Eine ganze Familie plötzlich in Quarantäne: Zwölf Tage Hoffen auf den negativen Test

Gütersloh. Hier berichtet NW-Redakteurin Anja Hustert über ihren Alltag mit Ehemann und zwei Kindern zwischen Schulschließung, Corona-Quarantäne, Homeoffice und einem Männerschnupfen - der für Irritation sorgt. Tag eins: Fast wie Ferien? Wie machen das bloß Familien mit Kindern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung? Hier heißt es bei dem Wetter: Terrassentür auf, Kinder raus. Schnell finden sich auch noch zwei Jungs aus der Nachbarschaft und los geht die Mini-WM im Garten. Und zu einem Zeitpunkt, wo Jogis Jungs noch um den Termin ihrer Europameisterschaft bangen, fürchte ich nur um den Rasen, der im Torbereich schon beängstigend kahle Stellen zeigt. Und um die Frühlingsblumen, die – kaum, dass sie sich ans Sonnenlicht gewagt haben – schon geköpft im Beet stehen. &bdquo;Fast wie Ferien", kommentiert Sohnemann. Aber eben nur fast. Wären da nicht die Arbeitspakete, die halbstündlich über die Klassengruppe auf dem Mutter-Handy eintrudeln. Siebte Klasse – das erledigt sich auch nicht eben im Vorbeigehen und so bin ich jetzt auf jeden Fall wieder fit, wenn es um die Addition, Subtraktion und Multiplikation von negativen Zahlen geht. Morgen sind Gedichte dran – könnte mir vielleicht noch mal jemand das Versmaß Trochäus erläutern? Tag zwei: Wir sind nun lernfähig Während der Große schon in weiser Voraussicht am Freitag alle Schulsachen mit nach Hause geschleppt hatte, fehlen dem Kleinen noch sein Mathebuch samt Heft. Die Grundschullehrerin – für eine Notfallbetreuung gerüstet – gibt die Materialien gerne heraus. Wir sind – sehr zum Bedauern des Zehnjährigen – nun lernfähig. Ich hingegen, die heute zum ersten Mal an einer Webkonferenz im Homeoffice teilnehmen soll, bekomme bereits um acht Uhr den ersten Nervenzusammenbruch, weil der Drucker nicht druckt. Der familieneigene Systemadministrator, zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Homeoffice, versucht per Online-Coaching zu retten, was zu retten ist – er hat mir sogar sein Admin-Passwort verraten. Ob ich damit wohl auch das Internet löschen kann? Tag drei: Plötzlich in Quarantäne Was ist die Steigerung von Schulschließung? Genau: Quarantäne. Ein Bekannter des Gatten, der in Ischgl Skilaufen war und zu dem er Kontakt hatte (&bdquo;Ich hab nix, ich habe doch ausreichend mit Bier gespült"), ist positiv getestet worden. Womit bewiesen wäre, dass Corona doch nicht gegen Corona hilft. Jedenfalls sind wir nun als Familie im Homeoffice traut vereint, die Kinder dürfen nicht mehr mit den Nachbarskindern draußen Fußball spielen und irgendwann werden wir dann tatsächlich Dosen-Ravioli essen müssen. Die gute Nachricht ist jedoch: Wir haben noch genug Klopapier. Tag vier: Kann es noch schlimmer kommen? Kann es noch schlimmer kommen? Die Playstation der Kinder sagt plötzlich keinen Mucks mehr. Bildschirm schwarz. Nachdem die Mini-Nachbarschafts-WM schon quarantänebedingt ausfallen musste, gibt es jetzt auch kein FIFA 20 mehr. Die Internet-Recherche ergibt, dass das blaue Blinken eines Controllers das so genannte &bdquo;Blue Light of Death" sei – nichts geht mehr. Beim Nachwuchs macht sich Verzweiflung breit. Ich habe den beiden Jungs daraufhin ein 1.000-Teile-Puzzle in die Hand gedrückt. Tag fünf: Heizung statt Notarzt Ich beobachte meinen Mann dabei, wie er mit dem Fieberthermometer in seinem Büro verschwindet. Ja, ein Bekannter ist positiv auf Corona getestet worden und er als Kontaktperson befindet sich nun in einer vierzehntägigen Quarantäne (und wir mit ihm), aber bislang zeigt niemand im Haushalt irgendwelche Symptome. Oder? Meine Frage, ob es ihm nicht gutgehe, wird verneint. Ihm sei nur ein wenig kalt, sagt der Göttergatte und zieht das Fieberthermometer unter dem Arm hervor. 