mitarbeiter seien von morgens bis abends mit Auslieferungen beschäftigt gewesen, die Wochen seien wie im Fluge vergangen. &bdquo;Wusst ich’s doch immer", sagt Corsmeyer: &bdquo;Das Buch ist ein Grundnahrungsmittel."

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