Falsche Diagnose: Gericht verurteilt Ärzte zu Schmerzensgeld

Gütersloh. Fehleinschätzungen von Gütersloher Ärzten haben bei einer 40-jährigen Frau möglicherweise unnötig zu langem Leiden und deren Tod geführt. Das geht aus einem aktuellen Beschluss des Landgerichtes Bielefeld hervor. Demnach gesteht es dem ehemaligen Lebensgefährten der Frau ein Schmerzensgeld sowie der Krankenkasse eine Kostenerstattung zu. Beide sollen einen fünfstelligen Betrag bekommen. Die Verlerin war 2011 an den Folgen eines Gebärmutterhalskrebs gestorben. Bereits vier Jahre zuvor hatte sie einen Gütersloher Gynäkologen aufgesucht und über Blutungen außerhalb ihrer Regel geklagt. Der indes hatte ihr beschieden, dergleichen könnte auch durch beruflichen Stress verursacht sein. Es folgten weitere Untersuchungen, so im Klinikum Gütersloh und im Klinikum Lippstadt, die jedoch abwiegelten und keine korrekte Diagnose trafen. Erst im April 2008 stellte das Düsseldorfer Universitätsklinikum den Krebs fest und entfernte die Gebärmuter - da hatte er längst weiter gestreut. "Die Frau hatte über Jahre extremste Schmerzen zu beklagen" Der Anwalt des ehemaligen Lebensgefährten wirft den Ärzten in mehrfacher Hinsicht "grobe Behandlungsfehler" vor. Diese hätten dazu geführt, dass die Frau "über Jahre ihr qualvolles Siechtum miterleben musste, zunehmend verfiel, pflegebedürftig wurde und extremste Schmerzen zu beklagen hatte". Auch ein unabhängiger, vom Gericht beauftragter Gutachter kam zu dem Schluss, der Krebs hätte schon 2007 erkannt werden müssen. Die "schwallartigen, zum Teil auch wässrigen Blutungen" der Frau seien mit den Befunden der behandelnden Ärzte kaum in Einklang zu bringen. In dem aktuellen, Mitte Juli ergangenen Beschluss schließt sich die vierte Zivilkammer des Bielefelder Landgerichtes dieser Auffassung an. Der Sachverständige habe überzeugend dargelegt, dass eine frühere korrekte Diagnose "durchaus Auswirkungen auf die Metastasierung bzw. deren Risiko haben konnte". Anders gesagt: Das Streuen des Krebs hätte verhindert werden können. Das Gericht erkennt Fehler beim Interpretieren der MRT-Untersuchungen Konkret hält die Kammer den Ärzten "Befunderhebungsfehler" vor. Sie hätten die Ergebnisse zweier Ultraschalluntersuchungen, eine im November 2007, eine im Januar 2008 nicht richtig gedeutet. Bei der ersten habe die Sonographie ergeben, dass sich unter der Gebärmutterschleimhaut das Bindegewebe vermehrt habe; bei der zweiten war jener Gebärmutterteil, der in die Vagina übergeht, nach hinten, Richtung Rückseite gekippt. Beide Befunde, so das Gericht, hätten Anlass für eine weitere Diagnostik geben müssen, "die das bei der Patientin schon damals vorliegende Karzinom hätten erkennen lassen". Der Gerichtsgutachter hatte ferner eine MRT-Untersuchung von Februar 2008 beanstandet. Dort sei zwar eine Verlagerung des Gebärmutterhalses entdeckt, aber als "Normalbefund" abgetan worden. Dass diese Verlagerung durch den wachsenden Krebs bewirkt wurde, auf diesen naheliegenden Schluss seien die Mediziner hingegen nicht gekommen. Auch das Klinikum Lippstadt, von der Verlerin im März 2008 aufgesucht, erkannte nicht den wahren Grund ihrer Beschwerden. Auch die Krankenkasse fordert eine sechsstellige Summe zurück Stattdessen musste die Frau einen langen Leidensweg durchmachen. Ihr wurde ein Teil des Magens entfernt, sie bekam einen künstlichen Darmausgang gelegt. "Sie war am Ende schwerst pflegebedürftig", sagt Anwalt Boris Meinecke. Er vertritt den Lebensgefährten, der sich rührend um alles gekümmert und die Frau bis zum Schluss gepflegt habe. In der Klage hatte der Lebensgefährte 100.000 Euro Schmerzensgeld gefordert, ferner 160.000 Euro für den materiellen Schaden wie Verdienstausfall und Pflegekosten. Weitere 100.000 Euro hat die DAK, Krankenkasse der Frau, geltend gemacht; sie führt an, dass die Behandlungskosten niedriger gewesen wären, hätten die Ärzte den Krebs früher entdeckt. In ihrem Vergleichsvorschlag bietet die Kammer dem Lebensgefährten jedoch lediglich 60.000 Euro Schmerzensgeld an. Auch die DAK soll sich nach Angaben von deren Anwalt Klaus Fischer mit weniger zufrieden geben. In anderen Fällen wurden schon viel höhere Schmerzensgelder gezahlt Während bei der DAK noch unklar ist, ob sie auf den Vorschlag eingeht, ist für Boris Meinecke und dessen Mandant schon klar: "Wir sind mit diesen 60.000 Euro nicht einverstanden, das ist viel zu wenig." Meinecke verweist auf Urteile in ähnlichen Fällen, bei denen weit höhere Schmerzensgelder gezahlt worden seien. Vehement greift der Anwalt auch die Position des Gerichtes an, der Lebensgefährte könne keine materiellen Schäden geltend machen. Für diese "Sekundärschäden", so das Gericht, gelte die Beweislastumkehr: Der Kläger, also der Lebensgefährte habe nachzuweisen, dass eine frühere Diagnose des Krebs die Metastasierung hätte verhindern können. "Diese Argumentation ist ein Witz", sagt hingegen Meinecke. Ein direkter Nachweis ist kaum zu erbringen Der materialle Schaden sei Folge der Metastasierung, und diese wiederum Folge der Behandlungsfehler, so Meinecke. Insofern sei eine Beweislastumkehr unangebracht. Ein Kausalnachweis sei überdies kaum zu erbringen, darauf habe auch der Gerichtsgutachter hingewiesen: Er hatte berichtet, "dass grundsätzlich jede Verschleppung einer adäquaten Therapie das Metastasierungsrisiko vergrößert". Studien und evidenzbasierte Daten zu diesen Fragen gebe es naturgemäß nicht, sie wären "ethisch zweifelsohne nicht vertretbar". Meinecke kündigte an, den Vergleichsvorschlag abzulehnen; das Gericht werde daher Anfang September seine Entscheidung verkünden müssen.

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