35,7 Grad. Vielleicht sollte er, bevor der den Notarzt ruft, in seinem Büro wirklich die Heizung anstellen. Tag sechs: Mindestens zehn Meter Abstand Es geht doch nichts über Bewegung an der frischen Luft: Ich putze Fenster. Und habe dabei sogar soziale Kontakte: Nachbarin Karin im Garten nebenan – keine Sorge, der Sicherheitsabstand beträgt hier mindestens zehn Meter - nutzt das schöne Wetter, um in den Rabatten Unkraut zu zupfen. Ich blicke zu meinen Blumenbeeten: Nein hier bleibt zunächst alles beim Alten. Wer weiß denn, ob ich uns aus dem Giersch nicht noch einen leckeren Salat machen muss? Tag sieben: Papa, gehörst du zur Risikogruppe, weil du alt bist? Beim Frühstück fragt der zehnjährige Carl, ob sein Vater jetzt auch besonders gefährdet sei, schließlich gehöre er ja als älterer Mensch zur Risikogruppe. Dem sportlichen 55-Jährigen, der mir gegenübersitzt, fällt beinahe das Essen aus dem Gesicht. Doch wo Junior Recht hat, hat er Recht: Laut Robert-Koch-Institut haben &bdquo;ältere Menschen ab 50/60 Jahren" tatsächlich ein höheres Risiko auf einen schweren Krankheitsverlauf. Die Kinder sollten schon mal einen Pflegeplatz für uns suchen. Doch wer räumt ihnen dann den Frühstückstisch ab? Tag acht: Erster Geburtstag in Quarantäne Im Bad ertönt &bdquo;Happy Birthday to you"! Nachdem die Kinder das jetzt normalerweise immer beim Händewaschen singen, um sicherzugehen, dass sie am Waschbecken auch die zeitlichen Hygiene-Vorgaben der WHO einhalten, gilt dieses Ständchen heute ausnahmsweise mal nicht der Seife. Ich habe Geburtstag. Der Gatte gibt bedröppelt zu, dass er quarantänebedingt leider keinen Blumenstrauß besorgen konnte und die Kinder haben Gutscheine gemalt: Dreimal Rasenmähen, einmal Tisch decken, ein selbstgeschriebenes Gedicht und die Rechtschreibfehler haben sie sogar selbst entdeckt und korrigiert. Ich bin gerührt. Tag neun: Hausaufgaben nicht nur für die Jüngsten Mir fällt siedendheiß ein, dass ich meine Hausaufgaben noch nicht gemacht habe. Hatte eine Lehrkraft nicht geschrieben, wir sollten unseren Kindern durch Vokabelabfragen &bdquo;bei der Wortschatzarbeit helfen"? Immerhin habe ich die Latein-Übersetzung meines Siebtklässlers schon an seine Lehrerin gemailt – genau nach ihren Vorgaben: Word-Dokument, links, rechts und unten zwei Zentimeter Rand, rechts fünf Zentimeter, doppelter Zeilenabstand, 14 Punkt.Nur gut, dass der Deutschlehrer als einen Tipp gegen die Langeweile den Hinweis &bdquo;Zehnfingertippen kostenlos lernen" angehängt hat. Tag zehn: Ein Männerschnupfen - auch das noch Ein Männerschnupfen bringt mich völlig aus der Fassung. Bedeutet die laufende Nase meines Gatten doch, dass er sich – auf einmal eine Kontaktperson MIT Symptomen – doch noch einem Corona-Test unterziehen muss. Wir warten nun also auf das Ergebnis. Sollte es positiv sein, gilt erneut eine zweiwöchige Quarantäne – genau ab dem Zeitpunkt, wo die ersten 14 Tage bereits um sind. Tag elf: Da ist er, der Lagerkoller Es ist soweit – Lagerkoller: Mein zehnjähriger Sohn weigert sich, um 16.15 Uhr am Klavier zu sitzen, damit seine Musiklehrerin ihn via Whats-App-Telefonie unterrichten kann. Stattdessen kickt er wütend Bälle auf das Tor im Garten und schimpft wie ein Rohrspatz. So haben wenigstens die Nachbarn noch ein wenig Abwechslung. Mir wird klar: Mit der Pinguin-Polka wird das heute nichts. Tag zwölf: Das Test-Ergebnis ist da Das Gesundheitsamt ruft an: Der Corona-Test des Gatten ist negativ. Und die 14 Tage seit seinem letzten Kontakt mit einer infizierten Person sind auch um. Wir sind frei! Ich räume die Dosen-Ravioli erstmal wieder ganz nach hinten ins Regal, morgen gehe ich einkaufen. Voller Vorfreude legen wir in der Küche eine Einkaufs-Wunschliste an. Die Quarantäne-Zeit hat die Kinder offenbar geprägt, oder warum stehen auf einmal 5 Tüten Chips und 10 Beutel Gummibärchen auf dem Zettel? Tag 13: Abpfiff ganz ohne Videobeweis So, 13 Tage seit Schulschließung und für uns der erste Tag ohne Quarantäne. Ich gehe joggen. Die Sonne lacht, alles riecht nach Frühling. Was für ein schöner Tag! Mein Mann hat Brötchen geholt und bringt auch gleich noch einen Blumenstrauß mit – an meinem Geburtstag war das Geschenk ja quarantänebedingt ausgefallen. Der zehnjährige Carl nutzt seine neue Freiheit und klingelt bei den Nachbarn, um mit seinem gleichaltrigen Kumpel eine Runde im Garten zu kicken. Doch schon nach kurzer Zeit kommt der Abpfiff von Mutti: Ganz ohne Videobeweis – der Sicherheitsabstand von zwei Metern wird hier definitiv nicht eingehalten. Schließlich einigen wir uns darauf, dass die Jungs mit ferngesteuerten Autos über einem Parcours im Hof um die Wette fahren und dabei weit genug voneinander weg stehen. Tag 14: Eine Stunde weniger Corona-Einschränkungen Am Esstisch wird diskutiert, warum wir uns auf einmal in der Sommerzeit befinden, wenn es draußen doch tierisch kalt ist und schneit. Ben (13) merkt an, dass die Zeitumstelllung gar nicht so schlecht ist – so dauern die coronabedingten Einschränkungen wenigstens eine Stunde weniger. Und im Herbst, wenn der ganze Spuk hoffentlich vorbei ist, bekommen wir wieder eine Stunde geschenkt. Das schlechte Wetter führt übrigens dazu, dass die Kinder mit väterlicher Unterstützung ihr 1.000-Teile-Puzzle fertig bekommen. Es zeigt jetzt in voller Pracht eine Weltkarte 1: 55.000.000. Alle Länder haben ihren Platz gefunden – schönen Gruß an die Erdkundelehrerin. Tag 15: Ein ganz besonderes Einkaufserlebnis Die Quarantäne-Vorräte sind aufgebraucht, ich gehe einkaufen. Dabei habe ich das Gefühl, die Welt hat sich in zwei Wochen fast komplett gedreht: kein Gedrängel, alle halten Abstand und sind rücksichtsvoll, Striche auf dem Boden neben der Kasse zeigen, wo der Einkaufswagen zum Stehen kommen soll. Das sollten wir nach Corona ruhig weiter beibehalten, denke ich. Aber hoffentlich gibt es dann wieder Mehl und Klopapier. Tag 16: Bad Hair Day Eine Freundin schickt mir "Grundregeln fürs Homeoffice": Ich lese: "Um in den richtigen Mindset zu gelangen, hilft es auch, sich so zu kleiden, wie wenn man zur Arbeit gehen würde". Ich schaue an mir herunter - zerrissene Jeans und oller Schlabberpulli. Außerdem ist Bad Hair Day - wie in den letzten Tagen so oft und ohne Sicht auf Besserung, da die Friseure ja zu sind. Hoffentlich haben wir heute bei der täglichen Web-Konferenz mit der Redaktion wieder Bildausfall... Tag 17: Die Welt steht Kopf E-Mail vom Sportlehrer des Jüngsten: Er ruft zu einer Handstand-Challenge auf. Alle Kinder sollen ihm ein Handstandfoto von sich schicken und die Eltern – was? wir ja wohl hoffentlich nicht!!! – achso, die Eltern sollen Hilfestellung geben. Glück gehabt. Tag 18: Wohnraumbelastungstester Super – die Kartoffeln sind übergekocht,weil ich noch mal eben den Rückruf eines Pressesprechers angenommen habe. Während ich den Herd abwische, trifft mich schmerzhaft ein Plastikgeschoss am Po – um mich herum läuft gerade ein Nerf-Gefecht (genau, das sind die Spielzeugwaffen, die deshalb NERF heißen, weil man so lange nervt, bis man so eine geschenkt bekommt). Aber gut, wenigstens werden gerade nicht die Fußleisten mit den ferngesteuerten Autos ramponiert. Wenn dieser Corona-Spuk vorbei ist, werden wir wohl renovieren müssen. Tag 19: Endlich Ferien? Nach Hause kommen, Ranzen in die Ecke pfeffern und zwei Wochen lang nicht mehr anschauen? Kann sich noch jemand erinnern, wie früher der letzte Tag vor den Osterferien aussah? Hier ist von Entspannung keine Spur. Dem einen fehlen noch drei Matheaufgaben, beim anderen passen die gemailten Lösungen des Musiklehrers nicht zu den Aufgaben und die Drei-Wochen-Kunstaufgabe wurde noch nicht einmal angeguckt. "Mache ich in den Ferien, Mama, versprochen." In welchen Ferien? Tag 20: Tischtennis, der Corona-Sport schlechthin Wochenende und Sonnenschein, immerhin. Aber wie sollen wir die Kinder jetzt zwei Ferienwochen lang beschäftigen? Gut, dass unser Nachbar in seinem Holz-Verschlag noch eine alte Tischtennisplatte gefunden hat, die er dort vor mehr als zehn Jahren eingemottet hat. Die leihen wir uns doch erstmal aus. Beim Hervorrollen zerfällt die Abdeckplane fast zu Staub, aber der Rest sieht – von einigen Spinnenweben mal abgesehen, deren Bewohner schnell die Flucht ergreifen – noch recht gut aus. Also Kinder: Abfegen, mit dem Gartenschlauch abspritzen, abwaschen, aufbauen. Sogar das Netz ist noch intakt und eine lockere Schutzleiste schnell wieder angeschraubt. Nachdem meine Jungs bereits mit der Inbetriebnahme einen halben Tag beschäftigt waren, kann das erste Match starten. Und der Corona-Sicherheitsabstand von zwei Metern wird sogar auch eingehalten! Tag 21: Verfrühtes Osterfeuer Noch eine Woche bis Ostern – wir machen Osterfeuer. Oder vielmehr der nette Nachbar von nebenan. Der hat nämlich auf der Grenze hinterm Zaun einen Baum gefällt und auf dem Stumpf eine Feuerschale platziert. Er steht mit Familie auf seiner Seite des Zauns und füttert das Feuer, wir stehen mit mehreren Metern Entfernung in unserem Garten, schauen in die Flammen und prosten ihm zu. Geselligkeit in Zeiten von Corona. Tag 22: Friseurstudio im Garten Mein Mann beschließt, dass er zum Friseur muss. Wir platzieren einen Stuhl mitten im Garten und hängen ihm ein Handtuch über die Schulter. Soweit, so gut. Um einem späteren Ehestreit vorzubeugen, drücke ich Sohn Ben den Langhaarschneider in die Hand. Wir beginnen mit neun Millimetern Länge und müssen feststellen, dass unser altes Gerät bei weitem nicht soviel Power hat, wie das der Friseurin unseres Vertrauens. Nachdem die ersten schwarz-grauen Flusen über den Rasen fliegen – ich hoffe, die Vögel freuen sich, schließlich ist Nestbauzeit – beschließt der Familienrat, auf sechs Millimeter zu wechseln. Sohnemann stylt tapfer. Ganz schön viel Arbeit für so wenig Haare, findet er. Tag 23: Post von den Lehrern Post für Carl: Die Grundschullehrerin wünscht ihm und uns in einem persönlichen Brief mit bunter Sesamstraßen-Briefmarke frohe Ostern. Wir freuen uns – so viel Kontakt zu den Lehrern wie in den Corona-Wochen hatten wir die ganze Schulzeit nicht. Auch das Gymnasial-Kollegium hatte einen Ostergruß per Mail geschickt – eine Fotocollage, an der alle Lehrer beteiligt waren. Da fällt mir ein – hat Ben seine Wochenaufgabe Kunst eigentlich erledigt? Tag 24: Fake-News im Klassenchat Im Grundschul-Klassenchat wird für NRW die Schulschließung bis zu den Sommerferien verkündet. Ich bekomme Schnappatmung – hoffentlich ist das eine Fake-News.

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